Propeller II
Die zweite Ausgabe der Propeller-Biennale (von lat. propellere: „vorwärts treiben“) zeigt neuerlich eine Auswahl von Werken Studierender an österreichischen Kunsthochschulen. Die FOTOGALERIE WIEN möchte so einerseits ihre Arbeit für ein breiteres Publikum sichtbar machen und ihnen weiters die Möglichkeit geben, den Ausstellungsbetrieb besser kennenzulernen. Wie arbeiten junge Kunstschaffende heute in den Bereichen Fotografie und Neue Medien? Im weit aufgefächerten Themenspektrum lassen sich gemeinsame Tendenzen erkennen. Viele Positionen sind informiert von Kunsttheorie und Philosophie, aber auch der Sinn für Romantik und Schönheit kommt nicht zu kurz. Mit Liebe zum Detail lassen die Studierenden das Persönliche und das Politische ineinandergreifen, verhandeln eigene und kollektive Identitäten. Sie dekonstruieren die Bildsprache der Konsumkultur oder vertiefen ihre Faszination für analoge Techniken und Apparate.
Künstler_innen: Lea Abendstein, Benedikt Büllingen, diallostruempf, Vincent Forstenlechner & Ira Grünberger, Kelly Ann Gardener, Caroline Haberl, Evi Jägle, Vitória Monteiro, Melanie Moser
Die Collagen von Lea Abendsteins Serie "Intermezzo" basieren auf Fotografien, die in den letzten Monaten aufgenommen wurden. Unter dem Eindruck eines Gefühls der Deplatziertheit und der Entfremdung während der zahlreichen Lockdowns begann Abendstein zunehmend, ihren Platz in der Welt in Frage zu stellen und sich selbst aus den Bildern auszuschneiden. Die zurückbleibende Leere wird offensichtlich und setzt sich an die Stelle der Künstlerin. Im Kontext der Serie transformieren sich diese fehlenden „Ichs“ und verdichten sich zu einer negativen Form. Benedikt Büllingens Arbeiten sind wahre Schauplätze der konfliktreichen Beziehung zwischen Sichtbarkeit, Wahrnehmung und Konditionierung des Blicks. Mit Bezug zu minimalistischer Malerei wird die Fotografie einer Entleerung unterzogen. Auch für die kulturellen, sozialen, ökonomischen und politischen Kräfte, die auf uns RezipientInnen einwirken, hat Büllingen eine kritische Sensibilität. Ihn interessiert, wie unsere Augen beim ständigen Scannen, Filtern und Auswählen unterschiedlichen Kräften ausgesetzt sind.
Das Duo diallostruempf ist stark dem Analogfilm verpflichtet. Regelmäßig sind 16mm-Filmprojektoren Bestandteil ihrer installativen Arbeiten. Nicht nur die mediale Beschaffenheit der Bilder, sondern auch die physische Präsenz und die mechanische Dynamik der Apparate werden bereits bei der Konzeption mitgedacht. Die Installation "12 / 13" besteht aus zwei 16 mm-Film-Loops, welche jeweils eine zwei Sekunden lange Aufnahme des Mondes zeigen. Bei der Präsentation in der FOTOGALERIE WIEN treten die Projektoren in einen Dialog mit der Architektur. Die Arbeit "PLUS/MINUS" von Vincent Forstenlechner & Ira Grünberger besteht aus 12 Schwarz-Weiß-Fotografien, die mit einer eigens angefertigten Lochkamera gemacht wurden. Während der Zeit des ersten Corona-Lockdowns wurde die Kamera als Gemeinschaftsprojekt gebaut. Sie ist zur Gänze aus Materialien hergestellt, die während dieser Zeit in den eigenen Wohnräumen gefunden wurden. Anschließend diente die Kamera als Werkzeug, jene Umgebung fotografisch zu untersuchen, aus der sie geschaffen wurde.
Kelly Ann Gardeners "Ariel in Counterpoint" ist Teil eines künstlerischen Forschungsprojekts zu der Landschaft von Saddleworth Moor im Norden Englands. Für die nonlineare Erzählweise der Videoinstallation hat sich Gardener die musikalische Kompositionsform des Kontrapunkts, eine Technik, in der mehrere Stimmen gleichberechtigt nebeneinanderher geführt werden, ausgeliehen. Die drei verschiedenen Tonspuren von "Ariel in Counterpoint" verlaufen streckenweise parallel, differenzieren sich schließlich und finden ihren eigenen Rhythmus, ihre eigene Zeit. Caroline Haberl nimmt eine Faszination für Murmeln aus ihrer Kindheit als Ausgangspunkt für eine experimentelle Versuchsanordnung. Neun Glaskugeln rollen in absoluter Dunkelheit über ein lichtempfindliches Farbnegativ. Die 4 x 5 Inch-Filmkassette wird unter einer Lichtquelle platziert. Sie dient als Spielfeld, auf dem die hin- und herrollenden Murmeln in immer neuen, zufälligen Ordnungen zum Stillstand kommen. Diese Momente vorübergehender Balance werden durch kurze Belichtungen in die Endgültigkeit des Kodakfilms überführt.
Unter den trashigen, postdigitalen Metastasen von Evi Jägles ortsbezogenem installativem Aufbau kommen die großen Männer der westlichen Philosophie zum Vorschein: Deleuze, Nietzsche, Hegel, Kant und Leibnitz werden einem wilden Gefüge von Zitaten, Verschiebungen und Deformierungen unterworfen. Sie treffen auf Einhörner und andere Fabelwesen der Popkultur und werden allesamt von Jägles hybridisierender Formensprache verschlungen. Philosophische Konzepte begegnen uns hier im Raum in der vollen Pracht ihrer Gleichzeitigkeit. Vitória MonteirosKurzfilm "a história começa a partir de nós" (dt.: Die Geschichte beginnt erst mit uns) entstand im Rahmen einer Zusammenarbeit mit dem Österreichischen Filmmuseum und basiert auf einem Buch mit Interviews brasilianischer Frauen im Exil. Aus filmischem Archivmaterial der 1970er-Jahre rekonstruiert Monteiro die Fluchterfahrung von Hunderten von Frauen, die während der brasilianischen Militärdiktatur ihre Heimat verlassen mussten. Trotz des spezifischen historischen Sujets ein Film mit trauriger Aktualität.
Melanie Mosers Arbeiten handeln vorrangig von Formen individueller Identitätsempfindungen und Körperwahrnehmungen. Die Arbeit "Beinhaarperücke" thematisiert die Bedeutung, die wir unserer Körperbehaarung in Hinblick auf Geschlechterklischees und Schönheitsideale zuweisen. Das Bild einer Frau, die sich mit schwungvoller Bewegung ein Paar transparenter Kniestrümpfe anzieht, verweist durch sein Format auf Plakatwände im öffentlichen Raum, auf Bilder, die uns aus der Werbung bekannt sind. Erst auf den zweiten Blick sticht ein irritierendes Detail hervor.
Kuratiert von: Brigitte Konyen, Johan Nane Simonsen und Patrick Winkler