Matinee: UTOPERAN19 und Thementalk
Den herbeigesehnten Ort »where troubles melt like lemon drops« gibt es nur »dort, wo du nicht bist«. »... dort ist dein Glück«, tönt es Schuberts Wanderer (der Gletschergleiche kommt »vom Gebirge her«), final darniederschmetternd, zurück.
Bertl Mütters zivilisatorisches Klangrillenabtasten (ein Abschmelzen) taumelt zwischen Sehnsucht und Ernüchterung. Ob beim Auftauen was herausapern wird, können wir vorher nicht wissen. Überschwemmungen heutzutage sind ja immer sintflutartig, gar, wenn sie Starkregen folgen, wie es ihn »seit Menschengedenken« nicht gegeben hat. Früher hat es noch Wolkenbrüche gegeben. Gottlob sind die behoben.
Menschengedenken, Amnesie.
Dass es sich bei allem Leben (erst recht bei allem Vergessen) um irreversible Vorgänge handelt, kann auch tröstlich sein, und Anlass zu größerer Hoffnung besteht kaum.
»Haben Sie auch nichts vergessen?« (Insert für Aussteigende, ÖBB)
Man wird sich doch wohl noch was wünschen dürfen. Was wünschen wir uns eigentlich?
Die Uraufführung der Musikperformance UTOPERAN! findet in Zusammenhang mit dem Themen-Talk MYTHOS ZIVILISATION statt. Dieses diskursive Format – besetzt mit namhaften Vertreter_innen aus Kunst, Philosophie und Kulturwissenschaften – greift das Leitthema des Festivals „Mythos Zivilisation“ in Verbindung mit UTOPERAN! auf, um die Frage nach den Bruchstellen des Fortschrittkonzepts westlicher Gesellschaften zu stellen.
PANEL: Barbara Blaha, Fabian Scheidler
"Derzeit erfahren wir einen Riss der Zivilisation, verursacht durch Mythen der ethnischen Reinheit und dem Segen des freien Marktes. Dagegen hilft nur ein Wagnis: Das Denken konkreter Utopien und machbarer Alternativen zum Wohle der Vielen."
Barbara Blaha
Barbara Blaha ist Gründerin, Geschäftsführerin und Sprecherin von Projekt360. Als Gründerin und Präsidentin des Momentum-Kongresses initiierte sie 2012 die führende progressive Konferenz in Österreich, die politische AktivistInnen als auch sozial- und wirtschaftswissenschaftlich tätige Wissenschaftler zusammenbringt. Als ehemaliges Mitglied des ORF-Stiftungsrats und als Leiterin des Sachbuchs im Brandstätter Verlag verfügt sie über umfangreiche Erfahrungen in der Medienbranche. Darüber hinaus ist sie seit 2007 Mitglied des Universitätsrat der Universität Salzburg, sowie Mitgründerin des Wiener Balls der Wissenschaft. Sie ist auch als Publizistin und Autorin tätig sowie Herausgeberin von akademischen Anthologien.
Aimé Cesaire schreibt darüber, „wie die Kolonisation darauf hinarbeitet, den Kolonisator zu entzivilisieren, […]“ Während also die_der sogenannte Wilde zivilisiert werden sollte, ist die_der selbsternannte Zivilisator_in zur Wilden geworden. Wer soll heute zivilisiert, diszipliniert und gleichgeschaltet werden? Wer profitiert davon? Und was geht uns dabei verloren?
Julia Harnoncourt
Julia Harnoncourt, geboren 1985, arbeitet als Historikerin zu Rassismus, Arbeitsverhältnissen, zu Kolonialismus und diversen Widerstandsbewegungen. Sie veröffentlichte zwei Bücher, eines zu Bevölkerungspolitik im kolonialen Algerien und eines zu trabalho escravo (unfreien Arbeitsverhältnissen) in Pará/Brasilien. Neben ihrer Arbeit als Sozialwissenschaftlerin ist sie als Aktivistin vor allem im Flüchtlingsbereich tätig und Teil des Vorstandes von Vielmehr für Alle! – Verein für Bildung, Wohnen und Teilhabe.
"Der Mythos des Westens erzählt von einer radikal überlegenen Zivilisation, deren Ausbreitung Frieden, Freiheit und Fortschritt bringe. Die Realität der 500jährigen Expansion der kapitalistischen Zivilisation hat dagegen eine Verwüstungsspur von Ausbeutung, Krieg und Völkermord hinterlassen und bedroht heute die Zukunft des Lebens auf der Erde."
Fabian Scheidler
Fabian Scheidler lebt er als freischaffender Autor für Printmedien, Fernsehen und Theater in Berlin. 2009 gründete er mit David Goeßmann das unabhängige Fernsehmagazin Kontext TV (www.kontext-tv.de), das regelmäßig Sendungen zu Fragen globaler Gerechtigkeit produziert. Im selben Jahr erhielt der den Otto-Brenner-Medienpreis für kritischen Journalismus. Als Dramaturg und Theaterautor arbeitete er viele Jahre für das Berliner Grips Theater. 2013 wurde seine Oper Tod eines Bankers (Musik: Andreas Kersting) am Gerhart-Hauptmann-Theater in Görlitz uraufgeführt. 2015 erschien Fabian Scheidlers Buch Das Ende der Megamaschine. Geschichte einer scheiternden Zivilisation (www.megamaschione.org), das mittlerweile in der 10. Auflage ist. Die Robert-Jungk-Bibliothek für Zukunftsfragen wählte es zu den „TOP 10 der Zukunftsliteratur“, Übersetzungen in mehrere Sprachen. 2017 erschien Chaos. Das neue Zeitalter der Revolutionen (www.revolutionen.org).