Zwischen Ost und West

(c) Claudia Rorarius

Zwischen Ost und West

Masha Qrella gibt einen Einblick in "WOANDERS"

"Wir soll ich dir das beschreiben. Ich kann nicht tanzen." schreibt Thomas Brasch und singt Masha Qrella in der Vertonung von Thomas Braschs Gedichten. Im Interview gibt sie Einblick in die Entstehung.

"Thomas Brasch hat vor allem in seinen Gedichten eine Art und Weise gefunden, das Wesen dessen vorauszusagen, an dem unsere Gesellschaft heute krankt: am Verlust und Zusammenbruch der eigenen Persönlichkeit." beschreibt Masha Qrella im Logbuch Suhrkamp ihren Zugang zu Thomas Brasch. Im Interview mit dem WUK Magazin gibt die Musikerin und Sängerin einen vertiefenden Einblick in ihre aktuelle Produktion "WOANDERS".

In „WOANDERS“ vertonst du Gedichte von Thomas Brasch, einem deutschen Schriftsteller, Dramatiker und Lyriker. Was fasziniert dich an seinen Texten und wie bist du an die Vertonung herangegangen?

Masha Qrella: Ich habe russische Wurzeln, meine Eltern sind Prototypen des Homo Sowjetikus, so wie ihn die weissrussische Schriftstellerin Swetlana Alexijewitsch in ihrem Buch „Secondhand-Zeit“ beschreibt. Mein Bruder ist in Moskau geboren, aber ich kam in der DDR zur Welt und bin im Berlin der 1990er Jahre groß geworden. Eine aufregende Zeit, aber heute würde ich sagen, dass die politische Wende meine Generation in eine Art Zwischenwelt entlassen hat, die bei mir zunächst über viele Jahre zu einer Art Sprachlosigkeit geführt hat. Für mich war die Musik eine Fahrkarte in den Westen.
Für diesen Zwischenraum, das Leben zwischen zwei Welten, zwischen Ost und West, zwischen Vergangenheit und Gegenwart, zwischen Utopie und Realität hat Thomas Brasch schon viele Jahre zuvor eine Sprache gefunden. Er war bereits 1976 von Ost- nach Westberlin gegangen und hat den radikalen Wechsel erlebt, der uns alle Jahre später eingeholt hat. In seinen Gedichten habe ich mich wiedergefunden, mit meiner eigenen Sehnsucht nach Utopie und nach einer Haltung zu den Widersprüchen unserer Zeit.
Das hat mich fasziniert. Ich hatte ursprünglich nicht vor, die Texte zu vertonen. Mich haben zunächst einzelne Zeilen, v.a. aus seinen Gedichten, nicht mehr losgelassen. Ich fing an sie zu singen, auf dem Fahrrad, in der U-Bahn, sie als Grußbotschaften ins Handy zu spielen und an Freunde zu schicken. Aus diesen kurzen Skizzen wurden Songs. Aus einer Handvoll Songs die Idee für einen Abend, der mehr ist, als nur ein Konzert. Gemeinsam mit Christina Runge (Dramaturgie) und Diana Näcke (Videokonzeption) haben wir begonnen über eine Form nachzudenken, diese hochaktuellen und poetischen Texte in einen Raum zu übersetzen, in eine Art erweiterten Textraum, der nicht die schillernde Figur Brasch, sondern seine Gedichte in den Mittelpunkt stellt.

Angekündigt wird „WOANDERS“ als Konzert | Performance | Installation, sie entzieht sich demnach gängiger Genrekategorien, benennt diese aber gleichzeitig. Wie lässt sich der Abend in Worten beschreiben?

Masha Qrella: „Wie soll ich dir das beschreiben? Ich kann nicht tanzen, ich warte nur, in einem Saal aus Stille hier treiben Geister ihren Tanz gegen die Uhr.“ Thomas Braschs Gedichte sind das Herzstück von WOANDERS. Gemeinsam erschaffen wir (Musiker, Videokünstler- und szenographen, Bühnenbild und Lichtdesign) diesen zuvor beschriebenen erweiterten Textraum. WOANDERS ist ein musikalischer Papiertiger. Eine Gratwanderung zwischen intimen Momenten und Straßenfluchten, zwischen Romantik und Maschinen, zwischen analog und digital, Ost und West, Mann und Frau. Es geht um Einsamkeit, Illusion, Utopien und Tod. Es geht um die Suche nach etwas, dass uns raus führt aus dem Dilemma unserer eigenen Biografien. Zum Schluss ist Thomas Brasch in Gedichten und Gedanken bei uns, einer von uns, mit uns auf der Bühne. 

Die Musik hast du gemeinsam mit Andreas Bonkowski und Chris Imler entwickelt. Xenorama steuert die Medienszenographie bei. Welche Aspekte waren dir bei der Zusammenarbeit besonders wichtig?

Masha Qrella: Das Konzept für den Abend entstand im Trio (Christina Runge, Diana Näcke und ich). Ich schrieb die Songs, Diana entwickelte das visuelle Konzept und Christina überblickte die Themen und die möglichen Räume, die uns neben dem klassischen Konzertrahmen zur Verfügung standen. Die Zusammenarbeit mit Andreas Bonkowski und Chris Imler für die Live-Umsetzung der Songs war dann sozusagen meine Baustelle, die Zusammenarbeit mit den Medienszenographen von Xenorama fiel in den Aufgabenbereich von Diana. Christina hat v.a. die Zusammenarbeit mit Emma Cattell (Bühnenbild) und Max Wegner (Lichtdesign) im Fokus gehabt und schlussendlich zwischen allen Departments vermittelt. Für mich war die Zusammenarbeit in dieser Komplexität neu. Ich denke jeder von uns würde die Frage nach besonders wichtigen Aspekten der Zusammenarbeit anders beantworten. Für mich persönlich war es zunächst einmal wichtig, den Prozess des Songschreibens teilen zu können, einen Entwurf für einen Song an Diana und Christina zu schicken und mit Leuten, die nicht Musikerinnen sind, sondern in dem Fall Filmemacherin und Dramaturgin über das, was die Musik erzählt, zu sprechen. Darüber, auf welchen Boden die Texte fallen, bei jedem einzelnen von uns und Entsprechungen dafür zu finden.

Unter dem Titel „Wie soll ich dir das beschreiben“ haben wir ein paar Monate vor der Premiere beim Pop-Kultur-Festival in Berlin ein Zwischenformat von WOANDERS präsentiert. In einem öffentlichen Selbstgespräch habe ich im Kontext meiner eigenen Biografie erste Entwürfe der Songs vorgestellt und so meine persönliche Motivation formuliert, warum ich diese Texte vertone. Auf diese Art und Weise konnte ich einen wichtigen Teil meiner persönlichen Auseinandersetzung öffentlich machen. Damit war der Weg frei für WOANDERS und für eine wirkliche Erweiterung des Textraumes mit anderen Künstlern und für andere, neue Gedanken. Auch für andere Versionen der Songs, die nun wiederum auf der musikalischen Ebene in Zusammenarbeit mit Chris Imler und Andreas Bonkowski entstehen konnten. Unsere Proben waren ausgedehnte „Sessions“, in denen wir die musikalischen Motive auf den Kopf stellten, um sie wieder neu zusammenzusetzen. Ähnlich erging es Diana mit Xenorama. Viele Momente in WOANDERS sind live flexibel und tatsächlich „spielbar“, sowohl auf der musikalischen, als auch auf der bildlichen Ebene.

Für deine Aufführungen in Wien hast du Andreas Spechtl, Tarwater und Marion Brasch als Gäst_innen eingeladen. Wie ist die Zusammenarbeit mit ihnen entstanden und warum hast du dich für diese Gäst_innen entschieden?

Masha Qrella: Marion Braschs Roman „Ab jetzt ist Ruhe“, der die Familiengeschichte der Braschs erzählt war meine erste „Begegnung“ mit Thomas Brasch. Ich mochte Marions Perspektive, sie kam mir vertraut vor. Die Perspektive der kleinen Schwester, beobachtend, liebevoll und ein bisschen naiv. Es gab Parallelen zu meiner eigenen Familiengeschichte. Eine Familie der DDR-Nomenklatura, eine Geschichte, die ich über Jahre ausgeblendet hatte. Da war Nähe und Distanz, eine Möglichkeit sich der eigenen Geschichte anzunähern. 

Außerdem mochte ich Marions Radiostimme (sie war und ist Radiomoderatorin, zunächst beim Radiosender DT64, später und heute bei Radio 1). Ihre Sprechstimme und damit die Brasch-Familie in einem zentralen Song von WOANDERS einzubauen, ist ein wichtiger biografischer Moment im Stück. Gleichzeitig ist es einer, der auf gesamtdeutsche Geschichte blickt: „Wer geht wohin weg / wer bleibt warum wo / Unter der festen Wolke ein Leck / Alexanderplatz und Bahnhof Zoo / Abschied von Morgen / Ankunft gestern / das ist der deutsche Traum / Endlich verbrüdern sich die Schwestern / zwei Hexen unterm Apfelbaum…“

Die Band Tarwater habe ich schon immer dafür verehrt, dass sie ihre ostdeutsche Punkvergangenheit übersetzt bekommen haben in eine für mich damals in den 90er Jahren hochmoderne elektronische Ästhetik. Ihr Song Watersample war für mich der Inbegriff unserer Tarkowski- und Tschechow-Prägung, übersetzt und exportiert in die westliche Welt. Ohne Verrat und gleichzeitig lesbar für andere. Musik ist für mich eine der wichtigsten Formen des Kulturtransfers. Tarwater waren eine der wenigen „ostdeutschen“ Bands, die das so elegant und sexy gelöst und eine Ästhetik geschaffen haben, die stolz das Eigene behauptet, ohne in die Ostalgie-Falle zu tappen.

Andreas Spechtl mochte ich für seine Art mit seiner Band Ja, Panik! englische und deutsche Texte zu mischen und als Österreicher irgendwie andere Themen am Start zu haben als viele deutsche Bands. Und dann hatte ich diesen Text von Maschinen vor mir „Nach der Arbeit an den Maschinen / träumen die Leute von den Maschinen / wovon träumen die Maschinen / nach der Arbeit an den Leuten“ und dachte dabei an Andreas, an den Wechsel von Ja, Panik! zu Andreas Spechtl solo, von einer Band zu rechnergenerierter Musik. Mich hat interessiert, wie es wohl klingt, wenn er diesen Text singt und was passiert, wenn der Song durch sein Modular-System läuft und sozusagen aus dem Analogen ins Digitale mutiert. Maschinen ist live einer der musikalischen Höhepunkte im Set, unberechenbar und energetisch, auch Dank des vertrauten Zusammenspiels von Chris Imler und Andreas (bei den Türen und Andreas Spechtl solo).


Andreas Spechtl, Tarwater und Marion Brasch waren neben Dirk von Lowtzow auch die Gäste, die schon bei den Aufführungen am HAU Hebbel am Ufer in Berlin mit dabei waren. Dirk konnte diesmal leider nicht. Umso mehr freue ich mich, dass die anderen die Zeit gefunden haben, mit nach Wien zu kommen. Die Zusammenarbeit mit jedem Einzelnen von ihnen ist ein Geschenk.

Masha Qrella: WOANDERS

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