Zwischen Brüssel und Wien, Gemeinschaft und Distanz
Wien und Brüssel könnten auf den ersten Blick kaum unterschiedlicher sein. In der einen Stadt: imperiale Palais, leistbare Gemeindebauten und Baden in der Donau. Auf dem Weg dorthin warten die Menschen geduldig an den Fußgängerampeln, bis es grün wird. In der anderen Stadt wird die Ampelfarbe eher als Empfehlung verstanden. Die Häuser sind schmal, Abfallsäcke werden zur Abholung einfach auf dem Gehsteig gestapelt, und der Himmel ist auch im Sommer häufiger grau als blau. Brüssel ist eine kosmopolitische Metropole und für viele synonym mit der EU, doch wer einmal dort war, weiß, dass die Stadt an vielen Stellen kaum daran erinnert, die de facto Hauptstadt Europas zu sein.
Was Wien und Brüssel verbindet, sind Menschen, die sich mit Hingabe dem Film und der zeitgenössischen Kunst widmen, sowie der damit einhergehende Reichtum an Off-Spaces, Künstler*innenkollektiven und von Künstler*innen geführten Organisationen. Eines dieser belgischen Kollektive ist elephy: vier Frauen unterschiedlicher Herkunft, die sich mit Film, Fotografie und Text auseinandersetzen, um sozioökonomische Realitäten, insbesondere jene von Frauen, zu beleuchten. Ihre Arbeiten sind oft dokumentarisch, stets einfühlsam, unironisch und zeichnen sich durch einen hohen technischen Anspruch aus. Kennengelernt haben sich die Mitglieder während ihres Studiums an den Kunstakademien in Gent und Brüssel. Nach ihrem Abschluss gründeten sie 2018 das Kollektiv elephy. Statt in Konkurrenz zueinander zu treten, bündeln sie ihre Netzwerke, Kompetenzen und Ressourcen, um der Logik begrenzter Chancen, die nur einer privilegierten Minderheit offenstehen, entgegenzuwirken. Dieses Prinzip zeigt sich auch in elephys Aktivitäten jenseits der Kunstproduktion, wo sich das Kollektiv in der künstlerischen Bildung und im gesellschaftlichen Dialog engagiert. Die Gruppe organisiert Workshops zu Themen wie Ton- und Bildproduktion, Artist Film Distribution oder Elternschaft als Künstler*in – stets mit dem Ziel, andere künstlerische Praktiken zu fördern und eine offene, solidarische Gemeinschaft zu stärken.
In „Living Apart Together“ geht es daher auch um Distanzen – um Entfernungen, denen wir widersprechen, und jene, die wir brauchen. Vor allem geht es um resonierende Beziehungen, die Systeme in Schwingung bringen, und um das Hier und Dort, das sich mit wachsender Vernetztheit von einer Frage der geografischen Verortung zu einer Frage der künstlerischen und politischen Haltung wandelt. Damit ist die Ausstellung nicht nur eine Auswahl an Positionen, sondern auch ein Prozess der Annäherung – ein Vorhaben, das in Wien auf viel positiven Anklang stößt, sodass dieser Dialog auch über die Kunsthalle Exnergasse hinaus mit weiteren Partnern fortgesetzt wird. So haben das Filmmuseum, die Vienna Art Week, die Filmcoop und das Blickle Kino im November und Dezember elephy-Filme im Programm.
Der Ausstellungstitel bezieht sich auf ein Beziehungsmodell, das sich in den 1970er Jahren in den Niederlanden verbreitete, bei dem das Zusammenleben unter einem Dach nicht das ultimative Ziel in Partnerschaften darstellt. Oft waren es ältere Frauen, die jahrzehntelang mit ihren Partnern zusammengelebt und sich um die Familie gekümmert haben, die diesen Ansatz vertraten. Für sie bedeutete es, einen Raum für sich zu schaffen, in dem ihre eigenen Bedürfnisse im Vordergrund stehen können, ohne die emotionale Verbundenheit zu verlieren. Eine Frau braucht Geld und ein Zimmer für sich allein, wenn sie schreiben will, schrieb Virginia Woolf. Doch für viele Menschen ist ein solches Zimmer oder gar eine eigene Wohnung nicht leistbar, es fehlt ihnen an der nötigen finanziellen Sicherheit und damit dem mentalen Freiraum, um überhaupt eine professionelle künstlerische Praxis entwickeln zu können. Damit nicht weiterhin hauptsächlich privilegierte Menschen den Zugang zu künstlerischem Schaffen dominieren, braucht es soziale Strukturen, die diese Ungleichheiten abbauen, sowie mehr Bewusstsein und Zusammenhalt unter Kunst- und Kulturschaffenden. Living Apart Together ist daher mehr als nur ein Beziehungsmodell – es beschreibt einen Rahmen, in dem Menschen in ihrer Vielfalt existieren und Widersprüche zugelassen werden. Es schafft einen Raum, in dem individuelle Bedürfnisse und kollektives Handeln einander ergänzen und so Kunst überhaupt erst ermöglichen.
Text: Christina Stuhlberger ist Künstlerin und Gründungsmitglied von elephy.
Öffentliche Veranstaltungen im Rahmen der Ausstellung hier