Warum braucht es das WUK? Warum braucht es immer noch und immer wieder soziokulturelle Zentren (eine staatliche deutsche Pop-Funktionärin amüsierte sich neulich darüber, dass ich immer noch den Begriff „Soziokultur“ verwende...)?
Die Popkultur, überhaupt die „Zeitkultur“ ist nicht denkbar ohne utopische Orte, an denen Menschen sich und die Welt ausprobieren, ohne ökonomische Zwänge und ohne Selbstoptimierungsdruck. Wo sind Rockmusik und Punk und alles dazwischen in den 60er und 70er Jahren denn entstanden? Die Rolling Stones sind jahrelang durch kleine Clubs gezogen, die Beatles spielten monatelang im Hamburger Star-Club, wo sie sich und ihre Musik vor Publikum ausprobieren konnten. Patti Smith, die Ramones, Blondie, die Talking Heads und viele andere frühe New Yorker Punkrock- und New Wave-Bands lebten förmlich im CBGBs, „outside the society“, wie Patti Smith in einem Song formulierte. Und eine ganze Garde britischer Popstars ist aus den seit mehr als 150 Jahren bestehenden britischen Arbeiterclubs hervorgegangen, von Tom Jones, dessen Karriere in Arbeiterclubs in Wales begann, bis zu Paul Weller, der seine ersten Konzerte mit The Jam in dem Arbeiterclub spielte, in dem sein Vater Mitglied war (und der buchte The Jam dann erste Tourneen durch befreundete Arbeiterclubs).
Allerdings, zugegeben: In der Realität ist die Soziokultur ein bißchen heruntergekommen. Auf die schillernde Phase des kulturellen Aufbruchs, der Kämpfe, der Euphorie, in der „Menschen und Dinge in Feuerbrillanten gefaßt scheinen“ und „die Ekstase der Geist jeden Tages“ ist (Karl Marx), folgt die Ernüchterung, der „lange Katzenjammer“ (nochmal Marx), und die Mühen der Ebene verschleißen die Akteur_innen, sie sitzen in den eroberten Räumen und müssen plötzlich Nutzungskonzepte und Wirtschaftspläne schreiben, um die zum Überleben so dringend benötigten Zuschüsse zu erhalten. Nicht wenige geben hier auf, andere ruhen sich auf dem Erreichten aus, ein Zeichen der „bürgerlichen Revolutionen“ oder eben der Revolten der Bürgerkinder, wie sie Karl Marx beschrieben hat, „die Gesellschaft lernt, sich die Resultate ihrer Drang- und Sturmperiode anzueignen“ und sie zu verwalten. Aus den dringend benötigten kulturellen Orten in Verhandlung, aus den im doppelten Wortsinn Möglichkeitsräumen, werden häufig Orte der Stagnation. Die Mühen der Ebene...
Aber: Das Konzept der Soziokultur, der Selbstverwaltung ist noch längst nicht am Ende. Ganz im Gegenteil: Dieses Konzept von freier Kulturarbeit ist angesichts der „Imperiengeschäfte“ weltumspannender Konzertkonzerne, die die Musik nur noch als eine Art „Content-Pipeline“ für ihre profitorientierten Geschäfte betrachten, wichtiger denn je.
Wir benötigen nicht nur Räume der Reflexion, Räume also, in denen wir ungehindert ökonomischer Sachzwänge und ständiger Verfügbarkeit wieder Subjekte unseres Lebens sein können, sondern wir müssen auch Orte mit einer großen sozialen Durchlässigkeit entwickeln. Kultur-Orte, in denen nicht nur Menschen der Mittelschicht, sondern alle die Möglichkeit der Verneinung, ja die Verweigerung der Welt und somit sich selber ausprobieren können. Ein „Reservat“, wie Marcuse das „Reich der Kultur“ genannt hat. Die Mutlosigkeit und das Sich-Selbst-Unterwerfen unter marktwirtschaftliche Logik, die auch viele Programm-Macher_innen alternativer Kulturorte befallen hat, muss überwunden werden zugunsten einer radikalen und mutigen Wieder-Inbesitznahme der Kultur-Orte. Das WUK wird das, with a little help from it’s friends und hoffentlich unter starker finanzieller Förderung der Gremien, ganz sicher schaffen, und schon in wenigen Jahren wird aus der ehemaligen Lokfabrik wieder eine kulturelle Lokomotive, auf die wir Nicht-Wiener_innen voller Neid schauen und die volle Fahrt aufnimmt zu einer Schnell- (und Bummel-!)Bahn der selbstbestimmten Zeitkultur – ein utopischer Raum für alle eben.
Berthold Seliger
Publizist und Konzertagent
Bild: Elisabeth Anna