Urban Commons - Gemeingut Stadt

Supergrätzl Favoriten (c) Studio LAUT Paris Tsitsos

Urban Commons - Gemeingut Stadt

Was das Konzept der Gemeingüter alles kann

Urban Commons eröffnen einen hoffnungsvollen Weg für eine sozial und ökologisch gerechtere, demokratischere Zukunft der Stadt. Was das Konzept der Gemeingüter alles kann, erkunden WUK und urbanize! Festival gemeinsam.

„Wem gehört die Stadt?“ ist eine Frage, die sich wohl immer schon gestellt hat. Zunehmend lauter erklingt die Frage als Schlachtruf gegen die forcierte Verwertungslogik von städtischem Raum erneut seit den 1990er Jahren. Denn die Auswirkungen einer rein profitorientierten Betrachtung der Stadt, ihres Bodens, ihrer Gebäude, ihrer öffentlichen Räume sind für alle deutlich spürbar: Wohnen wird zum Luxus; der öffentliche Raum gerät zur touristischen Konsumzone inklusive Verdrängung von Unerwünschten und Unerwünschtem; Clubs schließen, weil angrenzendes, hochpreisiges Eigentum nicht gestört werden darf; etablierte soziale und kulturelle Nischenorte verschwinden aus dem Stadtraum und neue können sich ohne leistbaren Raum nicht entwickeln. Die Verwertung von allem und jedem zerstört also genau jene Qualitäten der Stadt, die ihre Besonderheit ausmachen: Die Vielfalt an Menschen und Lebensformen, das Kaleidoskop an sozialen und kulturellen Äußerungen als inhärente Qualität des Urbanen. Das „Gemeingut Stadt“ mit seinem sozialen und ökonomischen Reichtum kann nur existieren, wenn es für alle zugänglich bleibt.

Wohnstraße space and place (c) Alissar Najjar

Geteilte Verantwortung, lebendige Demokratie

Kein Wunder also, dass fieberhaft nach Möglichkeiten und Modellen gesucht wird, Denk- und Handlungsräume außerhalb der kapitalistischen Verwertungslogik zu schaffen oder zu bewahren, wo sie noch bestehen. Das Konzept der Urban Commons, urbaner Gemeingüter, die einen dritten Weg neben Privat oder Staat aufmachen, erfährt aktuell gesteigerte Aufmerksamkeit als Möglichkeit, dem städtischen Raum seinen Gebrauchswert für den Alltag der Stadtbewohner_innen zurückzugeben und die Entwicklung der Stadt gemeinsam und demokratisch zu gestalten. Die Idee der (Urban) Commons ist unauflöslich an das Commoning, dem lebendigen, demokratischen Prozess der Aushandlung und Verwaltung urbaner Gemeingüter, geknüpft. Der horizontale, demokratische Ansatz von Gemeingütern eröffnet ein ungewohntes, neues Feld jenseits der herrschenden Eigentumslogik. Commons benötigen und erzeugen ein Klima des Miteinanders, der geteilten Verantwortung und der Bereitschaft, gemeinsam zu lernen und Handlungsweisen zu hinterfragen. Als Lohn für die Anstrengung warten ein Reichtum an Begegnungen, die Belebung der demokratischen Kultur und lebenswerte Stadtteile für alle.

Veränderungen gemeinsam stemmen

Etliche europäische Städte verfügen mittlerweile über Commons-Regulatorien für die Zusammenarbeit zwischen Bürger_innen, Politik und Verwaltung, und stellen die Mittel für Projekte und Ideen der Stadtbewohner_iinnen in der Entwicklung und Verbesserung des städtischen Raums zur Verfügung. Paris etwa widmet mit dem „Budget Participatif“ jährlich rund 100 Millionen Euro als Bürger_innen-Budget für die soziale und ökologische Transformation der Stadt. Auf Initiative der Pariser_innen entstehen so neue Parks und Spielplätze, Straßenbegrünungen, Radwege, Kultur- und Sozialräume für die Nachbarschaften und vieles mehr. In Italien arbeiten Städte wie etwa Bologna, Mailand, Neapel oder Turin an der Ausweitung und Etablierung von „Bene Commune“-Projekten und schaffen so gemeinsam mit der Bevölkerung Vorzeigemodelle für die sozio-ökologische Transformation der Stadt. 

 

Kollektiv Kaorle (c) Timo Bogataj
WUK (c) Wolfgang Thaler

Erkämpfte Räume, erkämpfte Rechte

Dabei kommen die Impulse zur Schaffung von räumlichen Gemeingütern meist aus einem konkreten Bedarf der Nachbarschaften. Oftmals sind es leerstehende Gebäude oder vernachlässigte Parks und Plätze, die von engagierten Bewohner_innen für die Allgemeinheit beansprucht und geöffnet werden, um sie gemeinsam zu gestalten. Auch die heute denkmalgeschützten Räume des WUK in der alten Lokomotivfabrik wurden 1981 mit viel Engagement in langwierigen Verhandlungen erkämpft und so vor dem Abriss bewahrt. Ebenso gigantisch wie der jetzige Marktwert dieses 12.000 m² umfassenden Areals ist der unbezahlbare, soziale Gebrauchswert des WUK. Zentral mitten im 9. Bezirk situiert, dessen Teilung zwischen Arm und Reich sich bis heute entlang sozialer Stadtkanten an den Vierteln ablesen lässt, ist das WUK sozialer und kultureller Treffpunkt, Labor- und Experimentierraum für rund 150 Gruppen und 200.000 Besucher_innen jährlich. Bis heute basisdemokratisch organisiert, wirken seine Werkstätten, Kultur- und Bildungsräume als Commonsweit über den Alsergrund hinaus. Die Verhandlungen um die dringliche WUK-Generalsanierung verweisen exemplarisch auf die Rahmenbedingungen, die urbane Gemeingüter brauchen, um gedeihen zu können: Von rechtlichen Vereinbarungen mit Politik und Verwaltung, die sowohl die autonome Struktur als auch die demokratische Organisation sichern, bis zur stabilen Finanzierung urbaner Gemeingüter durch die öffentliche Hand.

Wie geht Gemeingut?

Die unterschiedlichen Logiken – des Politischen mit seiner hierarchischen und die alternativen Sozial- und Kulturräume mit ihrer basisdemokratischen Organisation – erfordern beiderseits Toleranz und Lernwillen. Innerhalb einer Welt der forcierten Eigentumslogik benötigen Gemeingutstrukturen viel Innovationskraft, sowohl was die externen als auch was die internen Prozesse der Organisation und Verwaltung betrifft. Weltweit werden deshalb urbane Commons in Theorie und Praxis intensiv erforscht, weiterentwickelt, die Erkenntnisse diskutiert und geteilt. Von 3. bis 8. Oktober lädt das 14. urbanize! Festival daher zum „Reality Check: Urban Commons“ mit Vorträgen, Stadtspaziergängen, Diskussionen, Workshops und künstlerischen Interventionen rund um die faszinierende Welt urbaner Gemeingüter. Mit einem Schwerpunkt im 9. Bezirk spannt urbanize! einen geographischen und thematischen Bogen von der Festivalzentrale in der Alten WU-Mensa bei Althangrund für Alle, über die Supergrätzel-Initiative der Agendagruppe Lichtental bis zum Straßenfest „Common Ground. Severingasse“ von WUK und HLMW9 mit Führungen durch die beiden sanierten Gebäudeteile. Die Notwendigkeit einer umfassenden sozialen und ökologischen Transformation der Stadt benötigt neue Wege des gemeinsamen Handelns: Commons here we come!

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Text: Elke Rauth

Althangrund für alle (c) Renate Schwarzmüller

Elke Rauth ist Obfrau von dérive – Verein für Stadtforschung und Redakteurin von dérive – Zeitschrift für Stadtforschung und Radio dérive. Sie ist Leiterin und Co-Kuratorin von urbanize! Int. Festival für urbane Erkundungen und mit dem Hausprojekt Bikes and Rails Teil des habiTAT Mietshäuser Syndikat.

 

Common Ground.Severingasse
Das Straßenfest zwischen WUK und HLMW9

Am 6. und 7. Oktober 2023 verwandelt sich die Severingasse zwischen WUK und HLMW9 – Schule für Wirtschaft und Mode für zwei Tage zum "Common Ground", zur nachbarschaftlichen Begegnungs- und Verweilzone, zu einem barrierefreien Ort der Begegnung für alle, zum Straßenfest.

Am Programm stehen Konzerte, Performances, Präsentationen, Workshops, eine Modeschau, ein Pop-Up Heuriger, Kunst und vieles mehr. Im Rahmen des urbanize! Int. Festival für urbane Erkundungen finden Führungen durch die denkmalgeschützten Backsteinziegelbauten des WUK und der HLMW9 statt, die ursprünglich Teil derselben Lokomotivfabrik waren.

Nähere Infos zum Programm

urbanize! Int. Festival für urbane Erkundungen

urbanize! lädt 2023 mit Vorträgen, Diskussionen, künstlerischen Interventionen, Stadtspaziergängen, Workshops und Festen zur Erkundung der Welt urbaner Gemeingüter in Theorie und Praxis. Das Konzept der Urban Commons eröffnet einen hoffnungsvollen Weg für eine mögliche, real-utopische Zukuft. Die Ausweitung von Gemeingut-Strukturen zur Schaffung von mehr Gemeinwohl und Klimagerechtigkeit ist ein lebendiger, demokratischer Prozess, der neue Allianzen zwischen Stadtbewohner:innen, Politik und Verwaltung erzeugt: Keine Commons ohne Commoners lautet die Formel.

Di 3.10. bis So 8.10.2023
www.urbanize.at

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