Stabil bleiben

Renate Bertlmann: Fadenkreuz 4. Foto © Claudia Rohrauer

Stabil bleiben

Über Kunst in politisch unruhigen Zeiten

Politische Umwälzungen können verunsichern und berechtigte Ängste auslösen. Um der Ohnmacht etwas entgegenzusetzen, braucht es Methoden der Selbstwirksamkeit. In einer gefestigten Demokratie spielt Kunst eine wichtige stabilisierende Rolle – und muss sich in ihrer Widerborstigkeit treu bleiben. Ein Beitrag von Lukas Meschik.

Lesezeit: ca. 4 Minuten

Es finden Wahlen statt. Einigkeit herrscht darüber, dass diese auf freie und faire Weise ausgerichtet werden, den verlautbarten Ergebnissen also zu trauen sein wird. Immerhin, denn diese hierzulande unhinterfragte Selbstverständlichkeit bleibt in vielen Erdteilen ein Wunschtraum. Uneinig ist sich die Bevölkerung in der Bewertung des Wahlausgangs. Während ein Drittel den Erfolg der Rechtspopulist*innen als Denkzettel für die Regierenden begrüßt, sehen viele die Machtübernahme der Menschenfeinde heraufdämmern.

Ob Sondierungsgespräche sich im Kreis drehen oder mit einem Paukenschlag für beendet erklärt werden, gehört zu den Ungewissheiten der Demokratie. Wer auf wen hätte zugehen sollen und welche Bündnisse sich als tragfähig erweisen, all das lässt sich nicht eindeutig beantworten. Hinter den Kulissen der Macht ereignen sich Dramen, von denen die*der Normalsterbliche keine Vorstellung hat, leider auch parteiinterne Machtspiele, die das Allgemeinwohl ins Hintertreffen geraten lassen.

© Michael Seirer

Der Ausgang von Verhandlungen ist offen – so offen wie der Ausgang von Wahlen. All diese Prozesse sind gerade in ihrer Ergebnisoffenheit das Wesen der Demokratie. Sie zeichnet sich dadurch aus, dass eintreten kann, was uns widerstrebt – und dass wir uns zu Wort melden und Einspruch erheben können. Jeder und jedem Einzelnen stehen Wege offen, sich produktiv einzubringen, ob durch physische Präsenz auf der Straße oder künstlerische Intervention. In der Suche nach Selbstwirksamkeit in Zeiten der Ohnmacht schlägt die Stunde der Kunst.

Gut und Böse

Wichtig ist nur, Kunst nicht mit plumpem Aktionismus zu verwechseln. Das beleidigt die Intelligenz des Publikums. Es existiert eine toxische Langeweile, die entsteht, wo sich in abgedunkelten Räumen die Guten von den Guten erzählen lassen, dass sie gut und die anderen böse sind. Oft ziehen sich diese Zeremonien kollektiver Selbstbestätigung über mehrere Stunden, bei der pubertären Verballhornung plakatierter Wahlslogans gibt es Szenenapplaus. Ich sinke in solchen Momenten peinlich berührt in mich zusammen und werde rot vor Scham. Dieses Abgreifen billigen Zuspruchs steht jenem der grölenden Bierzeltpropagandist*innen in nichts nach, bleibt aber natürlich ideologisch unbedenklicher. Ist halt keine Kunst. Echte Kunst schläfert nicht ein, sondern hält wach. Sie weckt auf und fordert heraus.

Bei politischen Umbrüchen und berechtigten Zukunftsängsten marginalisierter Gruppen ist es an der Kunst und ihren Vertreter*innen, Haltung zu zeigen. Wo es ums Ganze geht, läuft sie zur Hochform auf. Treu bleibt sie sich aber nur, wenn sie weiterhin zu kritischem Denken anregt und beim Hinterfragen von Machtstrukturen auch vor sich selbst nicht Halt macht. Wo die Welt uns Angst macht, rücken wir zusammen. Kunst aber ist nicht die warme Kuscheldecke, unter die wir schlüpfen, sondern der Versuch, das Unaussprechliche in Worte oder das Unsichtbare in Bilder zu fassen. Wenn sie es ernst meint, bleibt sie uneindeutig und geheimnisvoll.

© Michael Seirer

Demokratieunverständnis

Das Demokratieverständnis mancher Künstler*innen ist ernüchternd, weil es sich als blamables Demokratieunverständnis offenbart. Denn gelebtes Demokratiebewusstsein bedeutet nicht, fünfzehn Mal am Tag auf der sozialen Plattform seiner Wahl die Öffentlichkeit in jammervollem Ton wissen zu lassen, wohin man demnächst auswandern wird. Das ist nichts weiter als Oversharing und angewandter Narzissmus. Wer demokratische Prozesse nur dann erträgt, wenn sie Ergebnisse zeitigen, die den eigenen Vorlieben entsprechen, der hat Demokratie nicht verstanden.

Das Missverständnis der Sonntagsdemokrat*innen besteht darin, sich für Gedanken- und Verhaltensfreiheit nur dann einzusetzen, wenn deren Auslegung ihren Vorstellungen entspricht. Wie ernst es ihnen mit diesem Freiheitskampf ist, zeigt sich erst, wenn die propagierte Offenheit auf abweichende Weise befüllt wird. So wie sich erst herausstellt, ob jemand tatsächlich für Meinungsfreiheit ist, wenn er oder sie sich für die Berechtigung von Wortmeldungen einsetzt, die dem eigenen Weltbild entgegenstehen.

Haltung bewahren

Der Unterschied zwischen Kunst und Aktivismus bleibt sehr leicht erkennbar. Es ist eine Binsenweisheit, dass Kunst Fragen stellt statt Antworten zu geben. In Umbruchphasen, da viele orientierungslos nach Antworten suchen, dürfen sie gerade aus Richtung der Kunst nicht so einfach ausfallen wie jene der bedrohlichen Vereinfacher. Man kann den Rechtspopulist*innen keinen größeren Gefallen tun, als unkritisch dem Chor der gegen sie gerichteten Einheitsmeinung beizutreten. Kunst ist kratzbürstig und widerborstig. Gegenüber den Kunstfeinden mit ihren Sprechverboten und Denkvorgaben versteht sich das von selbst, aber auch unter den Gleichgesinnten darf sie es sich niemals zu bequem machen.

© Wolfgang Thaler

Kunst muss gerade in politisch turbulenten Zeiten stabil bleiben, damit man sich an ihr aufrichten kann. Künstler*innen müssen Haltung bewahren, und Haltung erkennt man daran, dass sie nicht extra benannt werden muss; wo das geschieht, handelt es sich um bloßen Meinungsexhibitionismus. Wer zu jeder tagespolitischen Ausdünstung seine Befindlichkeitsverschiebung absondert, hat meistens zu wenig Ahnung und zu viel Zeit. Haltung scheint durch und blitzt auf – und bleibt gerade darin unmissverständlich.

Kein denkender Mensch bestreitet, dass demokratiezersetzende Kräfte in den Startlöchern stehen, die einen Justizapparat auf Linie bringen und kritischen Journalismus zum Schweigen bringen wollen. Das tun sie leider immer, mal bemerkbarer, mal unauffälliger, mal befinden sie sich im Aufwind, dann wieder am Abflauen. Hier stellen sich Grundfragen der Demokratie, etwa die, ob es möglich sein darf – oder muss – sie mit demokratischen Mitteln auszuhebeln. Ein mündiges Volk hat die Aufgabe, die Amplituden von wiederkehrenden Populismuszyklen abzufangen. Kunst hat die Möglichkeit, Vorgänge mit wachen Sinnen zu begleiten – und die Pflicht, darin aufregend unberechenbar zu bleiben.

Text: Lukas Meschik, geb. 1988 in Wien, schreibt Romane, Lyrik und Essays. Zuletzt erschienen der Roman „Die Würde der Empörten“ (2023) und der Gedichtband „Form wahren. Dreizeiler“ (2024), beide im Limbus Verlag.

DEMOKRATIE
Versuchsanstalt für immer.

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