Selbstreflexion, Zukunftsvisionen und Humor
Die Rabtaldirndln, ein kreatives Kollektiv, das sich seit über zwei Jahrzehnten durch seine innovative und provokante Theaterarbeit auszeichnet, sind bekannt für ihre tiefsinnigen Inszenierungen und ihre kritische Betrachtung gesellschaftlicher Themen. Ihre einzigartige Herangehensweise an Performance-Kunst und ihre Fähigkeit, komplexe Geschichten mit Humor und Tiefgang zu erzählen, haben ihnen einen festen Platz in der österreichischen Theaterszene gesichert. Wir haben uns anlässlich ihres Gastspiels HALBZEIT mit ihnen unterhalten:
Für HALBZEIT habt ihr auf die Anfänge eurer kreativen Kollektivarbeit geblickt. Seid ihr auf Dinge gestoßen, die euch beim Zurückschauen überrascht haben? Veränderungen, die ihr erst durch die Arbeit mit HALBZEIT erkannt habt, die euch vorher nicht bewusst waren?
Die Rabtaldirndln: Mir fällt ein, dass wir im Zuge der Arbeit über ein bestimmtes Phänomen nachgedacht und das neu bewertet haben, nämlich, dass uns Menschen manchmal etwas aus ihrem Leben erzählen und dann sagen: Ha, das wär´eine Idee für ein Stück! Oder: Na, aber net, dass das in einem eurer Stücke vorkommt! (Mit dem impliziten Wunsch, dass es doch vorkommen soll). Und das hat sich immer ein wenig schal angefühlt. Weil aus einer persönlichen Anekdote ein relevantes Stück zu basteln, wir sind ja keine Jukebox. Aber dann haben wir in kurzer Zeit für HALBZEIT 40 Stücktitel inklusive Inhaltsangaben erfunden und wir waren selber in der Situation uns Ideen zu schenken und plötzlich haben wir diese Ideenvorschläge der anderen als Ausdruck ihrer Wertschätzung gesehen.
Wir haben die Halbzeit dazu genutzt, in die Zukunft zu blicken. Die Vergangenheit spricht ja ohnehin für sich, wenn du 20 Jahre kontinuierliche Theaterarbeit machst. Was wir auf jeden Fall von der Vergangenheit in die Zukunft mit nehmen wollen, ist, dass es immer Wachheit und Aufmerksamkeit braucht in Bezug auf die Wahl der Themen aber auch in der Art und Weise wie wir produzieren und gemeinsam arbeiten. Über 20 Jahre hat sich da wahninnig viel verändert. Schön, dass wir uns da als Kollektiv gemeinsam entwickeln.
Rückblickend sind wir milder geworden - nicht in unseren Anliegen aber in Hinsicht wie wir unsere Geschichten erzählen. Wir würden heute vermutlich keinen Abend mehr darüber machen, wie eine Frau ihrem Ehemann an seinem Geburtstag mit einer Pistole vor versammelten Freunden und Verwandten ins Gesicht schießt (1. Produktion der Rabtaldirndln "halbdurch, ganzdurch, tot" aus dem Jahr 2004) und nach einer Rechtfertigung ihres Verhaltens suchen. Ein Abend über eine rückwirkende Auszahlung des gender pay gaps, eine Produktion, die wir in unserer Ausschau in die Zukunft für 2023 geplant haben, wäre allerdings denkbar!
HALBZEIT behandelt die Zukunftsvisionen der Rabtaldirndln. Welche Herausforderungen wittert ihr in der Planung eurer zukünftigen Projekte für die nächsten 20 Jahre?
Was passiert, wenn jemand von uns richtig krank wird? Was, wenn eine zukünftige Regierung das zeitgenössische Theater als nicht mehr förderungswürdig erachtet? Was, wenn wir uns irgendwann nur noch wiederholen, weil uns die Themen ausgehen? Was, wenn die Leidenschaft fehlt. Wir zeichnen uns schließlich dadurch aus, dass uns immer etwas unter den Nägeln brennt und wir das dann zum Inhalt unserer Stücke machen. Das erscheint, im Anbetracht des Zustandes der Welt zwar gerade absurd, aber die Angst besteht trotzdem.
Ihr vermischt in diesem Werk Selbstreflexion und Zukunftsvisionen. Könnt ihr uns einen Einblick geben, wie diese beiden Aspekte in eurer Inszenierung miteinander verwoben sind?
Wir haben uns bei jedem der fiktiven 40 Stücke, die in der Zukunft gezeigt werden Gedanken über unsere Stärken als Performancegruppe beziehungsweise über die Erwartungshaltungen an uns gemacht. Es muss feministisch sein, es muss ländliche Codes geben, es muss relevant sein, was den Zustand der Welt betrifft, es darf zotig sein. Es darf um uns gehen, soll aber auch beim Publikum einen Resonanzraum schaffen. Und wenn ein Titel/Stück nix davon einlöst, dann packen wir unseren Humor aus.
Die Beschreibung von HALBZEIT beinhaltet eine Menge Humor und Selbstironie. Inwiefern spiegeln sich eure persönlichen Erfahrungen als Künstlerinnen in dieser humorvollen Betrachtung über das Altern und die Zukunft des Kollektivs wider?
Während der Proben zu HALBZEIT kam es erstmals vor, dass wir eine Spielserie wegen Krankheit verschieben mussten. Das Thema hat zwar immer wie ein Damoklesschwert über uns geschwebt, hat uns aber in den 20 Jahren nie erwischt. Deshalb ist Altern und Kranksein und Erschöpfung ein Teil des Abends. Und ich weiß gar nicht, ob diese Sequenzen nicht eher berührend als humorvoll sind.
"IMMER WIR!" ist eine sehr starke Aussage. Wie habt ihr es geschafft, als kollektives Theaterensemble so lange zusammenzuarbeiten und dabei eure Kreativität aufrechtzuerhalten?
Die Lust am Spielen, die Freude für jedes neue Stück thematisch in eine Welt einzutauchen, zu recherchieren, was Neues kennenzulernen. Die Hoffnung, etwas Inspirierendes auf die Bühne zu bringen. Die Freude am Zusammenarbeiten mit lustigen, kreativen Menschen. Die Wertschätzung unter den Rabtaldirndln gegenseitig und das Wissen, dass jeder Input spannend ist. Der gemeinsame Humor. Und die Fähigkeit sich selbst ein bisserl zurückzunehmen, weil ohne die anderen macht es keinen Spaß.
Wie hat euch die Zusammenarbeit mit dem Regisseur Felix Hafner dabei geholfen, eure Pläne bis zur Pensionierung zu schmieden? Haben seine Ideen das Theater-Risikoleben in eurem kreativen Portfolio erhöht oder musste er eure Visionen gar ausbremsen?
Felix Hafner hat zu Beginn mit uns die Genesis der Rabtaldirndln erforscht, hat dann einen inspirierenden Materialpool (Filme, Artikel, Musiknummern, Buchtipps, Youtubeclips) erstellt, und er hat immer die Struktur im Blick gehabt. Was die fiktiven Stückideen betrifft, war er genauso Ideengeber wie wir vier. Im Herzen ist Felix bewiesenermaßen ein Rabtaldirndl.
Und zum Abschluss muss eines noch gesagt werden: 20 Jahre Rabtaldirndln! Ein NESTROY im vergangenen Jahr für Ahnenfrauen! HERZLICHEN GLÜCKWUNSCH! Es ist kurz nach Silvester, die letzten Korken klingen noch im Ohr. Habt ihr euch denn auch gebührend selbst gefeiert, bevor ihr euch in die Arbeit gestürzt habt? Und wie sieht so eine Feier unter den Dirndln eigentlich aus?
Auf den Nestroypreis haben wir nach einem Gastspiel von BETONFIEBER im wunderbaren Kulturzentrum Eibiswald angestoßen, weil wir uns da nach der Nesroygala das erste Mal zu viert wieder gesehen haben. Und zur heurigen Weihnachtsfeier sind wir mit „unserem“ Islandpferd eine Stunde spazieren gegangen, haben uns dann gut italienisch bekochen lassen und sind letztendlich von einer kompetenten ÖAMTC-Fahrerin abgeschleppt worden.