Öffnung: eine Frage der Haltung
Dass viele Menschen bis heute auf mehreren Ebenen von der Teilhabe am Kunst- und Kulturbetrieb ausgeschlossen sind, ist die ungebrochene Realität unserer Zeit. Konzepte zur Öffnung von Kultureinrichtungen, um die gebremste Teilhabe von weiten Teilen der Bevölkerung zu überwinden, sind längst überfällig.
Kunst- und Kulturinstitutionen stehen heute mehr denn je vor der Herausforderung, Zugänglichkeit zu ermöglichen, Ausschlüssen entgegenzuwirken und für möglichst viele Menschen der Stadt relevant zu werden. Dieser Text wirft einen kritischen Blick auf die mangelnde Offenheit und Breitenwirksamkeit von Kunst- und Kulturinstitutionen, die – finanziert durch die Steuergelder einer pluralistischen Gesellschaft – weithin von mehrheitsgesellschaftlichen Positionen geprägt sind.
Das Konzept der “Offenheit” geht dabei über Fragen der Zugänglichkeit von Kunst- und Kulturinstitutionen hinsichtlich (baulicher sowie finanzieller) Barrierefreiheit hinaus. Denn wenngleich ein Abbau aller Barrieren, die Menschen daran hindern könnten, an kulturellen Aktivitäten teilzunehmen, die unumgängliche und notwendige Grundvoraussetzung für Teilhabe ist, geht eine wahrlich offene Haltung einen Schritt weiter und adressiert auch die oftmals unsichtbaren Ausschlüsse. Offenheit bedeutet eine Politik des “Hereinholens” (“Calling In”) und der Durchlässigkeit im Sinne einer aktiven Einladung – auf sämtlichen strukturellen Institutionsebenen wie Personal, Programm und Publikum, als auch einer Bereitschaft zur kritischen Analyse bestehender Strukturen und Arbeitsbedingungen. Kunst- und Kulturinstitutionen, die sich um Offenheit bemühen, legen den Fokus darauf, Menschen möglichst unterschiedlicher Biografien und Lebensrealitäten an Entscheidungsprozessen zu beteiligen und deren Perspektiven zu repräsentieren.
Allzu oft wird Zugänglichkeit lediglich auf der Ebene des Publikums betrachtet. Der Zugang zu Kunst und Kultur als Grundrecht bezieht sich jedoch ebenso auf die Produktions- und die künstlerische Schaffensebene. Eine offene und diskriminierungskritische Kunstpraxis bezieht Repräsentationsfragen auf alle Menschen, die in den (Kunst- und Kultur-) Institutionen unserer Gesellschaft arbeiten sowie auf die künstlerisch verhandelten Themen. Ein offener Zugang ist daher auch von Multiperspektivität im Kuratieren geprägt und begreift Co-Kreation als wesentlichen Bestandteil einer gerechten Kunstpraxis.
Offenheit meint einen stetigen Prozess der Infragestellung des Selbstverständnisses der sogenannten „Mehrheitsgesellschaft“ und ihrer Definitionsmacht hinsichtlich künstlerischer Qualität und des dominanten Kunstkanons. Dieser manifestiert sich nicht nur in den traditionellen Kulturinstitutionen, sondern zieht sich auch durch die freie Kunstszene. Ein diskriminierungskritischer Blick legt somit den Fokus auf unterrepräsentierte künstlerische Positionen. Es ist entscheidend, hierbei nicht ausschließlich auf Aspekte wie Migration oder Herkunft zu fokussieren, sondern Diversität in all ihren intersektionalen Facetten zu betrachten und Kategorien wie Sprache, Geschlecht, Religion, Klasse, Bildungshintergrund sowie persönliche Vorlieben, körperliche Verfassung und Alter usw. zu berücksichtigen. Denn erst eine Vielfalt an biografischen, künstlerischen und Bildungshintergründen sowie Sprachkenntnissen ermöglicht unterschiedliche Perspektiven und Haltungen, die in den künstlerischen Schaffensprozess einfließen und zu einem heterogenen kulturellen Angebot beitragen.
Dieser Prozess beginnt somit bei der Reflexion der eigenen Positionierung im Kulturbetrieb – sowohl als Individuum, als auch als Haus (“Inreach”). Diversität ist ein Denkraum, in dem eigene Privilegien wieder und wieder hinterfragt werden müssen, um Strategien der Umverteilung erarbeiten zu können und eine diskriminierungskritische Haltung zu trainieren.
Ein erster Schritt ist das Zurverfügungstellen von Ressourcen und das Aufbauen von Vertrauen in der Zusammenarbeit. Lokale Kooperationen, insbesondere mit Kunst- und Kulturvereinen, Organisationen und Initiativen, im Rahmen derer Räumlichkeiten zur Verfügung gestellt werden, ermöglichen einen intensiven Austausch mit spezifischen Dialoggruppen. Über die Planung der Veranstaltungen, entsteht wichtige Beziehungsarbeit und ein Aushandlungs- und (Ver-) Lernprozess, bei dem bestehende Produktionslogiken bedürfnisorientiert hinterfragt werden. So gibt es mitunter Gruppen und Kollektive, die nur unter bestimmten (z.B. räumlichen) Voraussetzungen tätig werden können und wollen – eine offene Institution versucht auf diese artikulierten Bedürfnisse einzugehen.
Hierbei ist es wichtig sich als Team stetig diskriminierungskritisch fortzubilden, z.B. in Form von spezifischen Sensibilisierungsworkshops, je nachdem mit welcher Dialoggruppe zusammengearbeitet wird. Dies hilft, ein Bewusstsein für sichtbare und unsichtbare Barrieren aufzubauen und zu stärken und einer möglichen Reproduktion von Ausschlussmechanismen oder Tokenismus, die rein symbolhafte Anstrengung marginalisierte Gruppen zur eigenen Profilierung sichtbar zu machen, vorzubeugen.
Auch für die lokale Vernetzung sind Diskussionsräume, wie politische Gastveranstaltungen rund um Fragestellungen zu Diversität und Ausschlüssen wichtig, um Initiativen, die sich diskriminierungskritisch artikulieren möchten, den Raum zu bieten.
Beim Kuratieren der künstlerischen Formate geht es um das Zentrieren von marginalisierten Künstler_innen, als selbstverständlichen Teil des regulären Programms – nicht als gelegentliche Token-Positionen einer “Diversity-Schiene” oder “Outreach-Initiative”, welche als Maßnahme unabhängig vom Kernprogramm implementiert wird. Ein weiterer Schritt über das Hosten von Gastveranstaltungen hinaus, sind co-kreative Produktionen, bei denen Künstler_innen gezielt eingeladen werden, um sich gemeinsam in künstlerische Schaffensprozesse zu begeben. Derartige Formen der Zusammenarbeit können zu einem wichtigen institutionellen (Ver-) Lernprozess beitragen, um das eigene Verständnis dessen, was Offenheit bedeutet, immer wieder zu überprüfen und weiterzuentwickeln. All das bedarf ein Commitment zur kontinuierlichen Arbeit an den eigenen Strukturen, um sichtbare und unsichtbare Ausschlüsse zu erkennen und Schritt für Schritt abzubauen.
Elisabeth Bernroitner war bis März 2024 Teil des Co-Leitungsteams der Brunnenpassage und kuratiert seit 2011 den Programmbereich Theater & Performance. In ihrer kuratorischen Arbeitspraxis beschäftigt sie sich mit diversitätsfokussierten künstlerischen Konzepten, den (Un-) Möglichkeiten (post-) migrantischer Selbstartikulation und dekonstruierenden Kunstpraxen. Sie ist Teil von D/Arts und als Lektorin, Trainerin sowie Beraterin zu Diversität in der Kunst tätig.
Zuzana Ernst ist seit 2017 Teil des künstlerischen Leitungsteams der Brunnenpassage und hat 2020 das D/Arts-Projektbüro für Diversität und urbanen Dialog mitgegründet. Sie ist Künstlerin und Szenografin. In ihrer Arbeit und Recherche befasst sie sich mit Care und Deep Listening Praxen, als relationale und de-hierarchisierende Strategien im künstlerischen Prozess.