Öffnen wir Österreich für demokratische Beteiligung

© Stadt Wien / Bubu Dujmic

Öffnen wir Österreich für demokratische Beteiligung

Ein Beitrag von Alexander Pollak, SOS Mitmensch, zur anstehenden Nationalratswahl

Der Ausschluss von immer mehr in Österreich lebenden Menschen vom Wahlrecht ist kein Naturgesetz. Über einen langen Zeitraum ging die Entwicklung in Richtung inklusivere Demokratie. Doch das wurde von der Politik jäh gestoppt, zum Schaden unserer Gesellschaft. Ein Beitrag von Alexander Pollak, Mitgeschäftsführer und Sprecher der Menschenrechtsorganisation SOS Mitmensch.

Wenn bei der kommenden Nationalratswahl in Österreich jede fünfte hier lebende Person im Wahlalter aufgrund der „falschen“ Staatsbürgerschaft nicht mehr wählen darf und in Wien bereits mehr als ein Drittel der Wohnbevölkerung vom Wählen ausgeschlossen ist, dann ist das ein Problem. Denn Demokratie lebt von Beteiligung, nicht von Ausschluss.

Hintergrund des zunehmenden Ausschlusses ist, dass Österreich ein sehr restriktives Wahlrecht und darüber hinaus die ausgrenzendsten Einbürgerungsbestimmungen in ganz Europa hat. Selbst hier geborene Kinder müssen über ihre Eltern ein Mindesteinkommen nachweisen, um sich einbürgern lassen zu können. Das heißt, Kinder und Jugendliche, deren Eltern nicht genug Geld verdienen, haben keine Chance auf die Staatsbürgerschaft und sind bei Erreichen des Wahlalters von 16 Jahren von demokratischer Beteiligung ausgeschlossen.

Ein Großteil der Menschen, die vom Wahlausschluss betroffen sind, lebt schon lange in Österreich, immer mehr sind sogar hier geboren. In Wien könnte man inzwischen Fußballstadien mit jungen Wiener_innen füllen, die hier aufgewachsen sind, aber teilweise nicht einmal in ihrem Heimatbezirk, geschweige denn auf Landes- oder Bundesebene, wählen dürfen. Das tut den betroffenen jungen Menschen nicht gut, weil sie keine Zugehörigkeit zu unserer Demokratie entwickeln können. Und das tut unserer Demokratie nicht gut, weil sie zu einer Schrumpfdemokratie wird.

Staatsbürgerschaft ein unerreichbar hohes Gut

Die Staatsbürgerschaft sei ein „hohes Gut“, begründen Teile der Politik den Ausschluss. Doch in Österreich ist die Staatsbürgerschaft für viele zu einem unerreichbar hohen Gut geworden. Damit schützt das extrem restriktive Staatsbürgerschaftsrecht unsere Demokratie nicht mehr, sondern es gefährdet sie, weil immer mehr hier lebende Menschen mit demokratischer Praxis nicht mehr in Berührung kommen.

Das war keineswegs immer so. Erst in den vergangenen 25 Jahren wurden die Einbürgerungsbestimmungen in Österreich immer mehr verengt und immer höhere und teilweise sozial ausgrenzende Hürden eingezogen. Diese Hürden haben einen großen Anteil daran, dass die Schere zwischen Wohnbevölkerung und wahlberechtigter Bevölkerung immer weiter aufgeht. Und jeden Tag kommen weitere 50 Kinder hier zur Welt, die trotz Geburt im Land nicht die Staatsbürgerschaft erhalten. Auch viele, die, so wie der Autor dieses Beitrages, die österreichische Staatsbürgerschaft bei ihrer Geburt geschenkt bekommen haben, hätten heute keine Chance sie zu erhalten, wenn sie einen Einbürgerungsantrag stellen müssten.

In unserem Nachbarland Deutschland hat es eine andere Entwicklung des Staatsbürgerschaftsrechts gegeben. Im Land geborene Kinder, deren Eltern nicht die deutsche Staatsbürgerschaft haben, erhalten bei ihrer Geburt automatisch die Landesstaatsbürgerschaft, wenn die Eltern schon fünf Jahre oder länger legal im Land leben. Damit gelten diese Kinder nicht, wie in Österreich, von Geburt an als „Fremde“, sondern haben gleiche Rechte und Möglichkeiten wie andere Kinder.

Mit der von mehr als 40.000 Menschen unterstützten „Hiergeboren“-Initiative kämpft SOS Mitmensch gemeinsam mit Betroffenen für einen fairen Zugang zur Staatsbürgerschaft. Und mit der „Pass Egal Wahl“, die auch heuer wieder anlässlich der Nationalratswahl stattfindet, setzt sich SOS Mitmensch dafür ein, dass alle, die hier längerfristig leben, auch hier mitbestimmen können.

© Victoria Nazarova

Ausschließendes Wahlrecht kein Naturgesetz

Denn auch das ausschließende Wahlrecht in Österreich ist kein unabänderliches Naturgesetz, wie ein Blick in die geschichtliche Entwicklung zeigt, die über einen langen Zeitraum in Richtung mehr Offenheit ging. So galt in der Doppelmonarchie Österreich-Ungarn zwischen 1848 und 1896 noch das Motto: „Nur Reiche dürfen wählen!“. Damals durften nur weniger als 10 Prozent der männlichen Bevölkerung an Wahlen teilnehmen. Frauen hatten nur dann eine Stimme, wenn sie alleinige Großgrundbesitzerinnen waren. Und auch dann durften sie ihre Stimme nicht selbst abgeben, sondern brauchten eine Vertretung. 1896 änderte sich das Motto hin zu: „Wählen ist Männerrecht! Aber nicht jede Stimme ist gleich viel wert!“. Zwar durften ab 1896 alle männlichen Staatsbürger wählen, aber es gab unterschiedliche „Kurien“, mit unterschiedlich viel Macht. Im Jahr 1907 endete das Kurienwahlrecht. Von da an war jede männliche Wahlstimme tatsächlich gleich viel wert. Am 12. November 1918 wurde schließlich nach langem Kampf ein Gesetz verabschiedet, mit dem auch die in Österreich lebenden Frauen das allgemeine und gleiche Wahlrecht erlangten. In den Jahren 1994 und 2007 erfolgten weitere Öffnungen des Wahlrechts: EU-Bürger_innen durften auf kommunaler Ebene wählen und das Wahlalter wurde auf 16 Jahre gesenkt.

Entgegen dieser Geschichte einer zunehmenden Öffnung und Demokratisierung, steigt in den letzten Jahren der Anteil der in Österreich lebenden Menschen, die vom Wahlrecht ausgeschlossen sind, kontinuierlich massiv an. Bei der kommenden Nationalratswahl ist eine Bevölkerung in der Größenordnung von Vorarlberg, Tirol und Burgenland zusammengenommen von der Wahl ausgeschlossen. Fast 1,5 Millionen Menschen dürfen nicht zur Urne schreiten, obwohl sie das Wahlalter von 16 Jahren erreicht haben.

Dieser zunehmende Ausschluss von der Demokratie ist fatal, und er ist, wie die Geschichte zeigt, veränderbar. Nutzen wir daher die Möglichkeit, die Demokratie für die Menschen, die hier leben, zu öffnen und öffnen wir damit zugleich alle Menschen, die hier leben, für unsere Demokratie.

Alexander Pollakist Mitgeschäftsführer und Sprecher der Menschenrechtsorganisation SOS Mitmensch, die anlässlich der bevorstehenden Nationalratswahl zum vierzehnten Mal eine „Pass Egal Wahl“ abhält, bei der auch Menschen ohne österreichischen Pass ihre Stimme abgeben können.

Pass Egal Wahl im WUK

Von Fr 30.8. bis Mo 23.9.2024 kannst du deine Stimme im WUK Informationsbüro abgeben – Pass egal!

Mo bis Fr, 9 – 20 Uhr
Sa, So und feiertags, 15 – 20 Uhr

www.passegalwahl.at

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