Manchmal bedeutet nachhaltig zu fotografieren auch weniger Bilder zu machen
Um ein analog fotografiertes Bild überhaupt betrachten zu können, bedarf es einer chemischen Reaktion, um das Foto zu entwickeln. Doch die verwendeten Chemikalien können für Mensch und Natur giftig sein. Die perfekte Ausleuchtung kostet Energie und auch bei der Produktion von Fotoequipment enstehen CO2, Müll und (Hart-)Plastikreste, die nicht zwangsläufig recycelt werden (können).
Die FOTOGALERIE WIEN im WUK beleuchtet mit der Ausstellung "Die Grüne Kammer" nachhaltige Fotografiepraxen, die nach Alternativen zu herkömmlichen Herstellungs- und Entwicklungsprozessen suchen. Ausgestattet mit einem gewissen alchemistischen Interesse experimentieren Fotograf_innen zum Beispiel mit alternativen, pflanzlichen Fotoentwicklern wie Rosmarin, Heidelbeeren und Kaffee. Bei manchen kommt eine Lösung aus Waschsoda und Vitamin C zum Einsatz oder es wird auf recyceltes Material zurückgegriffen. All diesen Verfahren gemein ist ein anderer Umgang mit Fotografie, der eine andere Materialität erzeugt und neue Blickwinkel eröffnet.
Johan Nane Simonsen, Teil des FOTOGALERIE WIEN Kollektivs, gibt im Interview mit dem WUK Magazin Einblick in die Ausstellung "Die Grüne Kammer" und was es bedeutet einer nachhaltige Fotografiepraxis zu folgen. Die Ausstellung findet in Kooperation mit drei Wiener Dunkelkammern, dem Fotolabor Lumen X im WUK, der Werkstätte Analoge Fotografie an der Universität für angewandte Kunst Wien und der filmkoop wien statt. Zudem gibt es offene Workshops, in denen mit alternativen fotografischen Prozessen selbst experimentiert werden kann.
Fotografie und Nachhaltigkeit sind zwei Themen, deren Verbindung nicht sofort ins Auge springt – zumindest nicht wenn es um das Fotografieren an sich geht und nicht um das, was abgebildet wird. Inwiefern ist es notwendig auch bei fotografischen Prozessen Nachhaltigkeit zu berücksichtigen?
Johan Nane Simonsen: Wenn man die Leute im Alltag beobachtet, hat man das Gefühl, sie schenken den – Großteils fotografischen – Bildern auf ihren Handys mehr Aufmerksamkeit als der physischen Realität. Also ich glaube man kann sagen: Fotografie prägt unser Weltbild unglaublich stark. Ich glaube, dass die Kunst ein guter Ort ist, um über die ganz grundlegenden Dinge nachzudenken. Sie bietet die Freiheit, spielerisch und experimentell nach neuen Möglichkeiten zu suchen. In der FOTOGALERIE WIEN zeigen wir Künstler_innen, die genau das tun. Wenn es uns gelingt, Fotografie neu zu denken, können wir einen neuen Blick auf die Welt gewinnen. Das halte ich angesichts der Klimakrise für bitter nötig.
Wie kann eine nachhaltige Fotografiepraxis aussehen?
Johan Nane Simonsen: Da gibt es viele Möglichkeiten, angefangen von Arbeit mit recycelten Materialien und Chemie bis hin zur Entwicklung völlig neuer Verfahren, die giftige Substanzen durch pflanzliche Materialien ersetzen. Man kann analoge Fotografien z.B. mit Kaffee oder Rosmarin entwickeln. Wichtig finde ich es auch, noch vor dem Drücken auf den Auslöser anzusetzen: manchmal bedeutet nachhaltig zu fotografieren auch weniger Bilder zu machen.
Welchen Einfluss haben die verwendeten Materialien und Methoden auf das fertige Bild?
Johan Nane Simonsen: Das Schöne an der Arbeit mit ungiftigen, natürliche Materialien ist, dass man so direkt und intuitiv in den fotografischen Prozess eingreifen kann. Man sieht den Bildern ihre experimentelle Herkunft an, sie haben eine ganz neuartige Aura und Materialität, etwas Geheimnisvolles. Magdalena Chan z.B. hat ihre Bilder so lange im Salzwasser zum Fixieren gelassen, dass sich kleine Kristalle auf dem Papier gebildet haben. Solche „Fehler“ können zugelassen und poetisch zum Teil der künstlerischen Aussage gemacht werden.
Wie etabliert sind nachhaltige Fotografieprozesse? Ist das etwas, das bereits sehr publik ist oder etwas, mit dem nur sehr wenige experimentieren?
Johan Nane Simonsen: Es gibt überall auf der Welt Fotograf_innen, die mit diesen Techniken experimentieren. Eine Art alchimistisches Interesse ist ja bei vielen Leuten, die analog fotografieren vorhanden. Gerade in den letzten Jahren sieht man z.B. wieder viele Leute, die mit Cyanotypien, einem Blaudruckverfahren, das auf Eisen beruht, experimentieren. Insgesamt ist es noch eine kleine Nische aber das Interesse ist von vielen Seiten da – wir versuchen auch mit dieser Ausstellung der Bewegung zusätzlichen Schwung zu verleihen.
Begleitend zur Ausstellung bietet ihr in Kooperation mit dem Fotolabor Lumen X, der Werkstätte Analoge Fotografie an der Universität für angewandte Kunst Wien und der filmkoop wien Workshops an, die für alle zugänglich sind. Mit was kann in diesen Workshops experimentiert werden?
Johan Nane Simonsen: Vor allem eignen sich die Workshops auch dazu, die jeweiligen Dunkelkammern kennen zu lernen und Gleichgesinnte zu treffen. Man kann gemeinsam mit recycelten Fotomaterialien experimentieren. Man kann lernen, wie man mit abgelaufener Chemie abstrakte, malerische Bilder herstellt. Man kann auch Filme mit Rosmarin oder mit diversen Küchenabfällen entwickeln. Eine Wand in der Ausstellung wird sukzessive mit den Ergebnissen bestückt und zum Abschluss zeigen wir filmische Arbeiten, die während der Workshops entstanden sind.
WORKSHOPS IN WIENER DUNKELKAMMERN
Im Rahmen von Workshops ist auch das Publikum zum Experiment mit alternativen Bildverfahren und Entwicklungsmethoden eingeladen, in denen zum Beispiel mit Heidelbeeren ein Super8-Film entwickelt oder der photochemischen Prozess der Phytographie erforscht wird.
Foto: "Photosynthegraph - Die Milchmagd (Vermeer)", 2019 © Yoko Shimizu
HEIDELBEEREN
➔ Fr., 3. Mai, 13.00–19.00 Uhr
✱ filmkoop wien, Komödiengasse 8, 1020 Wien Teilnahmegebühr: € 75 / Teilnehmer:innenzahl: 8, Anmeldung: workshops@filmkoopwien.at
Film in DIY-Bio-Entwickler aus Heidelbeeren: In diesem Workshop wird in der Gruppe ein Super8-Film belichtet und anschließend in selbstgebrauter Bio-Chemie aus Heidelbeeren entwickelt.
CHEMIEGRAMME
➔ Sa., 4. Mai, 14.00–18.00 Uhr und Sa., 18. Mai, 14.00–18.00 Uhr
✱ Lumen X – offenes Fotolabor im WUK, Währinger Str. 59/Stiege 5, 1090 Wien Teilnahmegebühr: € 60 / Teilnehmer:innenzahl: 8, Anmeldung: lumenx@gmx.at
Lumen X – das offene Fotolabor bietet im Rahmen der Grünen Kammer die Ge- legenheit, sich mit Chemigrammen zu beschäftigen, einer analogen Kunstform, die eine einzigartige Verbindung von Kontrolle und Zufall herstellt. Wir verwenden dazu ausschließlich recycelte Fotomaterialien aus alten Beständen.
PHYTOGRAMME
➔ Sa., 18. Mai, 12.00–16.00 Uhr
✱ filmkoop wien, Komödiengasse 8, 1020 Wien Teilnahmegebühr: € 50 /Teilnehmer:innenzahl: 10. Anmeldung: workshops@filmkoopwien.at
In diesem Workshop wird die filmkoop wien Teilnehmer:innen den alternativen photochemischen Prozess der Phytographie beibringen. Alle Materialien werden zur Verfügung gestellt, Vorkenntnisse im Bereich Film oder Fotografie sind nicht erforderlich.
KOMPOSTOL
➔ Fr., 24. Mai, 14.00–19.00 Uhr
✱ Werkstätte Analoge Fotografie (Universität für angewandte Kunst Wien)
Paulusplatz 5, 1030 Wien
Teilnahmegebühr: € 50 / Teilnehmer:innenzahl: 10. Anmeldung: fotowerkstatt.analog@uni-ak.ac.at
Der Workshop „KOMPOSTOL Entwickler & Community Cooking" stellt pflanzen- basierte Entwickleransätze als „grüne" Alternative zu herkömmlichen Foto- chemikalien vor: Aus Lebensmittelresten kochen wir Filmentwickler und ein gemeinsames Abendessen.
WATERGRAMS
➔ Sa., 25. Mai, 17.00–23.30 Uhr
✱ filmkoop wien, Komödiengasse 8, 1020 Wien Teilnahmegebühr: € 50 / Teilnehmer:innenzahl: 5. Anmeldung: workshops@filmkoopwien.at
Watergrams sind Momentaufnahmen von Wasser in Bewegung, die auf Film- material oder Fotopapier festgehalten werden. Nach einer kurzen theoretischen und praktischen Einführung fahren wir nach Einbruch der Dämmerung gemeinsam zum Donauufer. Dort werden wir die Wellen der Donau auf dem Filmmaterial einfangen und das so belichtete Material vor Ort mit Eco-Entwicklern bearbeiten. Nach der gemeinsamen Fahrt zurück wird das Material in der filmkoop wien gesichtet. Ziel des Workshops ist, die Technik der Watergrams sowie den dazugehörigen fotochemischen Prozess so naturnah wie möglich zu erfahren. Bitte wetterfeste Kleidung und wenn möglich Gummistiefel mitnehmen.
Nähere Informationen und Updates: Fotogalerie Wien
Die Ausstellung "Die Grüne Kammer" ist Teil der Klima Biennale Wien.
Die Fragen stellte Ulli Koch.