Möglichkeiten der Gestaltung einer hypothetischen 'Restbiographie'
Innovation und Exzellenz sind zwei Schlagworte, die zunehmend den Kunstmarkt, auch im darstellenden Bereich, dominieren. Mit deiner aktuellen Produktion „FIT FOR FUTURE oder HYPER HYPER oder MELANCHOLIA“ setzt du dich u.a. kritisch mit dieser Doktrin auseinander. Warum hast du dich dazu entschieden diese Thematik künstlerisch zu bearbeiten?
Otmar Wagner: Naja, in diesem Projekt setze ich mich nicht wirklich direkt mit diesen beiden Schlagworten auseinander, aber natürlich gehören sie zu jenen begrifflichen Doktrinen, die zum Hintergrundrauschen der aktuellen Arbeit beitragen. Auf jeden Fall haben sie etwas Glamouröses, und natürlich registriere ich, dass sich Kunsthochschulen und Kulturinstitutionen inzwischen sehr gerne mit dem 'Innovations'- Sprech der kapitalistischen Marktwirtschaft und dem 'Exzellenz'-Sprech der Feudalgesellschaft schmücken.
Exzellenz ist ein Synonym für "Erhabenheit" und für 'Vortrefflichkeit'. Das Gegenwort zu 'Vortrefflichkeit' lautet 'Minderwertigkeit''. Sieht man mal von allen menschlichen Existenzen ab, die sich irgendwo auf der Skala im Mittelfeld zwischen Vortrefflichkeit und Minderwertigkeit bewegen und deshalb scheinbar ein mittelmäßiges Leben führen, ist Mittelmäßigkeit auch in diesem seltsamen und marginalen Kunstgebiet, in dem ich mich bewege (Performancekunst; Anm. der Redaktion) generell nicht gern gesehen. Auch da bist Du entweder Top oder Flop.
Rückblickend kann ich sagen, dass ich meine performancekünstlerische Existenz einer Suche nach dem 'Anderen' verdanke, einem ungewissen Gebiet, in dem genau jene gesellschaftlichen Wettbewerbs- und Karriere-Diktionen nicht mehr greifen, und in dem ein eigensinnig gestaltendes und selbstbestimmtes Leben mir möglich schien.
Also: eine Utopie, ein Nicht-Ort, von dem zu träumen der mentale Luxus bildet, um überhaupt schöpferisch-künstlerisch tätig zu werden - und um dementsprechend einen Raum für einen multikaleidoskopischen Diskurs und ein freudvoll herumdilettierendes Schaffen zu ermöglichen. (Dieser Nicht-Ort schickt sich an, aus meinem Kopf zu verschwinden, denn die freudlose Realität, die mich im Älterwerden einholt, ist so viel stärker als jede reale Träumerei).
Abgesehen davon ging es mir niemals darum, eine gute Schauspieler_in, eine gute Tänzer_in, eine gute Ton-Künstler_in, eine gute Performancekünstler_in, eine gute Maler_in, eine gute Visualist_in etc. zu sein - gestützt durch meine ideologische Diktion, das sei Aufgabe und Ziel der Kulturindustrie, nicht der Kunst, und flankiert von jenem von mir so oft zitierten Spruch von Thomas Kapielski: "Gute Kunst setzt sich durch, weil man gut nennt, was sich durchsetzt".
Mich interessiert, welche unausgesprochenen moralischen Doktrinen damit verbunden werden, wenn man solche Worte wie 'Innovation' und 'Exzellenz' ins Feld führt. Denn: 'Innovation' (als kontrollierte Neuerung) kann auch der smarte, sprechende Kühlschrank sein, der weiß, was mir fehlt, oder der Selfie-Toaster, mit dem ich mir mein Selbstbild, auf eine Toastscheibe gebrannt, zum Frühstück servieren kann. 'Exzellenz' (als das vortrefflich Herausragende) kann auch die Spitze des Eisbergs der Korruption sein, oder der Arsch von Kim Kardashian oder der Amoklauf von Behring Breivik.
„FIT FOR FUTURE oder HYPER HYPER oder MELANCHOLIA“ ist u.a. eine Auseinandersetzung mit dem Älterwerden, in der Broschüre von WUK performing arts verrätst du, dass du zur Generation 50+ gehörst. Auf welche Hindernisse aber auch welche Vorzüge stößt du aufgrund deiner langen Erfahrung im Performancebereich?
Otmar Wagner: Älterwerden in einer halbwegs wohlbehütenden, demokratischen Gesellschaft bedeutet ja erstmal, egal, ob ich Performancekünstler_in bin oder anderen Tätigkeiten nachgehe, dass sich irgendwann eine Bewusstseinsverschiebung ereignet - von einer auf eine offene und vielversprechende persönliche Zukunft ausgerichteten Biographie hin zu einer Auseinandersetzung mit den verbleibenden Szenarien und Möglichkeiten der Gestaltung einer hypothetischen eigenen 'Restbiographie'.
Betrachte ich meine 'lange Erfahrung im Performancebereich', und auf welche 'Hindernisse' und 'Vorzüge' ich damit jetzt als deklarierte 50+-Künstler_in stoße, muss ich etwas weiter ausholen und grundsätzlicher werden, denn die spezifische Problematik alternder (Performance-)Künstler_innen ist meiner Meinung vor mindestens zwei Hintergründen zu bedenken:
- vor dem Hintergrund eines gesellschaftlichen Systems, in dem 'Älterwerden' grundsätzlich keine Vorzüge hat (etwa als nutzbare Lebenserfahrung oder Altersweisheit) - denn die Alternden werden sich im System der permanenten technischen und sozialpolitischen 'Innovationen' des Spätkapitalismus irgendwann zwangsläufig nicht mehr auskennen können. Falls sie ihre Erfahrungen & Weisheiten dennoch ins Spiel bringen wollen, laufen sie Gefahr, sich zu systemischem Abfall zu degradieren, als lächerliche und belächelte, nutzlos überalterte Freaks.
- vor dem Hintergrund jenes kulturpolitischen Selbstverständnisses, das sich auf der Suche nach gesellschaftlichem Konsens die kapitalistischen Errungenschaften der Wertschöpfung (z.B. 'Innovation' und 'Exzellenz') auf die Fahne schreibt. Nun ist es aber so, dass ich mich ursprünglich nicht aus Lust und Laune oder aus Karrieregründen der Performance(-kunst) verschrieben habe, sondern dass ich in früheren Jahren davon überzeugt war, dass es nicht nur kein 'Richtiges Leben im Falschen' gibt, sondern es auch ein 'Anderes (freudvolles) Leben im (zwanghaft) Realen' geben könnte. Das war die Faszination, die die Geschichte der Performancekunst immer auf mich ausgeübt, und die mich und meine Ideologie geprägt hat. Dazu gehören der lustvolle aktionistische Dilettantismus einiger Dada-Ereignisse des frühen 20. Jahrhunderts (u.a. die Dada- Abende im Cabaret Voltaire in Zürich), die Exzesse der Neo-Neo-Dadaisten des ausgehenden 20. Jahrhunderts (u.a. das 'Festival Genialer Dilettanten' 1981 im Tempodrom, Berlin), die Versuche, skulptural-bildnerische Prozesse auf Gesellschaftsmodelle zu übertragen, also die Gestaltung der Lebenswelt als gemeinschaftlich kreativen, schöpferischen Prozess zu begreifen (Joseph Beuys und der Begriff der 'Sozialen Plastik').
Der Dadaist Richard Huelsenbeck hat Anfang der 70er Jahre des vergangenen Jahrhunderts in einem Interview formuliert:
"Dada ist eine Lebenshaltung. Er ist ein programmloser Aufstand. Der Aufstand sensibler Menschen gegen die Unterdrückung aller derjenigen schöpferischen Ausbrüche und Ausdrücke, die ein sensibler Mensch zu seinem Leben braucht. Infolgedessen glaube ich, dass in gewissen Zeiten, so wie in unserer Zeit, wo die Technologie und Politik zusammengehen, um die Persönlichkeit in eine schwierige Lage zu bringen, dass in einer solchen Situation eine Dada-Bewegung immer wieder entstehen kann, wenn auch vielleicht unter einem anderen Programm."
Die Frage war, auf welche Hindernisse, aber auch welche Vorzüge ich als 50+-Künstler_in stoße - vor dem Hintergrund meiner langen Erfahrung im Performancebereich. Um bei Huelsenbeck zu bleiben, werden mich auch in Zukunft weder Hindernisse, noch Vorzüge antreiben, sondern der programmlose Aufstand in einer Zeit, in der Technologie und Politik versuchen, nicht nur mich, sondern ganze Gesellschaften sensibler Persönlichkeiten, also Menschen, in eine schwierige Lage zu bringen.
Was bedeutet es für dich als Künstler „FIT FOR FUTURE“ zu sein?
Otmar Wagner: 'Fit for Future' würde ich jetzt spontan nochmal anders übersetzen, also nicht als leistungsorientierte Maßnahme, um den wie auch immer gearteten Herausforderungen einer wie auch immer gearteten künstlerischen Zukunft gerecht zu werden, sondern vor allem als mentale Vorbereitung auf das, was a) an Problematiken als alternder Künstler_in auf mich in den nächsten Jahren zukommen wird (mangelhafte 'Exzellenz'-Merkmale, keine Förderungen aufgrund mangelnder 'Innovation'), b) mein Sohn von mir als mein Beitrag abverlangen wird, um nicht nur seiner persönlichen Zukunft, sondern auch der seiner Generation halbwegs gerechte Chancen eines erträglichen Lebens(-raums) zu ermöglichen.
Die umfassende, totale Überforderung ist diesen Überlegungen eingeschrieben, und was das für mich 'bedeutet', ist derzeit für mich kaum zu ermessen.
Der Kern des Projekts sind drei Performende, die sich im Saal auf Laufbändern abmühen. Wie ist die Idee für dieses Setting entstanden?
Otmar Wagner: Ehrlich gesagt weiß ich es nicht mehr. Das Konzept für das Projekt hab ich im Sommer / Herbst 2021 entwickelt und für Projektförderungen eingereicht, aber wie es zu den drei Laufbändern kam, kann ich jetzt im Nachhinein nur vage und bruchstückhaft rekonstruieren - ich führe kein Tagebuch, und es erschreckt mich jetzt, dass ich auch keine Notate und Skizzen mehr aus dieser Zeit finde, sorry!
Aber so, wie ich mich kenne, gab es dafür sicherlich 'Klick'-Momente - sei es, dass ich zu dieser Zeit fasziniert durch die Schaufenster von Fitness-Studios gestarrt habe, sei es, dass ich zu dieser Zeit erfahren habe, dass ein Künstlerkollege von mir aus Hamburg (Armin Chodzinski) wenige Jahre zuvor beim Joggen einen Herzinfarkt erlitt, sei es, dass ich es in der Corona-Zeit nicht mehr hingekriegt habe, mich zwei Mal die Woche meiner schönen Lauf-Route im Prater hinzugeben.
Tatsächlich fiel die Konzept-Entwicklung in die Zeit, als Daniel Aschwanden - für mich ein bedeutender Kollege und künstlerischer Marathonläufer, dem ich viel zu verdanken habe - gestorben ist. Kurz nach Daniels Tod im Juli 2021 war ich in Kopenhagen (wo ich ziemlich exakt 20 Jahre zuvor Daniel erstmals begegnet bin), und hab dort den Künstler David Sebastian Lopez Restrepo kennengelernt, der sich in einem seiner Projekte, 'Movement for Static Action By Great Danes' scheinbar endlos auf seinem Fahrrad abmühte.
Ich weiß nicht mehr, woher diese Setzung mit den drei Laufbändern letztendlich kam. Ich weiß nur, dass sie im Herbst 2021 eine offensichtlich logische Entscheidung war - und eine für mich nach wie vor und immer noch stimmige Setzung.