Kunst für Alle!
Es ist das gemeinsame Kulturverständnis, das die Brunnenpassage in die Nachbarschaft des WUK rückt: Kunst und Kultur als Experimentierfelder für kreatives gesellschaftsgestaltendes Potential, ein unbeschränkter Zugang für möglichst viele Teilnehmer_innen sowie die Auflösung der Trennung zwischen Kultur/Kunst und Alltag. Beide sind gemeinnützige Kulturbetriebe, beide richten den Fokus ihrer Kulturarbeit auf eine ebenbürtige Teilhabe, aktive Einbindung und thematische Öffnung.
Viel Kultur für wenige
Nur wenige Städte werden weltweit so sehr wie Wien mit Kunst und Kultur verbunden. Am öffentlich geförderten Kulturgeschehen nimmt allerdings nur ein kleiner Prozentsatz der Wiener Bevölkerung teil. Bislang werden vor allem jene Menschen erreicht, die der so genannten „höheren Bildungsschicht“ angehören. Menschen mit „bildungsbenachteiligtem“ bzw. „sozial schwachem“ Hintergrund sind bis heute von der Teilhabe an Kunst- und Kulturangeboten vielfach ausgeschlossen. Dazu gehört auch ein großer Teil jener Bevölkerung, der als Migrant_innen oder Menschen mit Migrationshintergrund bezeichnet wird.
Rassismus und Fremdenfeindlichkeit nehmen europaweit zu. Laut dem aktuellen ZARA-Bericht finden auch in Österreich immer mehr Übergriffe mit physischer Gewalt statt, Hasspostings und rassistische politische Slogans sind alltäglich geworden. Öffentliche Einrichtungen müssen darauf reagieren, indem sie etwa Rassismus und Fragen des Zusammenlebens thematisieren oder den sozialen Zusammenhalt fördern.
Diese Verantwortung gilt auch für Kunst- und Kultureinrichtungen. So müssen aktuelle und brisante Themen in der Kunst neu und damit anders verhandelt werden. Außerdem tragen Kunst- und Kulturinstitutionen Verantwortung, weil sie den Ausschluss großer Teile der Gesellschaft durch fehlende Teilhabe und Einbindung reproduzieren und dadurch Ungleichheit verstärken und verfestigen. Ein Umdenken hin zu einer transkulturellen Öffnung ist nötig, um Kunst und Kultur für alle zu ermöglichen sowie Mehrsprachigkeit und Vielfalt der Bevölkerung als anerkannte Realität in Wien sichtbar und vor allem als Bereicherung erlebbar zu machen. Eine Grundvoraussetzung für Veränderung ist, nicht ausschließlich Konzepte zu verfolgen, die sich lediglich auf „Audience Development“ konzentrieren und „Anpassungsleistungen“ an den klassischen Kulturbetrieb in den Vordergrund stellen. Auch eine verstärkte Öffnung der etablierten Häuser hin zu Institutionen wie der Brunnenpassage, die vor Ort in den Außenbezirken agieren, erscheint relevant.
Förderung von transkulturellen Konzepten
Hinsichtlich der Programmgestaltung gilt es für Kulturinstitutionen, die Frage zu beantworten, in welcher Weise das bisherige Programmangebot für Menschen mit unterschiedlichen sozialen und kulturellen Hintergründen inhaltlich interessant ist. In Bezug auf das Personal ist Diversität der Schlüssel zu jeglicher Veränderung. Nur wenn eine Vielfalt an Sprachen und sozio-kulturellen Erfahrungen, und zwar auf allen Entscheidungsebenen (!), vorhanden ist, kann eine transkulturelle Ausrichtung der Institution ernsthaft entwickelt werden. Die Förderung antirassistischer Kompetenzen ist ein weiterer Anknüpfungspunkt.
Wichtig ist außerdem, die Arbeitsbedingungen vor allem für migrantische Künstler_innen zu beachten, da diese oft prekär sind. Darüber hinaus gibt es Anerkennungsschwierigkeiten aufgrund von Nostrifikation, Sprachbarrieren oder hier bisher weniger bekannter Genres oder Ausdrucksweisen. Viele Künstler_innen werden Bewertungen ausgesetzt, die mit ihrer Herkunft und nicht mit ihrer Kunst zusammenhängen. Diese diskriminierenden Strukturen und Haltungen gilt es hinsichtlich des künstlerischen Personals und der Arbeitsbedingungen zu beseitigen.
Die Kulturpolitik förderte in der jüngsten Vergangenheit durch Maßnahmen wie unter anderem SHIFT oder Kültür Gemma transkulturelle Kulturarbeit, der Großteil der öffentlichen Gelder geht jedoch wie seit Jahrzehnten an die großen Kultureinrichtungen, die nach wie vor auf das Bildungsbürgertum fokussieren und den steigenden Anteil von Menschen mit Migrationshintergrund übersehen.
Will die Kulturpolitik auf gesellschaftliche Herausforderungen reagieren, muss sie sich viel grundlegender zu transkulturellen Konzepten bekennen. Transkulturelle Kulturorte sollten als Motoren des sozialen Fortschritts begriffen und deren Innovationskraft verstärkt genutzt werden. Kulturpolitische Pläne zur öffentlichen Finanzierung von Transkultur sind nur dann von übergeordneter Relevanz, wenn sie von einer klaren, langfristigen politischen Strategie gestützt werden. Es sollte in diesem Zusammenhang zuallererst erkannt werden, dass keine zusätzlichen Mittel erforderlich sind, um mehr auf Vielfalt und neue Bevölkerungsgruppen einzugehen. Stattdessen muss die bisherige Geldvergabe überarbeitet und neu bewertet werden, um der heutigen gesellschaftlichen Zusammensetzung gerecht zu werden.
Teilhabemöglichkeit, das Gestalten der eigenen Umwelt und politische Partizipation sind essentielle Säulen jeder demokratischen Gesellschaft. Es braucht einen grundlegenden Wandel in der Kulturpolitik. Denn: Der Zugang zu Kunst und Kultur ist ein Menschenrecht.
Brunnenpassage
Der KunstSozialRaum Brunnenpssage ermöglicht Menschen rund um den Brunnenmarkt im 16. Bezirk den Zugang zu zeitgenössischer Kunst und die Mitwirkung an künstlerischen Projekten. Die Brunnenpassage macht erlebbar, dass kulturelle Vielfalt die Gesellschaft bereichert.
Ivana Pilić und Anne Wiederhold
Kunstpraxis in der Migrationsgesellschaft – Transkulturelle Handlungsstrategien am Beispiel der Brunnenpassage Wien
transcript Verlag, 2015