Europa öffnen!
Wer nicht stirbt...
Zehntausende Menschen ertrinken und es werden täglich mehr. Sie sind vor dem Krieg, dem Hunger, dem Terror geflüchtet. Sie suchen ein Leben in Sicherheit und Würde. Aber das reiche Europa hat die Grenzen dicht gemacht. Europa sieht zu, wie sie sterben.
Die Mächtigen in Europa wissen genau, was sie tun. Und sie haben ihre Gründe dafür. Italien hatte eine Zeitlang versucht, Schiffbrüchige zu retten. Das Programm „Mare nostrum“ wurde nicht verlängert. Weil es „zu teuer“ war. Aber das ist nicht das einzige Motiv. Der wahre Grund ist viel schlimmer:
Das Sterben im Meer dient der Abschreckung. Die Flüchtenden sind nicht willkommen. Also lässt man sie ersaufen. Abschreckender Terror. Das Leitmotiv der Festung Europa. Es ist Mord.
Aber wie geht es den scheinbar Glücklichen, die den Weg hierher schaffen in unser schönes, gastfreundliches Land? Wie empfängt man sie hierzulande?
Ich vertrete einige junge Syrer im Asylverfahren. Sie sind einen weiten Weg gegangen: durch die Türkei, dann über das Meer nach Griechenland. Vor der griechischen Küste gekentert … Dabei hatten sie noch Glück: Sie wurden aus dem Wasser geholt. Und noch einmal Glück: Griechenland ließ sie weiterziehen.
... wird misshandelt
So sind sie nach Ungarn gekommen. In einen „sicheren“ EU-Staat … Wie ist es ihnen dort ergangen? Darüber berichtet Ibrahim, einer der jungen Syrer, in seiner Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA):
„Wir waren zwanzig Geflüchtete aus verschiedenen Ländern und wurden in einem Käfig von drei mal drei Metern gefangen gehalten“, berichtete Ibrahim. „Wir durften nicht auf die Toilette gehen und bekamen in dieser Zeit weder etwas zu Essen noch zu Trinken.“ Zum Urinieren wurde ihnen eine Flasche in den Käfig gereicht. Sie wurden geschlagen und mit Pfefferspray misshandelt. Nach 18 Stunden aus dem Käfig entlassen, flüchteten sie nach Österreich weiter.
Das Bundesamt wies ihre Asylanträge zurück: Nach der „Dublin-Verordnung“ sei Ungarn zuständig! Weil es der erste EU-Staat war, den sie betreten hatten … Was Ibrahim zu Protokoll gab, sei „nicht geeignet, die Integrität Ungarns in Zweifel zu ziehen.“ Sollte es zu diesen Misshandlungen „tatsächlich gekommen sein“, dann wäre es nur „ein Fehlverhalten von Einzelpersonen, das dem Staat nicht zuzurechnen ist.“
Das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) wies meine Beschwerden ab! Wie Ibrahim und seine Freunde in Ungarn behandelt wurden, sei zwar nicht in Ordnung gewesen; würde Österreich sie aber jetzt nach Ungarn überstellen und so etwas wieder passieren, könnten sie sich ja beschweren!
oder abgeschoben
Ibrahim, einer der Flüchtlinge, denen die Vorarlberger Gemeinde Alberschwende Gemeindeasyl gewährt hat, ist bei Redaktionsschluss in ständiger Abschiebegefahr.
Frau J. aus Afghanistan, ihr Mann und ihr schwer krankes fünfjähriges Kind M. hingegen wurden schon nach Ungarn deportiert. Das Kind war in Therapie bei Hemayat, einer psychotherapeutischen Einrichtung in Wien, mit der wir zusammen arbeiten.
Der Bub ist durch Ereignisse auf der Flucht schwer traumatisiert. Er leidet an Sprachentwicklungsstörungen und Autoaggressionen. Den Asylbehörden sind die Befunde bekannt. Aber man hat sich über alle Erwägungen der Gesundheit, des Kindeswohles, ja der Menschlichkeit überhaupt hinweggesetzt.
Frau N. aus Tschetschenien und ihr jetzt zehnjähriger Sohn wurden vor drei Jahren nach Polen abgeschoben und sind jetzt wieder da. Eine amtseigene Gutachterin hat befunden, Frau N. sei „nicht suizidal verengt“, es sei „keine tiefgreifende Verstörung“ feststellbar, obwohl sie für den Fall ihrer neuerlichen Deportation ihren Selbstmord ankündigte.
Das Kind, das vor der Flucht verschleppt, misshandelt und in einen Hundezwinger gesperrt worden war, hat die Gutachterin nicht untersucht. Sie behauptet schlichtweg, Frau N. sei selbst an seinen Leiden schuld, weil sie ihren Sohn immer wieder mit furchterregenden Ereignissen konfrontiere!
Einem Gutachten von Hemayat zufolge leidet das Kind an einer massiven Angststörung und erlebt in seinen Träumen die ihm zugefügten Torturen so wie die Ermordung seines Onkels stets von neuem. Auch dieser Familie droht die Abschiebung. Nach Polen.
Soweit die Opfer der „Dublin-Verordnung“. Aber wie geht es den „Glücklichen“, die zum Verfahren zugelassen wurden? Weil sie (das ist fast der einzige Weg) einen so guten Schlepper hatten, der sie sicher an den Grenzkontrollen vorbei nach Österreich brachte?
Danial M., ein Tschetschene, sitzt seit seiner Abschiebung Ende 2012 in Grosny im Gefängnis. Seinen Fluchtgrund (Unterstützung des Widerstandes) hat man ihm in Österreich wegen angeblicher Widersprüche nicht geglaubt. In Russland verurteilte man ihn genau wegen dieses Delikts zu 15 Jahren Haft.
Was zu tun ist
Trotz allen diesen Schrecknissen hat unsere Arbeit noch immer ihren Sinn. Asyl in Not ist eine kleine, aber erfolgreiche Organisation. Wir beraten und vertreten Geflüchtete im Asylverfahren. 2015 haben wir bis Ende April die Verfahren von 39 Menschen gewonnen: 18 unserer KlientInnen erhielten Asyl, 11 subsidiären Schutz, 10 ein Aufenthaltsrecht.
Wir freuen uns über jedes gerettete Leben; dennoch ist unsere rechtliche Arbeit nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Anders werden kann es nur durch politischen Kampf.
Asyl in Not fordert die Öffnung Europas für die Flüchtenden. Einen sofortigen Schutzweg über das Meer, den Transport auf Schiffen, die die Europäische Union bereit zu stellen hat. Und die Aufhebung der Visapflicht für Menschen aus Ländern, in denen Krieg und Verfolgung herrschen. Vor allem aber: die freie Wahl des Asyllandes durch den Flüchtling!
Aber ganz gewiss keine Lager in Afrika, im Kriegs- und Katastrophengebiet, wie die Polizeiministerin meint! Asylverfahren haben im Aufnahmeland stattzufinden, unter der Kontrolle durch unabhängige, rechtsberatende NGOs.
Michael Genner ist Obmann von Asyl in Not.
Spendenkonto: Raiffeisen, IBAN: AT29 3200 0000 0594 3139
Online: http://www.asyl-in-not.org/php/spenden.php
Dance for Human Rights
Benefizveranstaltung zugunsten von Asyl in Not
Eröffnet wird der Abend von der jungen Songwriterin Schmieds Puls, die es mit Gitarre, ihrer Stimme und unterstützt von ihrem Schlagzeuger schafft, einen ganzen Saal in Bann zu halten. Weiter geht es mit dem aufstrebenden Duo Wiener Blond, die frechen Pop präsentieren. Ein bisschen Wiener Dialekt, ein bisschen schwarzer Humor und schnelle Rhythmen.
Die künstlerischen Darbietungen nehmen Bezug auf das Thema Flucht und Asyl.
Der Erlös dient der weiteren Arbeit von Asyl in Not.
Dance for Human Rights
Live: Schmieds Puls und Wiener Blond; DJ-Line
Do 2.7., 20 Uhr, Saal