KEIN TENOR, DER DRÜBER BRÜLLT.

© Peter van Heesen

KEIN TENOR, DER DRÜBER BRÜLLT.

Gespräch der drei Supergroupler Marielle Sterra, Kara Schröder und Dennis Depta über die Produktion LA BOHÈME SUPERGROUP

glanz&krawall stehen für Punk im Musiktheater, für sozialkritische Themen und gesellschaftspolitische Zugänge. In LA BOHÈME SUPERGROUP, das im Rahmen der MUSIKTHEATERTAGE WIEN 2022 nach Wien kommt, hat die Frauentruppe von glanz&krawall Puccinis Kitsch-Schmonzette aus dem Jahr 1896 radikal dekonstruiert.

Die Gesprächspartner_innen

Marielle Sterra ist Regisseurin von glanz&krawall.

Kara Schröder ist Theater- und Film-Schauspielerin, die Teil vieler glanz&krawall-Produktionen ist, zuletzt DEUTSCHE BIERTRINKERINNEN UNION. The quick rise & fall of DBU, BERLIN is not AM RING und ROLLING STADTTHEATER.

Dennis Depta ist Dramaturg von glanz&krawall.

Alle drei haben LA BOHÈME SUPERGROUP mitentwickelt, das am 21. und 22. September 2022 im Rahmen der MUSIKTHEATERTAGE WIEN als österreichische Erstaufführung zu sehen sein wird.

Das Gespräch

Depta: Kara und Marielle, in LA BOHÈME SUPERGROUP bleibt das Fest der Nächstenliebe aus: Heizrechnung zu teuer, Kulturmilliarde eingefroren, Inflation: was hat die Frauentruppe von glanz&krawall mit Puccinis Kitsch-Schmonzette von 1896 gemacht?

Sterra: In der Oper wird alles aus der Sicht der Typen erzählt. Die Frauen sind Statistinnen und die Typen Künstlerpersönlichkeiten. Rodolfo, Marcello, Coline und Co sind lustig drauf, während die Frauen an ihrer existentiellen, abhängigen Situation leiden. Am Ende stirbt Mimi und Musetta leistet Care-Arbeit, während die Typen paralysiert daneben stehen. Das Problem ist, dass das Stück auf den Opernbühnen der Welt genau so immer und immer wieder gespielt wird und dadurch diese Stereotype reproduziert werden. Wir haben also erst einmal versucht, diese Stereotype auszustellen, die man sonst nicht sieht, wenn es „normal“ inszeniert wird. D.h. das Frauen-Ensemble spielt alle Figuren, auch die männlichen Rollen. Und dadurch haben wir die Chance, die Figuren aus dem „Immer so“ rauszuheben und zu zeigen, was da in Wirklichkeit vorgeht.

Schröder: Für mich ist wichtig, wenn man so ein Stück spielt, sich zu fragen: Worauf hat man Bock? Wir haben geguckt: Was stört uns, was tut weh? Und in dem Moment, in dem Mimi stirbt, haben wir versucht, es anders zu machen. Wir haben das Stück mit dem Tod der Figur beerdigt und die Supergroup an diese Stelle gesetzt. Um dem „Immer weiter so“ ein Ende zu setzen. Man spürt diese Momente ganz deutlich, wenn diese Frau so gemärtyrert wird. Wenn man genau hinguckt, sieht man, die singen das schön, aber eigentlich haben die Typen diese Frauen kaputt gemacht. Sie haben sich nicht gekümmert. 4 Monate sind vergangen und Mimi ist todkrank. Ja, was war denn dazwischen, Arschloch?

Depta: Wie liefen die Proben und bisherigen Aufführungen in Berlin und Erfurt mit dem  Frauenensemble ab? Seid ihr eine Supergruppe geworden?

Schröder: Ja, waren wir von Anfang an.

Sterra: Wir haben in nur vier Wochen die Texte für den Abend geschrieben, neue Songs komponiert, uns die Musik aus der Oper angeeignet, Teile aus der Oper nachgespielt. Wir haben geschaut, was die jeweiligen Fähigkeiten sind und das wir diese in den jeweiligen Szenen in den Fokus stellen, da auch zwei Frauen Teil des Casts sind, die keine professionelle Theaterausbildung haben.

Depta: Kara, was hat das Spiel mit den Lai:innen mit euch „Profis“ gemacht bzw. was hat es ins Spiel gebracht?

© Peter van Heesen

Schröder: Ich mache das relativ häufig, muss ich dazu sagen, deshalb war es für mich kein großes Ding. Weil auch Cora (Frost) und Monika (Freinberger) damit Erfahrungen haben, war das nicht so ein Thema bei uns. Das Stück hat uns alle gut getragen, weil wir alle ziemlich genau wussten, worum es in LA BOHEME geht. Zumal ihr, Marielle und Dennis, mit den Lai:innen - den in prekären Arbeitsverhältnissen lebenden Frauen - im Vorfeld auch diese Workshops gemacht habt und die Themen von der Seite bearbeitet habt. Wir wussten also alle etwas zu dem Thema der Prekarisierung beizutragen. Jede hatte eine ganz starke Anbindung dazu. Und darum gab es keine Unterschiede – ob Musikerin, Schauspielerin oder Laiin.

Depta: Von außen betrachtet ist das Ganze ja ein sehr komischer Abend geworden. Und die Qualität kommt vielleicht auch daher, dass jede Einzelne sich den Raum auf der Bühne und in der Textarbeit genommen hat. Es wirkt fast Stand-Up-Comedy-mäßig. Könnt ihr beschreiben, wie es dazu kam? Ich finde, das sieht man sehr selten auf Bühnen: einen Theaterabend, in dem Frauen Platz gelassen wird, so komisch zu sein. Für mich seid ihr alle großartige Clowns.

Schröder: Ich glaube, das hat etwas mit dem Support zu tun, den wir sowohl von der Regie bekommen haben als auch uns gegenseitig gegeben haben. Vor allem Cora Frost ist eine Person, die sehr viel Erfahrung mit Cabaret und dem Allein-Unterhalterinnen-Dasein hat. Das hat uns sehr geholfen. Ich habe das humoristische Potential von Anfang an gespürt, das in dem Stoff und der Konstellation stecken könnte. Und das ist etwas, was ich in dieser Gruppe spezifisch finde, dass wir uns gegenseitig supporten und nicht auf Konkurrenz gehen. Und die Qualitäten der anderen so auf subtile Art immer wieder fördern.

Depta: Gibt es für dich, Marielle, Unterschiede in dieser Produktion in der Arbeitsweise zu anderen Arbeiten von glanz&krawall, beziehungsweise welche Arbeitsweisen haben sich vielleicht in LA BOHÈME SUPERGROUP fortgesetzt und verdichtet?

Sterra: Ich glaube, es hat sich in den letzten zwei Jahren verdichtet, dass wir alle gemeinsam Musik machen, mitspielen im Bandsetup... Das haben wir sehr stark angewandt und werden es auch weiter tun. Es hilft uns, erst einmal auf einer anderen Ebene zusammenzufinden, die nicht vom Kopf kommt. Es war hier zudem besonders, dass wir mit Kara, Moni und Cora Charaktere im Team hatten, die es gewohnt sind, eigenständig Sachen einzubringen. Es war ein sehr kurzer Probenzeitraum. Es gab im Vorfeld keine Textfassung, sondern nur konzeptionelle Ideen. Das erfordert von den Beteiligten, dass sie sehr eigenständig arbeiten und in der Lage sind, Sachen zu improvisieren, ihre Ideen und Hintergründe einzubringen. Wir haben fast alle Szenen auf Basis der Oper improvisiert. Vom ursprünglichen Text blieb dann so gut wie nichts mehr drin. Das finde ich schon eine Qualität von dem Ensemble, dass diese Menschen das können.
Und, es war eine sehr harmonische Zusammenarbeit. Das lag auch an der Prozessförderung vom Neustart Kultur-Topf, die nicht zwingend eine Premiere vor Publikum erforderte. Dadurch hatten wir nicht den üblichen Stress - trotz der nur vier Wochen. Der Club MenschMeier ging leider kurz vor unserer Premiere mit seinem Tanzbetrieb in den Lockdown. Es war also insgesamt prädestiniert, dass es anstrengend werden könnte. War aber letztlich nicht so, weil wir immer wussten, wenn alle Stricke reißen, können wir die Vorstellungen verschieben und dennoch alle Beteiligten bezahlen. Und das hat die Grundhaltung verändert und den Stress vermindert. Diese Förderung war in der Corona-Zeit sehr hilfreich für uns und andere.

Depta: Was konntet ihr Puccini abgewinnen? Was hat die Musik mit euch gemacht und was macht ihr mit der Musik?

Sterra: Puccinis Musik ist fast schon Filmmusik. Sie transportiert sehr stark Emotionen, die gesetzt sind. Was aber interessant ist: sie ist immer ergreifend. Zum Beispiel bei Mimis Sterbeszene, auch wenn nicht das Orchester spielt sondern bei uns ein kleines E-Piano. Und nicht der Tenor drüber brüllt. Es gibt für mich in der Partitur sehr ergreifende Momente, die die Figuren nochmals anders aufscheinen lassen als von der Textvorlage her. Die auch den Frauenfiguren nochmals einen anderen Raum geben. Ich fand es dennoch gut, die Freiheit zu haben, das Liebesduett von Rodolfo und Mimi Rodolfo und Marcello zu geben. Das macht für mich viel mehr Sinn, da es darin um den Begriff der Muse geht. Und es ist viel lustiger, wenn das zwei Kumpels singen, die eigentlich keine Frauen abbekommen, als wenn Mimi Rodolfo so komisch anhimmelt.

© Peter van Heesen

Schröder: Das ist ja nicht nur bei Puccini. Das ist ja etwas, was alle Opern des Verismo und der Zeit davor und danach betrifft. (beide lachen) Dass es diesen dialogischen Cringe gibt in verschiedenen Varianten. Und ich finde nicht, dass man Opern deswegen jetzt neu schreiben muss. Es sind immer Frauengruppen, die sagen: diese Opern müssen jetzt alle weg. Da denke ich mir: ihr seid so doof. Ihr macht euch einen Stress, den hätten sich diese Typen nie gemacht, die ja eh alle geklaut haben. Es ist Teil von Kulturproduktion, dass man etwas nimmt, was da ist und es benutzt. Das war denen doch Wumpe und uns auch.

Depta: Das hat Puccini ja exakt gemacht. Er nutzt den Roman von Henri Murger „Szenen aus dem Leben der Bohème“ aus den 1840er Jahren fünfzig Jahre später als kalkulierte Vorlage für ein erfolgreiches Opernmelodram kurz vor Weihnachten. Wir haben Murger ja auch gelesen. Könnt ihr beschreiben, was der Roman kann, was die Oper nicht kann?

Schröder: Puccini hat Frauenrollen zusammengelegt: Mimi sind im Roman eigentlich zwei verschiedene Frauenfiguren. Der Roman ist zwar sehr geprägt von einem gewissen Machismus, aber die Frauen und Männer sind dennoch alle gemeinsam viel stärker Teil einer Lebenswelt, sie teilen das Proben des prekären Lebens. Auch den Typen geht es mies. Es ist also nicht fokussiert auf die eine Frau, die am Ende stirbt. Da geht es wirklich um die Bohemiens. Murger wurde ja kein wirklich erfolgreicher Typ. Der Roman war erfolgreich, aber er stirbt dennoch relativ früh als brotloser Künstler. Dadurch wird dieser Roman auf eine sehr traurige Art sehr authentisch. Weil er diese Erfolglosigkeit aus Sicht des Künstlers beschreibt.

Depta: Was generell am Bohème-Stoff interessant ist, finde ich, ist, dass mit dem Rückgriff auf die Lebenswelt der Dandys und des Boulevards die bürgerliche Kleinfamilie als solche nicht vorkommt. Keine dieser Figuren hat familiäre Verhältnisse. Sie selber sind sich eine Künstler:innen-Familie.

Schröder: Das ist wie bei uns… Die Thematik gibt es auch in vielen aktuellen Filmen: Es gibt nur noch Singles oder Familien. Leistet man sich eine Familie oder nicht? Ich bin ganz sicher, ich lebe eher in einer Welt, in der sich niemand eine Familie leistet beziehungsweise keine haben will. Das hat eine gewisse Aktualität. Es gibt über die verschiedenen digitalen Medien gerade eine Tendenz, dass ganz viele in den letzten zehn Jahren plötzlich Künstler:innen geworden sind – Instagramer:inen, TikToker:innen sind im weiteren Sinne ja vielleicht auch Künstler:innen oder sie begreifen sich als solche. Ich habe aber den Eindruck, dass die Menschen, die sich dem prekären Kunstraum aussetzen, nur noch sehr wenige sind. Eine ganz spezifische Gruppe von Leuten.

Sterra: Die sich den Scheiß noch so reinzieht. Es wird ja auch uncool: neben dem YouTube-Star willst du ja nicht so komisch ein Bild malen…

Schröder: Oder Theateraufführungen machen, die dreimal aufgeführt werden.

Depta: Hat es vielleicht etwas damit zu tun, dass diese Kunst permanent von allen Seiten vereinnahmt wird. Von Investoren, Kunsthochschulen, dem Staat? Macht das etwas mit dem Künstler:innen-Sein in den Neoliberalismus-Metropolen Berlin, Wien, Hamburg 2022?

© Peter van Heesen

Schröder: Die eine Kollegin im Bohème-Team sagte mir: „Ich lebe doch schon am Stadtrand. Das ist das, was ich mache, um überhaupt Kunst machen zu können. Und jetzt soll ich auch noch so und so viel Geld verdienen, um überhaupt diese Wohnung noch zahlen zu können?“ Das finde ich einen interessanten Punkt. Wir werden in den Städten immer weiter nach außen gedrängt. Auch deshalb wird die Künstler:innen-Persönlichkeit so oft vereinnahmt, weil das Geld reinkommen muss. Deshalb springen Leute von Herzensproduktionen ab, wenn sie ein Fernsehangebot bekommen. Weil sie ihre Miete bezahlen müssen. Leider und verständlicherweise.

glanz&krawall: LA BOHÈME SUPERGROUP

Vorstellungen
Mi 21. und Do 22. September 2022, 19:30 Uhr
Foyer
€ 20 | 12 | 10

Mehr Informationen findest du auf der Eventseite.

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