Im Prinzessinnengarten

Foto: Stas Rozh, Flickr.com; https://www.flickr.com/photos/stas_r/
Foto: Stas Rozh, Flickr.com

Im Prinzessinnengarten

Ein urbaner Garten in unsicheren Zeiten

Elke Krasny über urbane Gärten und Landwirtschaften in einem politischen Kontext.

Es ist Spätsommer 2020. Wir stehen vor der Tür zu einem urbanen Garten. Die Tür ist offen. Wir freuen uns darüber, dass wir in den Garten hineingehen können. Die Kollegin sagt, dass wir hier ein wenig Erholung finden werden. Sie ist, wie ich, nicht aus Berlin. Sie ist mit dem Zug aus Schweden angereist. Die Reise, vor allem die Zugfahrt in Deutschland, war anstrengend, alle Sitzplätze besetzt.

Auf dem hohen Zaun, der den Prinzessinnengarten umgibt, ist ein riesiges Transparent montiert. In riesigen schwarzen Buchstaben steht darauf das Wort „Soilidarity“. Auf der anderen Seite des Gartens Richtung Prinzessinnenstraße steht auf einer haushohen schwarzen Plane in großen weißen Buchstaben „Black Lives Matter“. Das globalisierte Regime der Gewalttätigkeit des rassistischen Kapitalismus, der Leben und Lebensgrundlagen vernichtet, ist allgegenwärtig. Die Bewegungen des Widerstands flankieren den Garten. Jeden Tag beginnen die verschiedensten Kämpfe gegen die Zerstörung von Leben und Lebensgrundlagen aufs Neue. Jeden Tag ist Regeneration der Kämpfe überlebensnotwendig.

Bild: Elke Krasny

Langsam gehe ich mit der Kamera in der Hand durch den Garten. Ich denke darüber nach, wie viele unterschiedliche Lebewesen, Pflanzenwesen, Tierwesen sich auf diesen knapp 6.000 Quadratmetern befinden. Ihre komplexen Interaktionen miteinander und mit den Menschen, die hier gärtnern, mit den Menschen, die auf Besuch kommen, könnte ich erst nach vielen, vielen Stunden der Auseinandersetzung mit ihnen erzählen. Und noch viel mehr Zeit würde es brauchen, um diese Pflanzenwesen, Tierwesen, Erdbewegungen, Urbanisierungsdynamiken mit den größeren globalen Zusammenhängen, mit der ihre Anwesenheit hier zu tun hat,  zu begreifen. Die beiden Transparente, „Black Lives Matter“ und „Soilidarity“, führen den Garten näher an die globalisierte Geschichte von Körpern und Erde, die durch den Kolonialismus und die Sklaverei extraktiven Ökonomien ausgesetzt waren. Die Grausamkeit und die Tödlichkeit dieser Ökonomien sprechen in der Sprache des Anklagens und des Widerstands aus den beiden Transparenten. Der Garten ist keine Oase.

Der Garten ist heute in einem Veränderungsprozess begriffen. Das erste was auffällt, ist, dass das Gartencafé, das an diesem Ort immer auch viele Berlinbesucher_innen angezogen hatte, die an der mobilen urbanen Landwirtschaft, die Hochbeete aus Stapelbehältern und Reissäcke für das Anpflan-  zen verwendete, vorbeigingen und sich dann im Schatten sitzend an den Produkten aus dem Garten im Garten als Konsument_innen erfreuten, verschwunden ist. Der Garten ist nur mehr an machen Wochentagen zu bestimmten Zeiten öffentlich zugänglich. Er befindet sich in einem Prozess der nachbarschaftlichen Neubestimmung, auf andere Art ein Commons zu werden.

Ich erinnerte mich an meinen allerersten Besuch vor mehr als zehn Jahren. Ich recherchierte für die Ausstellung „Hands-On Urbanism. Das Recht auf Grün.“ Seit dem Jahr 2008, dem Jahr der globalen Finanz-/Ökonomiekrise beobachtete ich, wie zunehmend an unterschiedlichen Orten der Welt neue urbane Nutzgärten, neue urbane Landwirtschaften entstanden. Ausgehend von dieser Beobachtung entwickelte ich die Forschungshypothese,  dass die Stadtentwicklung der Industriemoderne seit dem  19. Jahrhundert immer auch räumliche und soziale Selbst-Organisationsformen der gärtnerischen Subsistenzöko-nomien beinhaltet hat und dass die Geschichte dieser urbanen Nutzgärten als Geschichte der Reaktionen auf ökonomische Versorgungskrisen begriffen werden kann. Der urbane Nutzgarten, die urbane Landwirtschaft kann demnach als Indikator für Krise und als jeweils lokalspezifischer Krisenbewältigungsversuch gelesen werden. Der Anfang des Prinzessinengarten am Moritzplatz war im Jahr 2009. Brache, Müll und Freiwillige sind Teil der Genealogie des Beginns von urbanen Gartenprojekten. Die Inspiration für den Garten in Berlin kam aus einer anderen Krisenantwort, aus Kuba.

Foto: Jens Best, Flickr.com; https://www.flickr.com/photos/jensbest
Foto: Jens Best, Flickr.com
Foto: Jens Best, Flickr.com; https://www.flickr.com/photos/jensbest
Foto: Jens Best, Flickr.com

„Die Stadt ist unser Garten“, so heißt das Garten-Manifest, an dem 2012 Aktivist_innen von Allmende-Kontor, Prinzessinnengarten, Kiezgarten, Neuland Köln, Eine andere Welt ist pflanzbar und anstiftung zu schreiben begannen. Antworten auf Krisen des Kapitalismus und die aneignende Einverleibung der Krisenantworten in geschmeidiges Greening der kapitalistischen Stadtentwicklung unter neoliberalen Verwertungszusammenhängen folgen in immer schnelleren Zyklen aufeinander. Das Interesse am urbanen Grün ist noch immer hoch. Als Background für Firmenfotoshootings und als Gentrifizierungsmotor liefern urbane Gärten Symbolkapital und Mehrwert. Angesichts solcher Entwicklungen verortete das Manifest die aktivistischen urbanen Gärten politisch. Das Manifest betont „die Bedeutung der Stadtnatur für eine lebenswerte und fair handelnde Stadt“ und fordert von den politischen Entschei-dungsträger_innen nachhaltige Gerechtigkeit.

Vieles hat sich verändert in diesen zehn Jahren. Seit 2016, ausgehend von Australien, erklären immer mehr Städte den Klimanotstand. Klima-Kolonialismus und Umweltrassismus werden als gewalttätige Herrschaftsstrukturen analysiert. 

Die Kollegin aus Schweden erzählt, dass sie den Wald in ihrer Nachbarschaft von Plastik befreit. Sie erzählt von den Kunststofffolien in der industrialisierten Pappelanpflanzung und von den plastikgetränkten Böden. Ich denke über die Zerstörung nach, sie ist allgegenwärtig. Sie durchdringt die Körper, sie durchdringt  die Böden, diese sind nicht voneinander zu trennen.

Wir hören den Blättern zu. Es ist selten, dass an einem vom Verkehr umtosten Ort in der Stadt, wie hier am Moritzplatz, das Rauschen der Blätter gehört werden kann. Ich denke über die Hoffnung nach. Ich denke darüber nach, dass ein Ort, wie der Prinzessinnnegarten, es möglich macht, Gespräche zu führen, die andernorts vielleicht keinen Ort hätten. Ich denke darüber nach, dass der Prinzessinnengarten sich bei diesem Besuch im Spätsommer 2020 dadurch mitteilt, dass Gewalt und Hoffen, Zerstörtheit und Heilendes gleichzeitig präsent sind.

Foto: Nick Stenning, Flickr.com; https://www.flickr.com/photos/nickstenning
Foto: Nick Stenning, Flickr.com

Ich denke darüber nach, was es bedeuten würde, einem urbanen Garten wie diesem zuhören zu lernen. Ich denke darüber nach, ob und wie dieser Garten ein Gedächtnisort ist für die Erinnerungen der Pflanzenwesen, die Erinnerungen der Tierwesen und die Erinnerungen an die vielen Gespräche, die von Menschen an diesem öffentlich zugänglichen Gartenort geführt worden sind. Ich frage mich, was in diesen unsicheren Zeiten mit diesem Garten gelernt werden wird.

Text: Elke Krasny

Elke Kransy ist Professorin an der Akademie der bildenden Künste Wien.
www.elkekrasny.at

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