Fit für Teilhabe
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WUK aut.fit startete 2024 als Pilotprojekt und ist seit 2025 fixer Bestandteil des Angebots von WUK Bildung und Beratung. Warum wurde das Projekt ins Leben gerufen?
Der Bedarf an Angeboten für Menschen im Autismus-Spektrum steigt, und wir haben immer wieder Rückmeldungen bekommen, dass andere Projekte für Betroffene zu überfordernd sind. Viele Menschen im Spektrum brauchen einen angepassten Rahmen, der auf ihre spezifischen Herausforderungen eingeht. Deshalb haben wir ein eigenes, auf diese Bedürfnisse zugeschnittenes Projekt gestartet, das sich speziell an Menschen mit Autismus richtet. Wir wollen damit eine Lücke schließen, die bisher in der Unterstützungslandschaft bestand.
Viele Menschen im Spektrum haben in der Vergangenheit schlechte Erfahrungen mit Schule, Ausbildung oder dem Arbeitsmarkt gemacht. Sie wurden nicht richtig verstanden oder konnten sich nicht in bestehenden Strukturen zurechtfinden. Hier setzen wir an: Wir schaffen eine Umgebung, in der sie sich ohne Druck entwickeln können und lernen, ihre Stärken gezielt einzusetzen.

Welchen Herausforderungen begegnen die Betroffenen in diesen Kontexten?
Die größte Herausforderung ist oft der Umgang mit anderen Menschen. Viele haben Schwierigkeiten, sich in Gruppen zu integrieren, weil sie andere nicht immer intuitiv verstehen und soziale Dynamiken schwer einschätzen können.
Ein weiteres großes Thema ist die sensorische Verarbeitung. Menschen im Spektrum nehmen Reize oft viel intensiver wahr als neurotypische Menschen. Lärm, grelles Licht oder plötzliche Veränderungen können für sie extrem belastend sein. Ein Großraumbüro oder eine chaotische Arbeitsumgebung kann daher schnell zu Überforderung führen.
Dazu kommen häufig Probleme mit exekutiven Funktionen wie Selbstorganisation, Planung und Priorisierung. Viele haben Schwierigkeiten, Aufgaben zu strukturieren oder den Überblick über komplexe Abläufe zu behalten. Das führt dazu, dass sie oft als unorganisiert wahrgenommen werden, obwohl sie in Wirklichkeit einfach andere Unterstützungssysteme brauchen, um effizient arbeiten zu können.
Das sind Kompetenzen, die nicht nur in der Arbeitswelt wichtig sind.
Viele der Fähigkeiten, die wir vermitteln, helfen den Teilnehmer*innen auch im Alltag. Struktur, Selbstorganisation, Kommunikation und der Umgang mit Stress sind Themen, die in allen Lebensbereichen eine Rolle spielen. Unser Ziel ist es, dass die Teilnehmer*innen sich insgesamt sicherer und selbstbewusster fühlen – sei es in der Arbeit, in der Familie oder in sozialen Interaktionen.

Das WUK-Jahresthema ist Demokratie. Trägt WUK aut.fit auch zu mehr demokratischer Teilhabe von Menschen im Autismus-Spektrum bei?
Unser Projekt gibt Menschen mit Autismus eine Stimme. Viele Betroffene werden in der Gesellschaft oft übersehen oder es wird über sie entschieden, ohne dass sie einbezogen werden. Wir schaffen Bewusstsein und sensibilisieren für ihre Bedürfnisse. Wöchentlich gibt es Reflexionseinheiten, in denen unsere Teilnehmer*innen sagen können, was ihnen wichtig ist. Wir nehmen dieses Feedback ernst und setzen es aktiv um. Wir wollen ihnen zeigen, dass ihre Meinung zählt und dass sie lernen können, ihre Bedürfnisse klar zu äußern. So erfahren sie Selbst- und Mitbestimmung – essenzielle Bestandteile von demokratischer Teilhabe.
Stichwort politische Teilhabe: Welche Hürden gibt es momentan für Menschen mit Autismus?
Jeder Mensch hat das Recht auf Teilhabe, doch Menschen mit Autismus werden oft nicht mitgedacht oder gefragt. Viele wissen nicht, wie sie sich beteiligen können, oder trauen sich nicht, ihre Meinung zu äußern, weil sie Angst haben, etwas falsch zu machen, nicht verstanden oder übergangen zu werden. Während andere spontan reden, denken sie oft lange nach, ob ihre Worte passend formuliert sind. Dadurch fehlen ihre Stimmen in Diskussionen.
Was braucht es, damit sich das ändert?
Es braucht mehr Offenheit und Toleranz, mehr Sichtbarkeit, Einladung und aktivere Ansprache. Menschen im Autismus-Spektrum beteiligen sich nicht automatisch – sie müssen gezielt einbezogen werden. Außerdem sollten politische Abläufe klarer und strukturierter vermittelt werden. Barrierefreie Veranstaltungen und geschützte Räume für Diskussionen sind essenziell, um Unsicherheiten zu reduzieren. In der politischen Bildung muss stärker auf die Zielgruppe eingegangen werden, aber auch Institutionen müssen Verantwortung übernehmen und inklusivere Strukturen schaffen.
Bringt der gesellschaftliche Rechtsruck eine Bedrohung für die Rechte von Menschen im Autismus-Spektrum und generell von Menschen mit Behinderungen?
Ja. Wenn politische Strömungen den Fokus auf andere Themen legen, bleiben neurodiverse Menschen und jene mit Behinderungen oft auf der Strecke. Es gibt wenig Bewusstsein dafür, dass sie genauso zur Gesellschaft gehören wie alle anderen. Bei den aktuellen politischen Tendenzen mache ich mir Sorgen, dass Inklusion und Teilhabe noch weiter in den Hintergrund rücken. Menschen mit Behinderungen brauchen politische Unterstützung, um ihre Rechte zu wahren.
Interview: Anika Haider ist freie Journalistin und arbeitet unter anderem für das inklusive Magazin andererseits. www.andererseits.org