EXTR-Activism
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Die Erforschung und Nutzbarmachung des Weltraums sind durch die Impulse und das Wachstum des kommerziellen Raumfahrtsektors im Wandel begriffen. Die Privatisierung der Raumfahrt wird von privaten Unternehmen befeuert, die den Weltraum aufgrund ihres unhinterfragten Anspruchsrechts auf dessen Ressourcen als nächste große Destination im Rahmen ihrer expansionistischen, kapitalistischen, merkantilistischen und kolonialen Ideologie auserkoren haben. Das internationale Weltraumrecht, in dessen Mittelpunkt der Weltraumvertrag von 1967 („Outer Space Treaty“) steht, war stets bestrebt, den Weltraum und seine Ressourcen zu friedlichen Zwecken und zum Nutzen der Menschheit zu schützen, unabhängig von nationalen, technologischen und finanziellen Kompetenzen. Diese Kernprinzipien stehen jedoch unter dem Druck eines neuen Raumfahrtsektors, der zunehmend dazu neigt, den normativen Stellenwert der Erhaltung des Weltraums zum Nutzen der gesamten Menschheit und zur Bewahrung einzigartiger planetarischer Ökologien und Lebensräume vor Verschmutzung zu verwerfen. Stattdessen setzt sich der kommerzielle Raumfahrtsektor dafür ein, dass nationale Rechtsvorschriften und unilaterale Vereinbarungen eine größere Rolle spielen. Ein Hauptaugenmerk liegt dabei auf rechtlichen Fragen in Bezug auf das Eigentum von Weltraumressourcen und die Rechte an menschlichen und robotischen Siedlungen, beispielsweise auf dem Mond und dem Mars.
Die Begehrlichkeiten
Gleichzeitig hat sich auch die Weltordnung seit Inkrafttreten des Weltraumvertrags in der Ära des Kalten Krieges erheblich verändert. Erstens gibt es neue Raumfahrtnationen, darunter China mit seiner wachsenden unilateralen Vormachtstellung. Zweitens ergreifen kleinere Staaten wie Luxemburg die Gelegenheit, sich zu einem Drehkreuz für den privatwirtschaftlichen Sektor zu entwickeln. Sie verabschieden Gesetze, die die private und kommerzielle Nutzung von Bodenschätzen vorantreiben, indem sie das Privateigentum an den im Weltraum abgebauten Ressourcen regeln. Drittens führt das zunehmende Bewusstsein, dass der Raumfahrtsektor einen Beitrag zu nachhaltiger Entwicklung leisten kann, zu einer neuen Generation von Raumfahrtinitiativen im globalen Süden, wie sich etwa in den politischen Ambitionen der African Space Agency unter der Schirmherrschaft der Afrikanischen Union zeigt. Viertens haben die wichtigsten etablierten Akteur_innen in der Raumfahrt, insbesondere die USA, ihre Raumfahrtpolitik bereits an die neue kommerzielle Raumfahrtära angepasst. So erlaubt zum Beispiel der „SPACE Act“ von 2015 US-Bürger_innen, die Asteroiden oder Weltraumbergbau betreiben, die gewonnenen Ressourcen zu besitzen, zu transportieren, zu nutzen und zu verkaufen.
Auch die zivile Nutzung des Weltraums gerät zunehmend unter Druck. Der Weltraum wurde schon immer für nichtoffensive militärische Zwecke wie Kommunikation und Navigation genutzt. Mittlerweile ist er jedoch zu einem umkämpften, von Aufrüstungsplänen bedrohten Umfeld geworden, vor allem seitens Russlands und Chinas. Die wachsende Dominanz neuer Weltraum akteur_innen führt zu einer immer engeren Verflechtung zwischen militärischen, zivilen und kommerziellen Raumfahrteinrichtungen. Das Fehlen von Vorschriften und anerkannten internationalen Normen für ein verantwortungsvolles Agieren im Weltraum bereitet einer gefährlichen Mischung aus einer offensiven Bekämpfung gegnerischer Raumfahrtambitionen und einer aggressiven Weltraumpolitik den Boden. Darüber hinaus wird die sichere Nutzung des Weltraums durch Raketen und Satellitenschrott, der in der Umlaufbahn kreist, zunehmend gefährdet. Es bedarf neuer Regulative und Gesetze, um nicht nur den Weltraummüll zu verwalten und eine faire Kontrolle des Flugverkehrs zu gewährleisten, sondern auch, um die Erde gezielt vor den Risiken einer (Kreuz-) Kontamination zu schützen.
Die Ausstellung
Die Ausstellung „EXTR-Activism“ in der Kunsthalle Exnergasse reagiert auf diese Herausforderungen im Rahmen einer künstlerischen und aktivistischen Reflexion über den heute stattfindenden kommerziellen Wettlauf um die Ausbeutung mineralischer Vorkommen im Weltraum. Die Ausstellungsbeiträge hinterfragen, welche Rolle der euroamerikanische Rechtspositivismus bei der Regulierung von Bergbau und Rohstoffabbau über Zeit und Raum hinweg gespielt und damit die verfügbaren Ressourcen auf der Erde – und nun auch darüber hinaus – an ihre Grenzen gebracht hat. Mit den eingeladenen Künstler_innen aus dem globalen Norden und dem globalen Süden werden die Bezüge zwischen dem „alten“ kolonialen Extraktivismus auf dem Planeten Erde und den neuen Ausformungen eines kolonialen Extraktivismus im Weltraum sichtbar gemacht und interpretiert.
Die für diese Ausstellung ausgewählten Kunstwerke untersuchen die Begriffe Extraktivismus und Neokolonialismus der kommerziellen Raumfahrtära vor dem Hintergrund der Entwicklung eigener Raumfahrtprogramme in afrikanischen Ländern, insbesondere in Südafrika und Nigeria. Das wiedererwachte Interesse der alten Weltraummächte an Weltraumkolonien auf dem Mars wird dieser Ausweitung des Weltraumprogramms gegenübergestellt. Im Fokus steht dabei das Dilemma, ob wir den Weltraum vor weiterer Kolonisierung schützen oder die Schwelle zu einer fortgesetzten Ausbeutung und Umweltzerstörung – und damit einem neuerlichen kolonialen Gerangel um natürliche Ressourcen – überschreiten sollen.
Die Ausstellung unternimmt den Versuch, die Weltraumforschung, den Extraktivismus sowie das Weltraumrecht mit ungehörten oder zum Schweigen gebrachten Stimmen und Geschichten aufzuladen. Sie stellt eurozentrische Kategorien in Frage und erzählt die Geschichte des Extraktivismus und der Raumfahrt aus der Perspektive der Afronaut_innen neu.
Das panafrikanische Raumschiff
Schauplatz der Ausstellung ist ein panafrikanisches Raumschiff, das Afronaut_innen mit der Mission zum Mars schickt, dem Kolonialismus und Extraktivismus auf dem Mond und dem Mars Einhalt zu gebieten. Während ihrer Reise entwerfen die Afronaut_innen eine neue Geschichte und Zukunft der Weltraumforschung und bringen ein panafrikanisches Weltraumrechtsmanifest hervor, das der Ausbeutung von Menschen sowie nicht mensch licher und mehralsmenschlicher Spezies ein Ende setzt. Die Ausstellung geht der kontrafaktischen Geschichte des Wettlaufs im Weltraum, wie wir sie kennen, auf den Grund. Sie fragt, wie ein Weltraumrecht aussehen würde, das sich mit den Lehren aus dem terrestrischen Extraktivismus ernsthaft auseinandergesetzt hat. Die Erkundung der Zukunft anhand einer alternativen Vergangenheit lässt ein neues Bild entstehen: Was wäre, wenn ein Mensch aus Kenia den ersten Schritt auf dem Mond gesetzt hätte? Wie würden sich dann das Weltraumrecht und die Regulierung der Bodenschätze im kommerziellen Wettlauf um den Weltraum wohl entwickeln?
Text: Dr. Saskia Vermeylen
Saskia Vermeylen unterrichtet an der Law School, University of Strathclyde, Glasgow, Schottland.
Veranstaltungen im Rahmen der Ausstellung
Preview mit Ausstellungsführung
Mi 9.2.2022, 16.00 Uhr
Soft opening
Mi 9.2.2022, 17.00 – 21.00 Uhr
Symposium "New space law manifesto"
& Film-Screening "Afronauts" (2014, Nuotama Bodomo)
Sa 12.3.2022, 10.00 – 12.00 Uhr
Link
EXTR-Activism - Entkolonialisierung des Weltraumbergbaus
Do 10.2. bis Sa 12.3.2022, Kunsthalle Exnergasse