Ein Experiment.
Man gebe neun angehenden Dramaturg_innen einen unveröffentlichten Stoff, setze eine Deadline in Form eines Aufführungstermins im Wiener WUK und sehe, was passiert. Hier ein Interview mit ihnen nach der ersten intensiven Auseinandersetzungsphase mit Elias Canettis „Affenoper“, einer Ballettkomödie, wie er sie einmal genannt hat. 3 Genres in einem. Und ein stummer Affe. Das kann ja heiter werden.
Interview: Stefanie Prenn
Dramaturg_innen: Matthias Gruber, Dominik Grünbühel, Monika Robescu, Martina Raab, Selina Ströbele, Alice Voith, Fani Vovoni
Dramaturgische Begleitung, Canetti-Stiftung Zürich: Kristian Wachinger
Wie seid ihr an die Affenoper gekommen?
Kristian Wachinger: Am Anfang stand die überraschende Einladung an mich als Buchmenschen, mit einer Gruppe von gestandenen Musik- und Theaterleuten zusammenzuarbeiten.
Worum geht es in der Affenoper?
Alice Voith: Ein dressierter Zirkusaffe verlässt mit zwei gestohlenen Geldkoffern seinen Arbeitsplatz. Als Mensch verkleidet, aber stumm, verteilt er das Geld an die Menschen, die ihm begegnen, und schon ist ein neuer Messias geboren. Sofort findet sich ein Sekretär, der die Dinge beflissen in die Hand nimmt, eine liebende Freundin, die nur seine gute Seele sieht, Eltern, die den geliebten Sohn nach Jahren endlich wieder in die Arme schließen wollen, aber auch Präsidenten, die schon lange wissen, dass Frauen an den Herd gehören und Fremde nicht ins Land. Und immer wieder jubelt das Volk – bis die Maske fällt: des Kaisers neue Kleider…
Monika Robescu: Worum es geht? Viel um Gewalt und Dynamiken äußerst bedenklicher Sinnhaftigkeit, die auf Polaritäten basieren: Mensch/Tier, Frau/Mann, Kollektiv/Individuum, arm/reich, Liebe/Intellekt, aktiv (sprechend, handelnd, arbeitend) / passiv (hören, nachahmen, betteln), oben/unten, Volk/"Machtmenschen", Mensch/Natur, zivilisiert/unzivilisiert (Horror vacui). Viel um Klischées und Rollenbilder
Matthias Gruber: Es geht um einen Affen, der unwillkürlich durch seine eigentümlichen Verhaltensweisen die Sehnsucht der Gesellschaft nach einem politischen Erlöser stillt. Unwissentlich wird er von seinen Begleiter_innen als Despot inszeniert und missbraucht.
Inwieweit ist die Affenoper heute relevant?
Dominik Grünbühel: Ich glaube, dass wenn Menschen so etwas Grelles wie Geld oder Recht gegeben wird, sie Personen folgen, ohne genau hinzusehen. Leider zieht sich das durch unsere Geschichte und gilt heute genauso wie damals.
Monika Robescu: Inwiefern beeinflussen eben solche Dynamiken die aktuelle Situation: Starke Polarisierungen triggern Gewalt – zwischenmenschlich und im Verhältnis zu unserer Umwelt. Denkstrukturen solcher Art öffnen keinerlei Über-Lebensräume.
Matthias Gruber: In einer Demokratie ist die Herrschaft eines Einzelnen immer der mehr oder weniger präsente Gegenentwurf. Canettis Libretto zeigt sehr pointiert die Mechanismen eines totalitären Systems und kann daher meiner Meinung nach als zeitlos angesehen werden.
Wie habt ihr euch an die Arbeit gemacht?
Monika Robescu: Die Affenoper wurde den Affinitäten der Teammitglieder entsprechend sondiert.
Martina Raab: Jeder und jede hat bestimmte Aufgaben übernommen. Dies wurde in der Gruppe besprochen und die Aufgaben verteilt. Jeder und jede hatte die Möglichkeit, sich nach individuellen Interessengebieten einzubringen.
Was war die Basis eurer Zusammenarbeit?
Monika Robescu: Die Basis unserer Zusammenarbeit ist per se schicksalhaft. Wie immer bei gruppendynamischen Prozessen gewinnt das Aufführungsdatum.
Martina Raab: Es wurden in der Gruppe Arbeitspakete verteilt – von der Komposition und vom „Waschzettel“ bis hin zu den Rollen, zur Regie und Dramaturgie – ein Projekt, in dem jede_r seine_ihre Stärken einsetzen konnte.
Worauf bezieht sich die Affenoper?
Monika Robescu: Der augenscheinliche Bezug rekurriert auf die politische Situation des Nationalsozialismus. Mitsamt Suffreden in Bierkellersituation, Balkon für Affenführeransprachen, pseudo Privatszenen mit tierisch romantischem Touch und teuflisch fatalen – selbst ernannt dienstbeflissenen – Mitläufer_innen nicht gerade uneigennützigen Charakters. Nette operettenhafte Chansons vor gruseligem Sentimentalitätenplüsch. Vielleicht eigentlich auch nur ein Finanzskandal mit Nebenwirkung. Das Ende: die Gosse als physisch-psychischer Abgrund.
Martina Raab: In der „Affenoper“ huldigen die Menschen dem sogenannten „Konzentrator“: Ohne zu hinterfragen, wer sich dahinter versteckt. Das einzelne Individuum richtet sich ganz nach der Masse, jeder und jede lässt sich vom Sog der Masse mitreißen und erlebt die Wirkung der „Masse“ und deren Wachsen am eigenen Leib.
Warum ist die Affenoper eurer Meinung nach nicht veröffentlicht worden?
Monika Robescu: Für eine Veröffentlichung war der Text vermutlich zu roh. Aufführungstechnisch verblieb vieles nur peripher ausgefeilt. Zusätzlich waren deutschsprachige Theater der Nachkriegszeit an einer derart drastischen Verarbeitung der jüngeren Geschichte vermutlich kaum interessiert. Eine kommentierte Lesefassung/Uraufführung fände gegenwärtig wohlwollendere Rezipient_innen.
Martina Raab: Eine Oper, zu der es (noch) keine Musik gibt, ist eine Chance und zugleich eine Herausforderung – insofern, da der Titel ja etwas Opernhaftes suggeriert. Meiner Meinung nach beinhaltet die „Affenoper“ so viele Deutungs- und Inszenierungsmöglichkeiten und hat so viele Facetten, dass es äußerst schwierig sein kann daraus eine stimmige „Uraufführung“ zu realisieren.
Welche Spannung ergibt sich aus einem vorhandenen Libretto ohne Musik?
Monika Robescu: Ein Libretto aus 4 Songs? Mehrere Ebenen durchziehen diese Oper, die es kompositorisch zu strukturieren gilt: Klangfelder, Gesangsfelder, Sprechfelder ... Ich denke da eher an eine Filmmusikstrategie, weniger an die Vertonung eines Opernlibrettos. Welche "inneren Bilder", "inneren auditiven Assoziationen" hatte Elias Canetti – vielleicht ein Psychomusikdrama.
Martina Raab: Das Fehlen der Musik lässt auf der einen Seite einen großen Freiraum das Werk zu gestalten und zur Aufführung zu bringen; auf der anderen Seite stellt sich da aber auch die Frage, ob der Text im Vordergrund sein sollte und die Musik eher Umrahmung oder ob der Musik eine gewichtigere Rolle zukommt.
Wie ordnet ihr das Genre der Affenoper in eure geplante Aufführung ein?
Monika Robescu: Genre? Oper als Narration auditiver Topografien.
Martina Raab: Sprache ist Kommunikation, Musik ist Kommunikation: Diese beiden ergänzen und bedingen einander.
Wer wird die Affenoper performen?
Monika Robescu: Die demographische Kommiliton_innenmasse unter Berücksichtigung bereits angelegter beruflicher Affinitäten.
Was hat das Studium Angewandte Dramaturgie für euch bedeutet?
Monika Robescu: Eigentlich eine "Eigenverortung". Viel Input – was nun?
Martina Raab: Es hat mein Interesse an Dramaturgie noch mehr intensiviert und mir eine neue Art eröffnet Theater, Tanz, Kultur und Kunst sowie Kultur- und Kunstschaffende zu betrachten. Ich gehe jetzt mit anderen Augen an Projekte heran und sehe auch Konzerte und Projekte aus einem anderen Blickwinkel.
Selina Ströbele: Erst einmal: viel Freude. Dramaturgie ist ein weites Feld und das breit gefächerte Studium hat mir sehr viel Spaß gemacht und mein Leben bereichert. Abends bin ich oft müde, aber ganz euphorisch nach Hause geschwebt, beseelt von neuen Erkenntnissen und oft auch inspiriert, quasi „angestupst". Durch das Studium bin ich selbstbewusster geworden, was die Umsetzung eigener Projekte betrifft. Im Endeffekt muss man einfach: machen. Auch weiß ich einmal mehr, was ich alles nicht weiß – und freue mich darauf immer weiter zu lernen, lesen, denken, schauen und zu reflektieren um dann aber auch loszulassen und mein eigenes Ding zu machen.
9 Dramaturg_innen und ein Affe. Was waren die größten Herausforderungen bei diesem außergewöhnlichen Projekt?
Monika Robescu: Das Überleben in einer völlig unwahrscheinlichen Situation: 9 Dramaturg_innen und ein unfertiger Stoff.
Martina Raab: Innerhalb relativ kurzer Zeit so viele unterschiedliche Ideen unter Dach und Fach zu bringen und eine Fassung zu finden, mit der sich alle identifizieren konnten sowie eine Aufgaben- und Rollenverteilung, hinter der alle stehen und die alle mittragen.
Spielt Canettis Schlüsselwerk "Masse und Macht" eine Rolle in der Affenoper?
Monika Robescu: "Masse und Macht" bietet Materialfutter, ein Handbuch für die Denke, aber inhaltlich fände ich einen Vergleich mit "Die Blendung" Seiten 489-528 Kapitel "Ein Irrenhaus" (Die Blendung, Elias Canetti, Fischer Verlag ,3. Auflage 2017) extrem aufschlussreich.
Martina Raab: Er hat sein Schlüsselwerk als „Lebenswerk“ bezeichnet. Die „Affenoper“ erscheint besonders davon durchdrungen, da sich diese mit der Thematik „Masse“ auseinandersetzt und Canetti sich als „Forscher der Macht“ sah.
Fani Vovoni: "Masse und Macht" hat unsere Diskussionen von Anfang an geprägt und auch, wenn wir uns nicht nur an Canettis Werk orientieren wollten, war es als Themensetzung sehr präsent. Ein Affe wird von der Masse zum Konzentrator erklärt/erhoben – es liegt also auf der Hand: Masse und Macht. Masse versus Individuum. Wie stehen sie zur einander? Ich möchte die Frage präzisieren: Welche Masse, welche Macht?
Von welcher Masse ist in der Affenoper die Rede und von welcher Art der Macht? Und wie kann das auf der Bühne übersetzt werden? Meine Assoziationen verselbstständigen sich. Masse ist laut Canetti auch organisierte Masse, Heer und Kirche. Und im Topos der Macht, dieser Projektionsfläche für die Masse, vereinen sich mehrere Elemente des menschlichen Triebs. In meinem inneren Ohr drängen sich des öfteren Chor-Passagen von Bachs dramaturgisch so meisterhaft gesetzter Johannespassion auf. Der Chor/die Masse besingt oder beschimpft ihn, den Herrscher, den Erlöser. Herr, unser Herrscher: Der Eingangschor lässt diese unglaubliche Macht der Masse spüren. Die Musik zeigt uns in ihrer Wucht auch die Ambivalenz dieser Macht. Dieser Chor kann leicht zu einer Bedrohung mutieren. Im Laufe des Werks lässt der Chor/die Masse den Erlöser fallen und er wird zum Feindbild erklärt. Der Affe durchlebt also seine etwas andere Passionsgeschichte. Ein Affe wird zum Gott erklärt, und der Affe ist es, der Gott zum Affen macht.
Ist die Affenoper ein differenziertes Werk?
Monika Robescu: Differenziert? Strukturell ausgelotet – eher so.
Was ist zum jetzigen Stand euer Konzept für die Affenoper?
Monika Robescu: Räume und Kompetenzen kristallisieren sich heraus. Rollen sind verteilt. Textbearbeitungen haben begonnen. Ich habe die Chansons geschrieben. Wir freuen uns auf die ersten Leseproben.
Martina Raab: Es wird eine szenische Lesung mit Musik- und Gesangseinlagen: Unser Bestreben ist, mit den Mitteln und Möglichkeiten, die wir haben, das Bestmögliche zu realisieren.
Kristian Wachinger: Es sieht so aus, als würden wir in den kommenden drei Monaten eine szenische Lesung mit performativen Einlagen auf die Beine stellen können – als Anreißer für eine verspätete Uraufführung des hochaktuellen Stoffs.
Gibt es eine Erkenntnis?
Martina Raab: Was ist echt, was ist gespielt? Was zählt in der heutigen Welt, um von sich reden zu machen? Stichwort Soziale Medien.
Fehlt die Musik in Canettis Stück?
Monika Robescu: Soundscapes fehlen. Die Lieder – als eigentliches Opernlibretto – fallen eigentlich völlig heraus.
Martina Raab: Im Gegenteil: Das Fehlen der Musik ist das Spannende in unserer Situation und zugleich die Herausforderung. Dieser Umstand lässt viel Interpretationsspielraum und künstlerische Freiheit.
Was sind die Themen im Stück?
Martina Raab: Schein und Sein, Manipulation, Täuschung und Tarnung.
Die schweigende Rolle des Affen: Wer ist der Affe?
Fani Vovoni: Der Affe ist die Nullstufe der Macht – die personifizierte Inhaltslosigkeit. Jedoch ist dieser Platz der Macht ungeheuer wichtig. Wichtig ist das Amt, die Stelle, der Platz.(Hegel, Marx, Lacan) Der König/der politische Führer/der Richter sind wichtig wegen des Amtes und nicht weil die Personen dahinter wichtig wären. Idealerweise vermag eine Demokratie diesen Platz vernünftig zu besetzen. Das kann aber auch schief gehen. Unter diesem systemimmanenten Problem der Demokratie hat die Menschheit schon viel gelitten. Der Affe resümiert durch seine Anwesenheit hier alle diese geschichtlichen Momente des Versagens der Demokratie, des Versagens des Individuums gegenüber der Masse.
Warum sucht sich Canetti ausgerechnet eine Tragikomödie als Genre aus? Einen Affen als Hauptfigur? Er entkleidet damit diese Position der Macht, stellt die Zerbrechlichkeit der demokratischen Prozesse bloß und zeigt uns, wie nah beieinander das Komödiantische und das Tragische liegen.
Martina Raab: Eine Hauptperson, die zufällig zur Hauptperson wurde – nämlich erst durch das Denken der Anderen. Das macht den besonderen Reiz dieses Werks aus: Eine Hauptfigur, die kaum etwas von sich selbst preisgibt und von den Anderen zu etwas „gemacht“ wird.
Bringt ihr Theorie auf die Bühne oder Gefühle?
Monika Robescu: Theorie oder Gefühle: Wir bringen "Grauzonen" auf die Bühne - das ist das Interessanteste.
Martina Raab: Jedes Geschehen auf einer Bühne lässt Gefühle beim Publikum entstehen. Inwieweit das Publikum diese an sich heranlässt, entscheidet jeder/jede einzelne.
Fani Vovoni: Meine absolute Lieblingsfrage: Wie kommt es zusammen? Was war zuerst, das Ei oder die Henne? Die Theorie/Das Rationale analysiert das Gefühl/das Irrationale. Oder aber ist ein Gefühl nichts anderes als die sinnliche Form der Erkenntnis: Angenommen, dass Gefühl auch Form ist bringen wir Theorie in Gefühlform auf der Bühne.