Die Schule als Brücke zu Kunst und Kultur

© Josef Köberl

Die Schule als Brücke zu Kunst und Kultur

Beobachtungen einer Wiener Volksschulehrerin

Die Schule ist der Ort, um breitflächig und möglichst barrierefrei Kinder das erste Mal mit Kunst und Kultur in Berührung zu bringen. Doch die Realität stellt die Schulen, Lehrkräfte sowie auch die Kinder und ihre Eltern vor große Herausforderungen. Was muss sich ändern?

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Status Quo

Ein Turnsaal gefüllt mit 200 Schüler*innen. Die Bänke des Turnsaals reichen nicht aus, damit jede*r darauf sitzen kann. Deshalb verwenden die Lehrer*innen noch zusätzlich Matten, damit alle Kinder der Schule gespannt auf das Bühnenbild schauen können, das seit zwei Stunden aufgebaut wurde. Einmal im Jahr kann es sich die Schule leisten, eine externe Theatergruppe einzuladen. Mehr Geld ist nicht vorhanden, denn mehr Geld gibt es vom Elternverein nicht. Der wird immerhin von den Eltern der Kinder finanziert.

Die Künstler*innengruppe wurde so ausgewählt, dass die Kinder das Stück so gut es geht verstehen. Immerhin sind zirka 50 % der anwesenden Kinder ao-Schülerinnen. Das bedeutet, sie sind außerordentlich an der Schule aufgenommen, weil ihre Sprachkenntnisse noch nicht ausreichend sind, um dem Unterricht folgen zu können.

Endlich geht der Vorhang auf und ein Mann in einem Glitzeranzug singt ein Lied darüber, was für ein schöner Regenbogenfisch er ist. Zehn Minuten nach Beginn hört man mehr Maßregelungen, als den sorgsam aufbereiteten Text der Schauspieler*innen.

Der gute Wille seitens der Schule, den Kindern kulturelle Bildung mitzugeben, ist definitiv da. Denn an dieser Schule unterrichtet nicht nur eine Schauspielerin, sondern auch ich, eine Theaterpädagogin. Wir beide haben versucht, mit der unverbindlichen Übung „Darstellendes Spiel“ die Schüler*innen an Kunst und Kultur heranzuführen. Die Anmeldung für dieses freiwillige Fach am Nachmittag war spärlich. Was läuft falsch?

 

Das Lehrpersonal

Der Schulstart ist gerade angelaufen und wir Lehrer*innen haben zahlreiche Angebote für diverse Theatervorstellungen oder Workshops bekommen. Viele davon kostenlos. Das Angebot ist da. So viele Theaterhäuser und -vereine haben es sich zur Aufgabe gemacht, ihre Stücke und Workshops leistbar für alle zu machen. Es gibt Förderstellen wie den OEAD, Österreichs Agentur für Bildung und Internationalisierung, dessen Aufgabe es ist, Kunst und Kultur an die Schule zu bringen und trotzdem nimmt es niemand an unserer Schule an.
„Das verstehen meine Kinder sowieso nicht.“ „Ich weiß nicht, ob das gut ist.“ „Wir müssen dringend den Stoff aufholen, da hab ich für sowas keine Zeit.“ O-Töne aus dem Kollegium. Und ich – als Volksschullehrerin UND Theaterpädagogin – habe dafür Verständnis. Gerade Schüler*innen aus sozial schwächeren Familien und dann vielleicht noch mit Migrationshintergrund haben so viel mehr zu lernen als andere. Was diese Kinder aufholen müssen, um dem österreichweiten Lehrplan zu entsprechen, ist unvorstellbar. Sie bekommen dafür aber nicht mehr Zeit als andere. Die Lehrer*innen fühlen sich dafür verantwortlich, ihre Kinder an die Mindestanforderungen des Lehrplans heranzuführen. Schaffen sie es nicht, haben sie ja nicht gut gearbeitet. Da bleibt keine Zeit, um auf der Bühne zu tanzen. Bevor wir unsere Kinder von etwas überzeugen können, müssen wir erst auch das Lehrpersonal ins Boot holen.
Kostenfreie Theaterworkshops oder -vorstellungen für den Lehrkörper in Kooperation mit den pädagogischen Hochschulen, um die verpflichtenden Fortbildungen abzudecken, wäre eine Möglichkeit, um hier anzusetzen. Die Bereitschaft, Kunst und Kultur für eine Klasse zu buchen, steigt, wenn auch die Pädagog*innen davon überzeugt sind.

© Joseph Köberl

Die Kinder

Hat man erst einmal den Lehrkörper auf seiner Seite, steht man noch immer vor der Herausforderung, auch die Kinder zu begeistern. Zu gut kann ich mich selbst noch an experimentelle Theatervorführungen in meiner Jugend erinnern, die ich mit der Schule besuchen „musste“. Theater ist doch eine Geschichte, die mir erzählt wird! Mit Kostüm und Text. Das Verständnis für andere Arten des Theaters kam erst viel später und die Wertschätzung erst, nachdem ich es selbst in partizipierender Form erleben durfte.
 

Und hier liegt der Schlüssel zum Erfolg: die eigene Erfahrung mit Kunst, um eine tiefere Verbindung dazu zu entwickeln. Der Besuch von Theatervorstellungen ist hierbei von großer Bedeutung, genauso aber sollten Kinder selbst in diesem Bereich aktiv werden können und selbst auf der Bühne stehen. Leicht zugängliche Theaterworkshops geben ihnen die Möglichkeit, eigene Ideen zu entwickeln, ihre Gefühle darzustellen und die eigene kreative Ausdruckskraft zu entdecken. Durch das Kennenlernen der Welt des Theaters von innen wächst auch die Wertschätzung gegenüber Kunst und Kultur.

Kunst und Kultur schenken den Kindern die Möglichkeit, ihre Horizonte zu erweitern und Vorurteile abzubauen. Sie öffnen Augen und Seele für so viel Wichtiges, das in unserer Welt oft verloren geht. Sie geben ihnen den Raum sich kreativ auszudrücken, ihre Sichtweisen zu erweitern und eine tiefere Verbindung zu sich selbst und ihrer Umgebung zu finden. Kein anderer Bereich schafft so viel auf einmal.

Die Eltern

Der Einfluss der Eltern auf die Kinder ist unumstritten. Bildung wird vererbt, vor allem in Österreich. Die logische Schlussfolgerung wäre, dass man die Eltern dazu bringen muss, ihre Kinder ins Theater zu bringen. Meine Meinung ist eine andere. Eltern, die bereits einen guten Zugang zu Kunst und Kultur haben, können diesen natürlich an ihre Kinder weitergeben. Doch auch Eltern, die bisher wenig Berührungspunkte damit hatten, müssen kein Hindernis darstellen. Durch Schulen als Katalysator können Kinder unabhängig vom sozio-ökonomischen Hintergrund ihrer Eltern Zugang zu Theater und Kunst erhalten. Wenn die Eltern sehen, wie begeistert ihre Kinder von den neuen Erfahrungen im Theater sind, entsteht oft auch bei ihnen ein wachsendes Interesse und eine Offenheit gegenüber kulturellen Angeboten, deren Leistbarkeit immer vorausgesetzt.

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Was sich ändern muss

Eine mögliche Lösung liegt darin, die Schulen stärker als Brücke zwischen der Kunst und den Kindern zu etablieren. Ein regelmäßiges Angebot an Theaterworkshops, in denen Schüler*innen selbst aktiv werden, könnte das Verständnis und die Wertschätzung für Kunst nachhaltig fördern.Damit solche Projekte für alle zugänglich sind, bedarf es einer nachhaltigen Finanzierung ohne großen bürokratischen Aufwand. Durch staatliche Unterstützung oder private Förderprogramme könnten Theaterworkshops als fester Bestandteil des Schulcurriculums etabliert werden. Diese Workshops bieten nicht nur eine künstlerische Plattform, sondern auch einen Raum für persönliche Entfaltung und Teamarbeit. Kulturelle Angebote dürfen nicht nur für Kinder aus bildungsnahen Haushalten zugänglich sein, sondern sollten durch Schulen als neutrale Plattform für alle Familien erreichbar werden.

Die Autorin ist ausgebildete Volksschullehrerin sowie Theaterpädagogin und unterrichtet seit sieben Jahren an einer öffentlichen, sogenannten Brennpunktschule in einem Wiener Randbezirk. Sie hat sich entschlossen, diesen Text anonym zu veröffentlichen.

WUK KinderKultur

WUK Kinderkultur macht seit Jahrzehnten hochqualitatives (Theater-) Programm für Kinder und Jugendliche. Seit 2024 bietet WUK KinderKultur ein kostenloses Vermittlungsprogramm für Kindergruppen und Schulklassen.

Kulturvermittlung

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