Denkmodelle durchspielen
In deiner aktuellen Produktion „The Game“ steht das Spiel im Vordergrund. Warum hast du dich für dieses Thema entschieden?
Thomas Jelinek: Das Thema stand schon länger an, beziehungsweise auf unserer Liste der zu fokussierenden virulenten Themen der Gegenwart. Wir wussten schon, als wir zu den Avataren gearbeitet haben, dass wir als nächstes zum Spiel, dem Game, kommen würden. Von den Spielfiguren zum Spiel so zu sagen. Was wir noch nicht wussten ist, dass es schwerer ist, als es scheint. Wahrscheinlich weil wir, generell gesprochen, immer drinnen sind im Spiel, oder in EINEM Spiel, und es deshalb schwierig ist heraus zu treten und genügend Betrachtungsdistanz zu bekommen.
Ganz besonders wenn wir uns jetzt in einem Performance-Raum, im „Theaterraum“, befinden werden – der per se ein Simulationsraum ist. Und das Spiel ist ja eben eine Form der aktiven Simulation. Die Frage ist eine Simulation wovon? Sagen wir ein Simulationsraum für den „Ernstfall“, in einer durch z.B. Reglementierung geschützten Realität, wobei die Grenzen hier sehr fließend bleiben und oft auch nur Interpretationssache sind. Wir müssen begreifen, dass wir in der Mehrheit im Grunde „nur“ Spielen. Und hier zeigt sich schon die erwähnte Schwierigkeit und Komplexität des Diskurses.
In unserer Gegenwart wird viel über die so genannte Gamifizierung, über eine Infantilisierung der Gesellschaft gesprochen, gleichzeitig über einen Ernst der Lage, den wir so noch nicht erlebt haben. Es gibt auch das globale Spiel, mit allen Global Playern, das wir offenbar nicht in der Lage sind zu beenden oder zumindest zu verändern. Wir können offenbar nicht aufhören im permanenten Global Game andere zu übertrumpfen, auszubeuten zu vernichten, um, ja … was eigentlich, besser zu sein, zu gewinnen, Vorteile für sich zu erobern...
"Warum können wir uns das Ende der Welt eher vorstellen als das Ende des Kapitalismus?" schrieb Mark Fisher, aka k-punk, der hoffentlich noch vielen ein Begriff ist, und zitiert Ursula K. Le Guin irgendwo in seinem Blog: >> We live in capitalism, its power seems inescapable - but then, so did the divine right of kings. - Wir leben im Kapitalismus, seine Macht scheint unausweichlich - aber das galt auch für das göttliche Recht der Könige. <<
Natürlich haben die Leute, die sich gerade auf der Gewinnerstraße fühlen, einen Tunnelblick entwickelt - ein „klassisches „ Phänomen wie es sich auch im Casino beobachten lässt, in dem alles andere als Störung des Rausches aus Adrenalin-Dopamin-Sertonin-etc. empfunden werden muss. In den Erfolgsverfolgergruppen und im mehrheitlichen Mittelfeld, ist es doch der Komfort und die noch immer bestehende Möglichkeit der Verdrängung der Probleme an die Außengrenzen des eigenen Seins, auch wenn die Mieten und Energiekosten schon langsam zu würgen beginnen, was die Meisten noch immer am Mitspielen hält. So setzt sich die Besatzung des Fahrzeugs zusammen die gegen die Betonwand rast und trotz Wissens um die Konsequenzen, nicht auf die Bremse steigt. Dabei sein ist eben alles...
So hat uns dieses Spiel in eine höchst bedenkliche Lage gebracht, wie wir leider feststellen müssen. Und es scheint, dass dieses Spiel gegenwärtig nur noch durch Ausstieg gewonnen werden kann. Aus dem Fahrzeug springen oder das Spiel so radikal zu verändern, dass es ein anderes ist. Hier ist womöglich der Simulationsraum des Spiels die beste, vielleicht sogar die einzige Option das Spiel in eine positive Richtung zu verändern, die >>gamchanging means and stragies<< – also die Strategien und Mittel, die das Spiel in seiner Gesamtheit ändern - zu entwickeln.
Das werden wir in der kurzen Zeit einer Performance nicht alles verhandeln können. Aber wir können einen Ansatz bieten und einen Spielraum schaffen, in dem wir über einen kurzen Zeitraum „live“, zusammen mit dem Publikum einige performative Versuche anstellen und Denkmodelle quasi physisch durchspielen.
Die Performance ist ein Live-Simulationslabor und das TEST.TUBE.LAB wird danach mit seinem Diskurs noch einige Monate weiter gehen. Den Prozess werden wir dann im Sommer mit der nächsten Staffel der TERRA NOVA protokolle dokumentieren und filmisch aufbereiten.
Du beziehst dich auf Friedrich Schiller, der schreibt „Unter allen Zuständen des Menschen ist gerade das Spiel und nur das Spiel, was ihn vollständig macht und seine doppelte Natur auf einmal entfaltet.“ Warum spricht dich dieses Zitat im Besonderen an?
Thomas Jelinek: Ich habe Schiller zitiert, weil es vermutlich die bekannteste Satz-Aussage zum Spiel im deutschsprachigen Raum ist. In seiner vereinfachten Verkürzung kennen wohl die meisten den Satz als: >Der Mensch ist nur da ganz Mensch, wo er spielt.<
Aber das komplette Zitat erwähnt eben unsere Mehrseitigkeit und das als >doppelte Natur< bezeichnete Spannungsverhältnis in dem wir, als das was wir sind, existieren und nur so existieren können. Dass wir im Grunde nur in solchen Verhältnissen und mehrdimensionalen Prozessen leben können wird erst heute langsam, ernsthaft in immer mehr Lebensbereichen, im Diskurs berücksichtigt. Wie sich aber mit diesem Zitat zeigen lässt, ist diese Sicht schon lange im wissbaren Bereich der Menschheit gelegen.
In „The Game“ ist das Publikum dazu aufgefordert selber aktiv zu werden – entweder im Saal im Publikum oder auch von überall auf der Welt mittels Livestream. Was ist das Besondere für dich an einem interaktiven Setting?
Thomas Jelinek: In der Performance oder generell im Theater geht es um eine Live-Aktion, in dem das Publikum immer aufgefordert ist Stellung zu beziehen und auch jederzeit die Möglichkeit hat in das Geschehen einzugreifen. Auch physisch. Das wird nicht so oft genutzt, aber die Potenzialität ist da. Das ist auch eines der Kraftkerne der Live-Performance. In the GAME ist das explizit. Das heißt aber nicht, dass ich als Publikum mit agieren muss, es gibt keinen Zwang. Niemand muss irgendetwas tun. Aber ich muss mir bewusst sein, dass ich Stellung beziehen muss und die Entscheidung mich zurückzunehmen, Zuschauer_in – Zeug_in – zu bleiben genauso spielentscheidend sein kann, wie die Entscheidung mich aktiv einzubringen. Die Fragen: mitmachen, verweigern, zuschauen oder agieren, sprechen oder schweigen sind Teil des Spiels – Part of the game – so zu sagen.
Generell gesprochen ist das immersive Momentum ein ganz besonderer Kommunikationszustand ,den das Theater erreichen kann und gemeinhin zu einem tieferen Verständniszustand führt. Einfacher gesagt ist das Unmittelbare, Direkte in einem gemeinsam geteilten Raum das besondere der Performance, des Theaters als Kunstform. Im digitalen Raum kann ich das im interaktiven Setting erzeugen, wie beispielsweise in on-line multiplayer Games. Ein Spiel erfassen wir am Besten, indem wir es spielen und dazu müssen wir selbst aktiv werden. So oder so.
„Live“ - heißt unter den Augen einer sich als Öffentlichkeit empfindender Menge von Personen, die sich im digitalen oder auch im physischen Performance - Raum sich eher den Zeug_innen als den Akteur_innen zuschreiben. Es braucht beide Parts, die „doppelte Natur“ so zu sagen, um Realität zu erzeugen.
Du arbeitetest in einem großen Team und setzt ein transdisziplinäres Projekt um. Wie können wir uns euren Arbeitsprozess und eure Zusammenarbeit vorstellen?
Thomas Jelinek: Ich spreche da lieber von Kollaborativen oder temporären Kollaborativen, die aber immer grossartige Teams bilden mit denen es auch eine persönliche Freude ist die Prozesse zu entwickeln und zu teilen. Es gibt da natürlich auch ein Kernteam, das jetzt schon eine ganze Weile und über mehrere Projekte bzw. von Anfang an bei den TEST.TUBE.LABs und den Terra Nova Protokollen dabei waren. Dieses Team ist nicht so groß, aber sehr cool und unglaublich kompetent. Darum herum gibt es aber ein weitreichendes Netzwerk von Menschen, die an verschiedenen Dingen arbeiten oder ähnliche Interessen oder Forschungsfelder haben, bestimmte Dinge entwickeln oder einfach gut in bestimmten Dingen sind, zu denen es oft persönliche aber auch berufliche, kommunikative oder andere Bindungen gibt, die als Artists und Experts dann ein Stück der Prozesse in den Laboren und künstlerischen Entwicklungen gemeinsam gehen. Das können intensive Gespräche und Diskussionen, praktische Zusammenarbeiten, Entwicklung und künstlerischer Austausch, gemeinsames Spielen und Ausspinnen von Ideen sein. Es geht immer um ein kommunikatives Lernen und eigentlich, auch hier, um einen temporären Synchronisationsakt. Wie er auch mit dem Publikum passieren kann und soll. Diese Kollaborationen bringen das Projekt, die Prozesse im Labor und einzelne Outputs weiter und gibt meist nachhaltig auch für das eigene Tun und Sein etwas auf den Weg mit. Dieses Netzwerk ist allerdings sehr groß, so dass ich selbst die Prozesse aber nie alle Effekte wahrnehmen kann. Ich betreibe diese Prozesse und versuche sie auch gleichzeitig sichtbar zu machen, wie ich auch dazu einlade daran teilzunehmen. Es ist wie ein großes Spiel.