Den eigenen Augen nicht trauen
Inspiration für „blind spot light“ ist die Erzählung „Ihr glücklichen Augen“von Ingeborg Bachmann. Wie bist du auf diese Erzählung aufmerksam geworden und inwiefern hat sie dich zu deiner Performance inspiriert?
Jan Machacek: Ich lernte Ingeborg Bachmanns Texte über ihre Lyrik kennen. Als Teenager mit vielleicht 14 Jahren war ich fasziniert von Gedichten wie „die gestundete Zeit". Ihre Erzählungen habe ich erst später entdeckt. "Ihr glücklichen Augen“ ist aus ihrem letzten veröffentlichten Buch Simultan (1972). Ich bin ein sehr visueller Mensch, ich glaube auch deshalb hat mich das Grundmotiv dieser Erzählung so angesprochen. Miranda, die Hauptfigur, hat eine starke Sehschwäche. Sie weigert sich jedoch eine Brille zu tragen und nimmt ihre Umwelt lieber nur verschwommen und schemenhaft wahr. Man könnte auch sagen: sie malt sich die Welt zurecht, anstatt sie fotografisch festzuhalten.
Die Performance wird die Erzählung aber nicht linear nacherzählen, sondern Motive daraus verwenden, um eigene Positionen und Aussagen zu entwickeln.
Du nennst „blind spot light“ eine audio-visuelle Reise, in der ein nicht-hierarchisches Miteinander von Raum, Projektion, Text und Körper passieren soll. Was können wir uns darunter vorstellen? Was wird uns im Projektraum erwarten?
Jan Machacek: Mein Zugang ist prinzipiell ein medialer. Mich interessieren die einzelnen Bausteine einer Performance in ihrem Zusammenspiel. Die Sprache ist dabei ein Baustein unter anderen und der Gesang wird genauso wichtig genommen wie das gesprochene Wort. In „blind spot light“ will ich das Publikum dazu einladen, den eigenen Augen nicht zu trauen. Die Performance findet hinter einem Screen statt, der den gesamten Raum und meinen Körper unscharf erscheinen lässt. Nur projizierte Videos sorgen punktuell für scharfe Bilder. Es ist ein wenig wie ein kollektiver Sehtest. Dies passiert zur Musik von Angélica Castelló, die das Motiv der Schärfe/Unschärfe akustisch interpretiert. Wichtig für dieses Zusammenspiel sind aber auch das Licht-Design von Bartek Kubiak und das Kostüm und die Requisiten, die Hanna Hollmann entwickelt hat. Die Zusammenarbeit im Team ist für mich essentiell. Ich finde es ironisch, dass an meinem Solo so viele andere Menschen beteiligt sind. Mir wurde das erst in den Proben so richtig klar.
Für die Musik zeichnet sich Angélica Castelló verantwortlich. Wie war eure Zusammenarbeit?
Jan Machacek: Ich kenne Angélica schon lange, wir sind einander oft rund um das klingt.org-Kollektiv begegnet. Ich schätzte sie als Live-Musikerin, aber wusste lange nicht, dass sie auch Komponistin ist. Unsere erste Zusammenarbeit war bei „red rooms“, Angélicas erster Oper, die letzten Herbst bei Wien Modern Premiere hatte. „red rooms“ war für mich eine tolle und intensive Erfahrung. Für mich war klar, dass ich möglichst bald wieder mit ihr zusammenarbeiten möchte. Wie sieht unsere Zusammenarbeit aus? Wir lassen während der Proben viel Platz für Improvisation. Erst gegen Ende definieren wir einen finalen Ablauf und machen uns an die Detailarbeit. Es ist uns dabei aber wichtig, dass in der Aufführung, im Live-Moment, Platz für Spontanität und Experimente bleibt. Insofern wird jeder Abend anders aussehen und klingen.
Du verbindest in deiner Performance das Fiktive mit autobiographischen Elementen. Warum hast du dich für diesen Zugang entschieden?
Jan Machacek: Das Thema und die Form der Performance sind sicher persönlich. Deswegen bezeichne ich "blind spot light“ auch als Solo. Neben dem Aspekt der Kooperation mit einem Team ist mir aber auch das Fiktive in Form der Erzählung sehr wichtig. Bachmanns Text wird in kurzen Zitaten auftauchen und einen anderen Raum aufmachen, eine parallele Welt. Es ist eine Geschichte, die in Wien spielt und von einer Frau erzählt, die mit der Wirklichkeit nicht zurecht kommt und - wie es im Text heißt - darüber erstaunt ist, „wie die anderen Menschen das jeden Tag aushalten, was sie sehen und mit ansehen müssen.“ Ich entwickle die Performance ausgehend von meinen individuellen Unschärfen und blinden Flecken und auch der Verzweiflung darüber, dass eine bessere Welt in immer weitere Ferne zu rücken scheint. Ich reflektiere also meine eigenen Fragen mit Hilfe von Bachmanns Text und hoffe, dass sich das Publikum darin wiederfindet.