Demokratiebildung und Wahlausschluss – Wie geht das zusammen?

Demokratiebildung und Wahlausschluss – Wie geht das zusammen?

Demokratie im Pflichtschulabschlusskurs WUK m.power

Im neuen Regierungsprogramm von ÖVP, SPÖ und NEOS ist im Kapitel „Schulische Bildung“ prominent von einem neuen, verpflichtenden Unterrichtsfach mit dem klingenden Namen „Demokratiebildung“ zu lesen. Die Idee klingt vielversprechend. Im Pflichtschulabschlusskurs von WUK m.power besprechen wir schon seit vielen Jahren mit jungen Erwachsenen das große Thema „Demokratie“. Welche Fragen und Schwierigkeiten dabei aufkommen können, beleuchtet dieser Text.

Lesezeit: ca. 5 Minuten

Viele der jungen Erwachsenen im Pflichtschulabschlusskurs von WUK m.power sind Asyl- oder subsidiär Schutzberechtigte, die bisher neben Deutschkursen vor allem in verpflichtenden Orientierungs- und Wertekursen des Österreichischen Integrationsfonds mit Demokratiebildung in Berührung kamen. Ist dort vor allem eine frontale Vermittlung von Wertehaltungen das Ziel, verfolgt WUK m.power die Absicht, mit den Teilnehmer*innen auf Augenhöhe ins Gespräch zu kommen.

Fragt man eine Runde von Jugendlichen, was eine Demokratie denn im Kern ausmacht, so kommt schnell die Antwort, dass es hier zentral um die Mitbestimmung aller geht. Dieser wichtige demokratische Grundpfeiler wird in manchen Klassenverbänden wohl unhinterfragt hingenommen und die Aufzählung geht flott mit Meinungsfreiheit, Menschenrechten oder anderen Begriffen weiter. In heterogenen Gruppen wie bei WUK m.power, in denen Schüler*innen mit unterschiedlichsten Herkünften und Staatsbürgerschaften sitzen, kommen aber schnell Einwände auf. Denn bei Weitem nicht alle dürfen wählen, auch wenn viele in Österreich geboren sind oder bereits seit ihrer Kindheit hier leben.

Diese Problematik ist besonders in Wien stark ausgeprägt, wo von rund 100.000 Jugendlichen, die seit der letzten Gemeinderatswahl 2020 das Wahlalter erreicht haben, nur zwei Drittel tatsächlich am 27. April ihr Kreuz machen dürfen. Im Pflichtschulabschlusskurs, in dem junge Erwachsene ab 16 Jahren ihren Abschluss nachholen, ist die Situation noch drastischer. So waren bei WUK m.power in den vergangenen Jahren im Schnitt nur ein Viertel der Teilnehmer*innen in Österreich wahlberechtigt. Wie also mit Jugendlichen über Demokratie sprechen, die zum großen Teil von Wahlen ausgeschlossen sind?

© Susanne Senekowitsch

Persönliche Erfahrungen einbeziehen

Im Unterrichtsfach „Deutsch, Kommunikation und Gesellschaft“ beschäftigen sich die Kursteilnehmer*innen mit Aspekten demokratischer Mitbestimmung. Den Einstieg bildet dabei die Auseinandersetzung mit dem Begriff „Heimat“ und den damit verknüpften Konzepten von Identität, Zugehörigkeit und Staatsbürgerschaft. Die Idee ist, die vielen unterschiedlichen Erfahrungen und Biografien gleich zu Beginn sichtbar zu machen und auch Jugendliche, die erst seit kürzerer Zeit Deutsch lernen, mit ihren persönlichen Anknüpfungspunkten mit ins Gespräch zu holen. Milena Merkač, Trainerin bei WUK m.power, erklärt diesen Zugang so: „Viele Jugendliche sind vom Wahlausschluss betroffen. Darüber zu sprechen und zu sagen, das ist ungerecht, regt viele zum Mitdiskutieren an.“ Elisa, eine Teilnehmerin, meint dazu: „Ich habe in verschiedenen europäischen Ländern gelebt und Demokratie ist überall ein bisschen anders. Es ist aber doch komplett egal, welche Staatsbürgerschaft ich habe. Ich bin ein Mensch. Und sollte gehört werden.“ 

Zusätzlich ist auch mitzubedenken, dass die meisten Trainer*innen bei WUK m.power weiße Akademiker*innen mit Wahlberechtigung sind. Aus dieser privilegierten Position über Mitbestimmung zu sprechen, kann Unbehagen auslösen oder an der Realität der meisten Teilnehmer*innen vorbeigehen. 

Das sichtbar zu machen und unterschiedlichen Perspektiven und Erfahrungen Raum zu geben, ist daher ein gewinnbringender Ansatz für alle. „Unser Ziel ist es, Demokratie nicht nur zu erklären, sondern mit den Teilnehmer*innen gemeinsam darüber zu sprechen und zu diskutieren. Sie teilen dann gerne ihre Erfahrungen, z.B. erklärt jemand aus dem Iran, warum freie Meinungsäußerung wichtig ist, oder jemand aus Afghanistan spricht darüber, warum auch Mädchen in die Schule gehen sollen“, erläutert Milena Merkač.

Nicht beschönigen, aber Alternativen thematisieren

Großen Wert legen die Trainer*innen darauf, mit den Jugendlichen unterschiedliche Formen der demokratischen Mitbestimmung zu thematisieren. Im weiteren Kursverlauf beschäftigen sich die Teilnehmer*innen etwa mit verschiedenen Möglichkeiten, Argumente zu formulieren. So sollen sie darin gestärkt werden, ihre eigene Meinung zu finden und diese auch schriftlich oder mündlich in unterschiedlichen Formaten zu äußern. „Ich will ihnen zeigen, dass alles, was wir gemeinsam in der Gesellschaft gestalten, wie wir miteinander umgehen und leben, aber auch, ob wir demonstrieren gehen oder etwas auf Social Media posten, demokratische Mitbestimmung sein kann“, sagt die Trainerin. Hier werden dann in weiterer Folge auch gemeinsam Alternativen erdacht und hitzig diskutiert, wie Staatszugehörigkeit oder Wahlen anders organisiert sein könnten. Denn wie in demokratischen Prozessen wenig überraschend, gehen die Meinungen auch hier stark auseinander. „Ich finde vor allem unfair, dass man so viel verdienen muss, um eine Staatsbürgerschaft in Österreich zu bekommen. Das würde ich sofort ändern“, sagt Mem, ein Teilnehmer.

(c) Susanne Senekowitsch

Generell ist die Zuversicht für veränderte Bedingungen und mehr Mitspracherecht bei den Jugendlichen aber leider gering. Desire, der in Österreich geboren ist und bei WUK m.power seinen Abschluss nachholt, kritisiert: „Für mich ist es sinnlos und langweilig, über die österreichischen Parteien etwas zu lernen, wenn ich dann sowieso nicht wählen darf. Ich glaube leider auch nicht, dass sich die Gesetze da bald ändern werden.“

Bei all den Versuchen, die Breite an Möglichkeiten aufzuzeigen, um sich Gehör zu verschaffen, bleiben bis zum Schluss der Widerspruch und die Ungerechtigkeit bestehen, die sich durch den Wahlausschluss einer großen Gruppe von Menschen ergeben. Das kann nicht beschönigt oder wegdiskutiert werden. Es auszuhalten und dabei trotzdem Alternativen zu thematisieren, ist das Spannungsfeld, in dem sich diese wichtige pädagogische Praxis abspielt.

Text: Angela Tiefenthaler ist in der Leitung des Pflichtschulabschlusskurses WUK m.power tätig und unterrichtete zuvor jahrelang das Fach „Deutsch, Kommunikation und Gesellschaft“.

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