Das Recht auf Teilhabe an Kunst und Kultur

(c) Mataz Al Kerdy

Das Recht auf Teilhabe an Kunst und Kultur

Über unsichtbare Barrieren im Kunst- und Kulturbetrieb

Das Recht, am politischen, sozialen und kulturellen Leben teilzuhaben, muss gelebte Wirklichkeit werden. Doch was bedeutet Teilhabe überhaupt?

Was heißt eigentlich „offen“? Ist Offenheit ein Gut?
Wir wollen offen sein, Offenheit zum Thema machen, infrage stellen, umsetzen - barrierefrei, niederschwellig, vermittelnd.

Wer kann unter welchen Bedingungen an Kunst und Kultur teilhaben? Und wer bleibt aufgrund von strukturellen Schwellen außen vor? Was ist notwendig, um eine möglichst breite Teilhabe zu gewährleisten?

 

Das Recht, am politischen, sozialen und kulturellen Leben teilzuhaben, darf nicht leere Phrase bleiben, sondern muss gelebte Wirklichkeit werden. Doch was bedeutet Teilhabe überhaupt? Wie werden Teilhabemöglichkeiten geschaffen und wie verhandeln wir Teilhabe für alle? Wie kann sich das Recht auf Teilhabe in den Strukturen widerspiegeln und über die Publikumsebene hinausgedacht werden?

Wie können Transformationsprozesse in Gang gesetzt werden, die soziale Ungleichheit thematisieren und die Interessen von Menschen ins Zentrum rücken, die benachteiligten Gruppen zugeordnet werden, wie u. a. behinderte Menschen, junge, ältere Menschen, bildungsferne, ökonomisch benachteiligte Menschen, Menschen of color, Menschen mit Migrationsbiographie?

Dieser Text bietet keine endgültigen Antworten auf die aufgeworfenen Fragen einer umfassenden Teilhabe. Wir sind als Gesellschaft vor zentrale Herausforderungen gestellt, wie etwa einem demographischen Wandel, einem sozioökonomischen Strukturwandel, Globalisierungeffekten sowie neoliberalen Produktionsweisen, die Ausschlüsse im Zusammenleben verstärken. Hier stellt sich zu Recht die Frage, ob und welche künstlerische Methoden und Praxen den Machtverhältnissen der Gesellschaft entgegenwirken können und welche Rolle Kunst- und Kulturinstitutionen zukommt, die den Auftrag haben, das gesellschaftliche Leben einer Stadt mitzugestalten. Dieser Text lädt somit ein, darüber nachzudenken, wie wir Ausschlüsse erkennen, benennen, thematisieren und ihnen aktiv entgegenwirken können, denn Teilhabe am öffentlichen Leben darf nicht an das eigene Kapital in seinen verschiedenen Formen und bloß individuelle Anpassungsmöglichkeiten gebunden sein.[1]

Wen repräsentieren Kunst- und Kulturinstitutionen und welche Themen werden verhandelt? Sind diese tatsächlich zeitgemäß, und sind die Personen, die über diese Fragen bestimmen, zeitgemäß in ihren Positionen? Wie kann es gelingen, Menschen, die nicht über ausreichende Privilegien verfügen, um mitzubestimmen, mitzugestalten oder teilzunehmen, nicht in homogenen Kategorien zusammenzufassen und die in der Praxis erlebbare Vielschichtigkeit und Widersprüchlichkeit von klassistischen, sexistischen, rassistischen und bodyistischen Diskriminierungen in ihrer Verwobenheit wahrzunehmen?


Kunst- und Kulturinstitutionen tragen die Verantwortung, der heterogenen Gesellschaft gerecht zu werden. Dies kann gelingen, indem ein Diskurs darüber beginnt, dass Barrieren sichtbar und unsichtbar sind. Barrieren manifestieren sich zunächst im baulich-physischen Raum, die architektonische Gestaltung und die Lokation eines Raums verrät viel darüber, wer Eintritt dazu hat. Eine historisch, imperiale Fassade einer Hochkulturinstitution im Zentrum, in welchem das kulturelle und symbolische Kapital einer Stadt zur Schau kommt, wird keinen Einblick von außen gewähren. Besucher_innen werden in die Institution eintreten müssen, um zu erfahren, wie sie darin navigieren können und ob sie überhaupt willkommen sind.

Hier stellt sich die Frage, wer sich im Zentrum einer Stadt aufhält, wer dort wohnen, arbeiten oder verweilen darf. Weiters wer mit den Theatern, Museen und Konzertsälen einer Stadt in Berührung kommt und wer sie wie betreten kann - über den Haupteingang oder über den Hinterhof, sofern nur dort ein stufenloser barrierefreier Zugang möglich ist? Welche Hürden existieren aber, die bereits vor dem Aufsuchen einer Institution gegeben sind? Zunächst mal die wichtige Information vorab, ob und wie eine Teilnahme erfolgen kann. Ist eine Anmeldung oder Registrierung im Vorhinein gewünscht, muss sie über E-Mail erfolgen? Wie hoch ist der zu zahlende Preis? Dies sind Beispiele für Teilnahmevoraussetzungen, über die Besucher_innen in den meisten Fällen informiert werden. Wie informieren jedoch Kunst -und Kulturinstitutionen über sozio-kulturelle Codes, die vorherrschen, wie zum Beispiel wie und von wem eine Begrüßung beim Einlass in die Institution erfolgt, welche Kleidung getragen werden muss und wie Besucher_innen sich in diesem verhalten müssen? Müssen Besucher_innen sitzen, stehen, ruhig bleiben -  ist eine Interaktion erwünscht und wenn ja, in welcher Form? Sind sie Rezipient_in oder Mitwirkende? Sind Sie eingeladen, im diskursiven Raum mitzuwirken?

Wo etwas stattfindet, erfahren wir heutzutage nicht mehr nur über unsere physische Anwesenheit, sondern über die Präsenz im öffentlichen Diskurs, als auch über die sozialen Medien, die Websites, Flyer und Poster einer Veranstaltung. Welche Informationen zu den Teilnahmevoraussetzungen werden geteilt und welche nicht? Ist es die Verantwortung von Besucher_innen herauszufinden, ob ein barrierefreier Zugang möglich ist, ob ein Sitzplatz gegeben ist, ob Gebärdensprache angeboten wird, oder ob es zum Einsatz von Videos mit Untertiteln kommt, oder in welcher Sprache kommuniziert wird? Oder sind diese Fragen irrelevant, da sich das Programm an eine vermeintliche “Norm” richtet?


Wie müssen Kunst- und Kulturinstitutionen konzipieren und kuratieren, um keine Ausschlüsse zu reproduzieren? Indem sie anerkennen, dass Ausschlüsse auf verschiedenen Ebenen geschehen und kontextgebunden sind. Dies bedeutet, Ausschlüsse stets neu zu hinterfragen, denn wer welche Barriere als sichtbar oder unsichtbar wahrnimmt, ist unterschiedlich. Kunst- und Kulturinstitutionen müssen beginnen, über die Programmebene hinauszudenken und an ihren eigenen Strukturen arbeiten, um beginnend beim Personal eine Veränderung von innen nach außen zu bewirken. Dafür braucht es unterschiedliche Ressourcen, wie etwa Zeit und Geld, um nachhaltige strukturelle Veränderungen voranzutreiben. Hier kommt das Stichwort „Umverteilung“ ins Spiel und der Wille, über eine Umverteilung von Ressourcen nachzudenken. Der Wille, eine Utopie von morgen bereits heute zu verhandeln und Fragen zu stellen wie: Wie würden wir leben, wenn tatsächlich ein bedingungsloses Grundeinkommen für alle gegeben wäre und zwischen der Bezahlung der künstlerischen Leitung und der Reinigungskraft derselben Institution kein großer Unterschied bestünde.


Zunächst aber könnten wir sofort damit aufhören, über die “Anderen” zu imaginieren und anerkennen, dass wir nicht alle über dieselben Expertisen verfügen und schließlich einen gemeinsamen Dialog suchen. Der Handlungs- und Wirkungsbereich von Kunst- und Kulturinstitutionen ist größer als gedacht, und es gilt Wissen zu bündeln, eine diskriminierungssensible Haltung und die Frage der solidarischen Umverteilung wieder ins Zentrum zu rücken.
 

 

[1] Verweis: Pierre Bourdieu, Orteffekte. In: Ders., Das Elend der Welt. Zeugnisse und Diagnosen alltäglichen Leidens an der Gesellschaft, UVK Konstanz 1998.

 

Text: Dilan Sengül

Dilan Sengül ist Raumplanerin, Kuratorin, Kulturarbeiterin und aktuell die Büroleitung des D/Arts - Projektbüro für Diversität. D/Arts ist ein Projekt von vielen Akteur_innen, Initiativen und Institutionen, und zählt 69 Vereine und Institutionen als Mitglieder, die in breiter Allianz für eine diskriminierungskritische Transformation des Kulturbetriebs arbeiten. 
www.d-arts.at

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