Myriam
Das Kollektiv NYX widmet der Protagonistin aus Whitley Streiters Horrorklassiker „The Hunger“ nun eine interdisziplinäre Oper, die sich der musikalischen Werk-Struktur der Opera Seria bedient, jedoch Arien mit Liedern und Rezitative mit Soundscapes ersetzt. Besungen werden die Emotionen Freude, Trauer, Angst, Neugier, Ekel und Ärger, die das Publikum – mit kabellosen Kopfhörern ausgestattet – in intimen Hörsituationen durchlebt. Els Mondelaers, die auch auf der Bühne zu erleben sein wird, gibt Einblick in das Stück.
Weshalb habt ihr den Horrorfilm „The Hunger“ (Der Kuss des Todes) als Ausgangsbasis für euer Stück gewählt?
Els Mondelaers Eigentlich haben wir uns zuerst am Buch „The Hunger“ orientiert, nicht am Film, der ja bereits eine Interpretation des Buchs ist! Das Buch hat noch mehr Intensität, ist spannungsgeladen, ohne zu beurteilen, wer oder was Myriam ist und wie sie versucht, ihr Leben als Unsterbliche in ihrer Suche nach der ewigen Liebe zu meistern. Uns faszinierte die Idee, dass sie eine Art Vampirin ist und menschliches Blut zum Überleben braucht; diese Vampirfigur, die im Geheimen als verführerische Fremde mitten unter uns lebt. Dyane erwähnte dieses Buch und von der ersten Minute Lesen an war ich von der Inspiration angesteckt! Myriam auf ihrer unbeirrbaren Suche nach der ewigen Liebe berührte uns immer mehr. Alles, wonach wir Menschen streben, besitzt sie bereits. Ewiges Leben, ewige Schönheit...Aber was, wenn sich diese Sehnsüchte erfüllt haben? Dyane und ich fühlen uns selbst wie diese Menschen, die Myriam mit ihrem Versprechen vom ewigen Leben verführte. Was sie jedoch nicht erwähnte, war die Tatsache, dass unsere Körper zwar im Laufe der Jahrhunderte verfallen, unsere Seelen aber für immer umherirren werden...Glaub’ niemals einem Vampir! ;-) Und natürlich haben wir den Film gesehen. Er hat uns zu ein paar Songs inspiriert!
In der Beschreibung eures Stücks steht, dass ihr Emotionen wecken wollt. Wie fokussiert ihr auf Emotionen?
Els Mondelaers Wir wollten kein Stück mit einer linearen Geschichte machen. Wir konzentrierten uns auf Lieder über Liebe, Rache und Tod und haben zehn über diese Themen geschrieben. Wie in einer Händel-Oper, etwa seinem Giulio Cesare, geht es bei den Arien um die Emotion oder den Gemütszustand, in welchen die Geschichte die jeweilige Figur in einem bestimmten Moment gebracht hat. Das wollten wir auch machen. Unsere Songs folgen dieser Idee der Arie, tief in einen Zustand oder ein Gefühl hineinzugehen, anstatt unbedingt eine Geschichte erzählen zu wollen. Die Handlung ist eher ein Puzzle, das sich das Publikum selbst aus den Texten, Videos und Songs zusammenstellen kann.
Das Publikum trägt während der Aufführung Kopfhörer. Warum habt ihr euch für dieses intime Erleben von Klang entschieden?
Els Mondelaers Es geht vor allem um dieses Erlebnis der zuhörenden Besucher_innen, die während unserer Aufführungen Kopfhörer tragen – es entsteht ein persönlicher Klangraum ohne Störungen von der Außenwelt. Man wird ganz in Myriams Welt hineingesogen!
Dyane experimentiert schon seit einigen Jahren mit binauralem Audio. Es entsteht durch Aufnahmen mit hochsensiblen Mikrofonen, die mehr und besseren Klang aufzeichnen als das menschliche Gehör je wahrnehmen würde. Dank der Kopfhörer können wir diese sensiblen binauralen Mikrofone auf der Bühne nutzen! Selbst das kleinste Flüstern ist zu hören, als ob wirklich jemand in dein Ohr flüstern würde!
Und nicht zuletzt ist diese intime Erfahrung genau der Sinneseindruck, den wir brauchten, um Myriam zum Leben zu erwecken. Es ist wie eine Beschwörung ihrer übernatürlichen Kräfte.
Ihr arbeitet als interdisziplinäres Team. Wie sieht eure Zusammenarbeit aus und was sind die Vorteile im interdisziplinären Arbeiten?
Els Mondelaers Wir nennen das unsere „Ping-Pong“-Methode. Dyane mit ihrem Hintergrund in der alternativen und experimentellen Pop- und Rockszene bringt ihre halb ausgearbeiteten musikalischen Ideen zu den Proben und lädt mich ein, damit Dinge auszuprobieren. Manchmal hat sie kleine musikalische Juwelen improvisiert, die wir genauso belassen wollen, wie sie klangen, und dann gibt es noch meine klassische Wenigkeit, die diese Juwelen in Partituren fasst, damit wir sie reproduzieren können! Mich faszinierte die Vorstellung, dass Myriam Händel persönlich gekannt haben könnte, weil sie zur gleichen Zeit lebten. Für mich sind seine Opernarien wie wunderschöne Lieder, also habe ich ein paar Noten zu den Proben mitgenommen, damit Dyane etwas damit anstellt. Dyane hat mich auch ermuntert, ein paar Songs zu machen, also kam ich mit Material und sie half mir, meine Ideen auszuarbeiten.
Auch bei der Art des Singens probieren wir immer, wo welche Gesangstechnik am besten funktionieren könnte. Dyane hat diese klare, nicht klassisch ausgebildete Stimme, die fantastisch im Leadgesang und Textausdruck wirkt. Meine klassische Klangfarbe passt manchmal besser als Hintergrund neben Dyanes Stimme. Hier kommt unsere „Ping-Pong“-Methode als Arbeitsweise zum Tragen: Ich singe mehr mit meiner tiefer liegenden Bruststimme, während Dyane immer öfter ihre Kopfstimme einsetzt. Wir nutzen unsere jeweiligen Talente und fordern einander heraus!