Humbug

Humbug

Oder die Emanzipationsgeschichte einer Meerjungfrau

Eine Meerjungfrau singt um ihr Leben und um sich aus den Fängen eines Inhabers eines Kuriositätenkabinett zu befreien. Gelingt ihr die Emanzipation?

Wir schreiben das Jahr 1841 und in New York greift das Meerjungfrauen-Fieber um sich: P.T. Barnum, amerikanischer Kulturunternehmer, Marketingstratege und selbsternannter „König Humbug“, erwirbt das Amerikanische Museum in New York. Dort präsentiert er in seinem Kuriositätenkabinett unter anderem das Präparat einer echten Meerjungfrau. Michael Höppner, der sich der Inszenierung des Stücks gewidmet hat, gibt einen Einblick in die Hintergrundgeschichte des Stücks.

Ihr habt für Humbug eine Komposition von Bernhard Lang zur Verfügung bekommen. Warum habt ihr euch dafür entschieden?

Michael Höppner Bernhard Lang ist einer der aufregendsten lebenden Komponisten für uns und wir waren sehr glücklich, dass wir die Erlaubnis zur Inszenierung bekommen haben und er unsere Proben unterstützt und die Uraufführung besucht hat. Die Sinnlichkeit seiner Musik und die Verwendung von Jazz- und Rockpatterns macht seine Komposition sehr unterhaltsam und in Verbindung mit seiner Looptechnik zugleich im besten Sinne ungewöhnlich. Aus ihr spricht, zumindest zu uns, etwas sehr Zeitgenössisches; sie drückt ein ganz vertrautes Gefühl aus. Zudem sind seine lyrics phänomenal. Die ganze Inszenierungsidee entsprang auch erst der Auseinandersetzung mit seinen Songs. „Songbook“ eignete sich ganz besonders für unseren Musiktheateransatz, bei dem wir, neben der Neuinterpretation existierender Musiktheaterwerke oder Uraufführungen, immer wieder auch existierende konzertante Musik, die sehr theatralisch ist, gewissermaßen umwidmen und versuchen, daraus Musiktheater zu generieren.

Wie können wir uns den Prozess des Rearrangement für ein  Musiktheaterprojekt vorstellen?

Michael Höppner Die Frage ist ja: Was macht eine konzertante Musik, insbesondere einen Liedzyklus wie „Songbook“, in dessen lyrics das Dramatische ja ganz bewusst nicht ausagiert oder vorgespielt, sondern berichtet, erzählt oder vorgetragen wird, theatralisch? Aufgrund der großen Variabilität des gesanglichen Ausdrucks, abwechslungsreicher stimmlicher Techniken und der unglaublichen Bandbreite an Emotionalität, die in „Songbook“ zum Ausdruck gebracht werden, konnte man sich aber gut vorstellen, dass dieser lyrische Bericht aus einer szenischen Situation heraus und durch dramatische Figuren vorgetragen wird. Unsere Inszenierung tappt nicht in die Falle, den gesungenen Inhalt szenisch darzustellen oder gar zu illustrieren, sondern suchte vielmehr nach einer Szenerie, in der der gesungene, lyrische Vortrag eines Songs dramatisch plausibel wird. Oder einfacher: Nicht der Inhalt der Songs durfte theatralisiert werden, sondern die Situation seines Vortrags.

Als wir eine Grundsituation erahnen konnten, schien es hilfreich zu sein, die ursprünglich für eine Sängerin konzipierte Gesangspartie auf drei Sängerinnen zu verteilen. Somit wäre es dem Regisseur möglich, immer wieder dramatische und konfliktreiche Situationen zwischen den singenden Darstellerinnen zu kreieren. Denn der Songtext wird ja automatisch zur musikalischen Figurenrede. Mit der Zustimmung von Bernhard Lang verfasste der Komponist und künstlerische Leiter von Opera Lab Berlin, Evan Gardner, also ein entsprechendes Arrangement. Als das Inszenierungskonzept klar war, besetzten wir zudem eine Tänzerin, die auch ein paar Takte Gesang bekam.

Humbug greift das Motiv des Freaks, diesmal in Form einer Meerjungfrau, die ausgestellt wird, auf. Warum habt ihr euch für dieses Motiv entschieden und warum ist die Figur des Freak bis heute so populär?

Michael Höppner Bei der Entwicklung eines szenischen Konzepts kam die Idee auf, sich mit dem Mythos der Sirene bzw. der Meerjungfrau auseinanderzusetzen. Es ist ja einer der Ur-Mythen singender Frauen und erzählt in all seinen Varianten von verfluchten Außenseiterinnen, die in einem furchtbaren Dilemma gefangen sind: Entweder zerstört ihr Begehren das Begehrte (wie in der „Odysee“) oder ihr Begehren zerstört sie selbst als Begehrende (wie in den wesentlich frauenfeindlicheren Versionen der Meerjungfrau seit dem christlichen Mittelalter, das die Sirenen von allwissenden und mächtigen Vögeln in naive Unterwasserwesen verwandelt hat).

Bei der Recherche zu den zahlreichen Ausformulierungen und Adaptionen des antiken Mythos stießen wir dann auf P.T. Barnums historischen Coup: Der legendäre amerikanische Spektakelunternehmer, Werbefachmann, Freak-Show-Veranstalter und Zirkusdirektor P.T. Barnum hatte 1842 in seinem Amerikanischen Museum in New York, einem Kuriositätenkabinett, das Präparat einer angeblichen „Fidji-Mermaid“ mit großem medialen Aufwand und Erfolg ausgestellt. Dieses Ereignis  eröffnete uns die szenische Grundsituation und ein zeitgenössisches Themenfeld: das Verhältnis von Außenseitertum und Macht im Zeichen des Spektakelkapitalismus und auf dem (Schlacht-)Feld kultureller Güter.

Der Freak ist eine Randexistenz und stellt unsere „normale“ bzw. normative Ordnung in Frage. Dabei ist nicht nur interessant, wie die „Normalen“ auf den Freak reagieren und mit ihm umgehen, sondern auch und gerade, wie der Freak mit diesen, ihn unterdrückenden Machtverhältnissen umgeht. Was kann er tun, um die erniedrigende Situation seiner Ausgrenzung zu überwinden? Im Blockbuster „The Greatest Showman on Earth“ über den angeblichen Philanthropen P.T. Barnum erzählt Hollywood folgendes Märchen: Unterstützt durch den humanistischen Unternehmer und im Rahmen einer kommerziellen Zurschaustellung, die das Schattenwesen „Freak“ ins Licht der Öffentlichkeit stellt, verwandelt er seine Abnormität in (symbolisches) Kapital, von dem er profitiert, d.h. er verwandelt seine Schwäche in eine Stärke. Tatsächlich realisiert der Freak hier nur eine Option, die ihm gegeben ist: Anpassung an die Spielregeln als Illusion von Freiheit. 

In der extremen und heute überwundenen Cultural Performance der Freak-Show lässt sich angesichts vieler aktueller Protestbewegungen, deren Akteure sich als Marginalisierte verstehen, also eine extrem zeitgenössische Problematik aufrollen: Wird hier tatsächlich Macht in Frage gestellt oder nur die Machtfrage gestellt?

Im Beschreibungstext geht hervor, dass das Stück auch als eine Emanzipationsgeschichte verstanden werden kann. Was meint ihr damit?

Michael Höppner In unserer Lesart drehen sich Bernhard Langs Songs um die Unzufriedenheit mit den herrschenden Verhältnissen und um das Bedürfnis nach Veränderung und Emanzipation. Nicht zuletzt die rockmusikalischen Inspirationsquellen aus den späten 60er und frühen 70er Jahren, die im Kontext der damaligen Protestbewegungen stehen, rücken Langs Komposition in diese Perspektive. Dieser Gestus wird in Langs 2017er Version aufgegriffen und paraphrasiert. Aus einem historischen und kritischen Abstand werden die einstigen Botschaften, Forderungen und Empfindungen ausgedrückt und in einer verfremdenden musikalischen Form aufgehoben. Insofern werden auch die Dialektik, die Grenzen und das Scheitern rebellischen Aufbegehrens thematisch. Nach außen gerichtete Anklage und kraftvoll vorgetragenes Begehren wird mit romantischer Innerlichkeit und poetischer Resignation konfrontiert.

Hervorstechend an Langs Komposition ist die Verwendung der weiblichen Stimme in all ihren Facetten. Insofern verdichten sich die angesprochenen Themen in einer Auseinandersetzung mit der gesellschaftlichen Wirklichkeit von Weiblichkeit sowie mit historischen und zeitgenössischen feministischen Emanzipationsbewegungen, deren Erfolgen und Misserfolgen. In den Songs erscheint die Frau konkret als Rebellin, als Verfolgte, als Hexe, als Leidende, als Opfer usw.

Auch das Märchen von der kleinen Meerjungfrau ist der Mythos einer Emanzipation: die kleine Meerjungfrau möchte ihr angestammtes, einengendes Umfeld verlassen und sehnt sich danach, ein Mensch werden. Aber sie scheitert tödlich; und zwar nicht nur, weil die Menschen die Ablehnung ihr gegenüber nicht aufgeben und der Prinz sie nicht heiratet, sondern weil ihr Emanzipationsprojekt daran krankt, zu den Herrschenden gehören zu wollen, anstatt Herrschaft in Frage zu stellen. Genau darin besteht auch die Dialektik unserer Meerjungfrauen-Präsentation durch P.T. Barnum, die im Wesentlichen die Verwandlung einer kuriosen Fischfrau in eine selbstbewusste New Yorkerin erzählt.

Es handelt sich um eine tragikomische, dynamische Liebesgeschichte zwischen Mann und Frau, Subjekt und Objekt, Kulturunternehmer und Künstlerin, Eigentümer und Ware, die von der Frage vorangetrieben wird, warum Emanzipationsbewegungen auch zur Stabilisierung der herrschenden Verhältnisse beitragen, anstatt sie zu verändern. 

HUMBUG

Freitag, 20. September 2019, 19:30 Uhr, Projektraum
Samstag, 21. September 2019, 19:30 Uhr, Projektraum

Humbug findet im Rahmen der MUSIKTHEATERTAGE WIEN 2019 statt. 
Mehr Informationen finden Sie hier

Fr 10. / Sa 11. / So 12. Jan | 19:30 Uhr

Saal

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Fr 17. / Sa 18. Jan | 19:30 Uhr

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Do 13. / Fr 14. / Sa 15. Feb | 19:30 Uhr

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Mi 19. / Do 20. / Fr 21. Feb | 19:30 Uhr

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