Eine Art Exorzismus

Eine Art Exorzismus

Die Gruppe SKILLS zu ihrem Stück "Welcome to Hell"

Musik ist ein wesentlicher Bestandteil der performativen Künste. Und manchmal ist sie formgebendes Element einer Performance, wie der Schwerpunkt Konzert-Performances im Februar im WUK performing arts deutlich zeigt.

Die Gruppe SKILLS, bestehend aus Camilla Milena Fehér und Sylvi Kretzschmar verarbeiten in ihrem Stück die Demonstration rund um den G20 Gipfel 2017 in Hamburg. Lest mehr dazu im Interview.

Ihr nehmt in eurem Stück direkten Bezug auf die Proteste gegen den G20 Gipfel 2017 in Hamburg, oder besser gesagt, wie mit den Protesteierenden umgegangen wurde. Warum ist es euch ein Anliegen das künstlerisch zu verarbeiten?

Wir waren nicht dabei. Wir haben die Hamburger Proteste gegen G20 ausschließlich medial vermittelt erfahren also über Bilder. Bilder, die schon vor dem Gipfel da waren. Bilder, die man sich vorher schon genau so vorstellen konnte. Bilder, die jetzt Geschichte sind. Bilder, die man nicht los wird, Sprachbilder, Zeitungsbilder, Videobilder. Wir wollten eigentlich dabei sein. Waren wir aber nicht*. Aus diesem Gefühl heraus haben wir die Vorberichterstattung, die Presse während der Tage und den medialen Diskurs, der bis heute in einer offenen Wund stochert, verfolgt. Und zwar den der offiziellen wie den der alternativen Medien (Z.B. Medienzentrum FCMC: https://fcmc.tv). Unser Gefühl war und ist: da stimmt was nicht mit den Bildern. Es gibt ein grundsätzliches Problem mit der Darstellbarkeit dessen, was so ein Ereignis ausmacht, mit der Darstellung von Widerstand und Protest auf den Straßen überhaupt.

(*Man muss dazu sagen, dass ein Teil unserer Arbeit als Duo ist mit der Stadt Hamburg eng verbunden ist. Sylvi Kretzschmar hat vor ihrem Umzug nach Wien lange dort gelebt und ist Teil des mobilen Einsatzkommandos Schwabinggrad Ballett aus Hamburg (http://schwabinggrad-ballett.org/) – einem losen Kollektiv aus Musiker_innen, Performer_innen, Aktivist_innen, Künstler_innen, Journalist_innen, die auf Demonstrationen in Erscheinung treten. Eine andere Verbindung ist der Megafonchor (https://www.we-are-the-skills.de/projekte/megafonchor), den Sylvi Kretzschmar in ihrer Hamburger Zeit initiiert hat und den wir als Duo choreographiert und inszeniert haben. Der Chor aus 12 bis 15 Frauen mit Megafonen ist heute Teil der Hamburger Protestkultur. Während der G20 Tage war der Megafonchor permanent auf den Straßen präsent. Auf eine Art waren wir also doch dabei.)

(c) Sinje Hasheider

Wenn wir sagen, es stimmt was nicht mit den Bildern, dann meint das auch die Bilder, die von den Initiator_innen der WELCOME TO HELL Demonstration produziert wurden. WELCOME TO HELL ist eben auch ein blödes Bild. Genauso wie >>der größte schwarze Block aller Zeiten<<, der vollmundig für diese Demonstration angekündigt war. Gleichzeitig ist WELCOME TO HELL ein Bild, das (medial) funktioniert und genau die erwarteten Bilder liefert. Uns hat die abstoßende Anziehungskraft, die von Höllenszenarios ausgeht, interessiert. Wieso sind wir gefesselt von Dantes epischen Höllenkreisen, von den Höllendarstellungen eines Hieronymus Bosch, von Katastrophenfilmen und Inszenierungen des Weltuntergangs? Armageddon heißt eben auch Offenbarung (Enthüllung, Entmummung). Aber was offenbart sich da? In Interviews mit Leuten, die die G20 Tage in Hamburg erlebt haben, offenbarte sich uns jedenfalls ein ziemlich unerwartetes Nebeneinander von Himmel und Hölle, von Träumen und Traumatisierungen. Unter dem permanenten Höllenlärm der Hubschrauber gab es Momente der Schönheit auf der Straße. Wir haben kein besseres Wort dafür gefunden als Schönheit.  Damit meinen wir Momente, die ein utopisches Potential andeuten oder einfach  eine Art, gemeinsam auf der Straße zu sein, die offenbar so nur im Ausnahmezustand möglich ist. Was entsteht, wenn die bestehende Ordnung mal für einige Tage außer Kraft gesetzt ist? Welche Begegnungen ermöglicht das, die sonst nicht stattfinden würden? Wir haben von spontanen und euphorische Raves gehört, von Blaulicht als Diskolicht, von selbstverständlicher Solidarität und Hilfsbereitschaft, großem Engagement, von Diskussionen, Versammlungen, Parties, Picknicks und Spielen auf den komplett autoleeren Straßen. Das sind alles Situationen, die man in der Hölle nicht erwartet und die deshalb auch kaum abgebildet sind.

Wir betreiben keine Enthüllung im Sinne einer Aufarbeitung. Es geht jedenfalls nicht um eine Geste journalistischer Aufdeckung von etwas, was nicht sowieso offensichtlich wäre. Es ist eher ein performativer Akt, sich am Material abzuarbeiten. Wir spielen die gesamte Konzert-Performance vor einer raumfüllenden Projektion von youtube-Videos der eskalierenden Hamburger WELCOME TO HELL Demonstration. Die Tonebene der Videos ist ein wichtiger Bestandteil unserer Musik. Wir haben die Höllenbilder nicht im Griff, mit denen wir auf der Bühne agieren. Es ist umgekehrt. Sie haben uns im Griff und wir arbeiten damit, was das mit unseren Körpern, mit unseren Stimmen, unseren Gedanken und Phantasien macht. Also eine Art Exorzismus.

Warum tretet ihr vermummt bzw. inkognito auf der Bühne auf?

Vermummung ist zentraler Bestandteil der Bilder, die uns aus den G20 Tagen bleiben. Das Vermummungsverbot war als  Anlass benutzt worden, die  Demonstration gewaltsam aufzulösen. Es gab eine Polizeistrategie, diese Demonstration gar nicht erst losgehen zu lassen. Unter denen, die der Aufforderung, sich zu entmummen nicht nachgekommen waren, gab es entsprechend viele  V-Leute. Die schwarze Verhüllung von Körper und Gesicht ist Strategie des schwarzen Blocks genauso wie der inzwischen wie Kampfroboter oder Darth Wader in Erscheinung tretenden Polizeieinheiten. Man sollte die ästhetische Dimension solcher Ereignisse nicht unterschätzen. Das ist kein Beiwerk sondern die Performance einer zunehmenden Militanz und Aufrüstung auf beiden Seiten. Vermummung demonstriert Einheit, Verpanzerung, aggressive Entschlossenheit. Der Einzelne ist nicht identifizierbar und gibt die Verantwortung für das eigene Handeln an eine Gruppe ab. Das setzte in Hamburg eine Spirale der Gewalt in Gang. Es liegt aber auch ein Potential im kollektiven Agieren und in der Weigerung, als Einzelne identifizierbar zu sein. Uns interessierte das Ritualhafte in der vermummten Konfrontation und Vermummung in ihrer Verbindung zum Theater. Während der Performance legen wir unsere Sturmhauben immer wieder an und ab. Sie verändern sich im Verlauf der Aufführung, bekommen eine andere Ästhetik und eröffnen schließlich einen poetischen Kosmos. Die Wiener Künstlerin und Musikerin Patrizia Ruthensteiner hat bildstarke Vermummungen entworfen, die Maskerade und Klangerzeuger in einem sind. Sie versetzen uns als Performerinnen in einen anderen Zustand, sobald wir sie tragen. Patrizias Hauben, Masken und ihre Kostüme deuten das Ritual zwischen Schwarzem Block und Polizei im Verlauf der Konzert-Performance immer mehr um. Aus unserem musikalischen Ansatz heraus hat uns die Wortherkunft von Vermummen inspiriert- Vermummen von mummen, brummen, dumpf reden, undeutliche Töne von sich geben, durch eine Maske behindert sprechen.   

Warum habt ihr euch für die Form der Konzert-Performance entschieden?

(c) Sinje Hasheider

Es ging uns darum, mit musikalischen Mitteln in die dokumentarischen Bilder einzuzoomen oder einzudringen. Was ist in den Bildern vermummt? Was ist in ihnen verborgen, was man nicht sieht? Was lässt sich über die dokumentierte Situation erfahren, wenn man sich ihr radikal vom Hören ausgehend nähert? Uns hat an der Demonstration besonders der Moment interessiert, kurz bevor die Polizei zugreift. Den umkreisen wir in 12 Gesängen angelehnt an Dantes Inferno. Es ist eine akustische Reise in Höllenkreisen. Youtube Videos zeigen die Situation aus den unterschiedlichsten Blickwinkeln. Sie sind ausgehend von ihrer Tonebene rhythmisch geschnitten und bilden als wiederkehrendes Motiv die musikalische Basis des Konzertes. Das verwandelt die Bilder, sie entfalten dadurch manchmal auch einen seltsamen Humor. Durch das Zusammentreffen mit unserer Musik werden die dokumentierten Situationen im Nachhinein aufgeladen, kommentiert oder verfremdet. Wiederholung, Rhythmisierung, Verlangsamung, zeitliche Dehnung wirken wie eine Lupe, die sich im Nachhinein über das Geschehen legt. Sie vergrößert, verzerrt und verfremdet zugleich. Wenn wir beispielsweise die Lautsprecher-Ansagen der Polizei und der Demonstrierenden singen, die wir Wort für Wort den Youtube-Videos abgelauscht haben, entfaltet sich durch den Gesang eine merkwürdige Poesie dieser Durchsagen. Man hat Zeit, zuzuhören. Die „Haut ab! Haut ab! -Rufe der Demonstrierenden klingen gesungen als würde es genau darum gehen, die Haut abzulegen, die Haut abzuziehen. Sie werden zu einem düsteren Mantra, in dem ganz unerwartete und widersprüchliche Assoziationen mitschwingen.

Worin besteht der Reiz eine Konzert-Performance durchzuführen?

Der musikalische Umgang mit dokumentarischem Material ist für uns ein Akt der emotionalen Einverleibung. Er ermöglicht die Überwindung einer Distanz zwischen unserem Innersten und dem politischen Ereignis, das bereits vergangen ist. Als Musikerinnen sind wir selbst Medien, die das dokumentierte Ereignis wiederholen. Dann ist die Konzert-Performance eine Art musikalischer Durchlauferhitzer aus unseren Stimmen, Instrumenten und  Körpern.

SKILLS
Welcome to Hell
Do, 21.02., 19:30 Uhr, Fr 22.02. 22:00 Uhr sowie Sa 23.02. 19:30 Uhr
Saal

Mehr Infos auf der Website

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