Von der Leichtigkeit des Stahls
Karl-Heinz Ströhle schätzte und liebte das Material der Stahlbänder, das er zur Grundlage seiner Gemälde machte, die er in einer Frottagetechnik herstellte, und das er vor allem zu skulpturalen Gebilden band und bündelte, die er manchmal mit Tänzer_innen in Performances belebte.
Es mutet geradezu eigenartig an, dass seine Text-Skulptur für die pädagogische Hochschule Niederösterreich in Baden die einzige Textarbeit im Œuvre des 1957 in Bregenz geborenen und 2016 unerwartet verstorbenen Objekt- und Performancekünstlers, Zeichners und Malers ist. Karl-Heinz Ströhle gewann 2015 mit seinem Konzept, einen Vers aus Erich Kästners Gedicht „Ein alter Mann geht vorüber“ in Buchstaben aus Stahlbändern auf die kreisförmige Öffnung des Campusdaches zu setzen, einen geladenen Wettbewerb.
ICH KOENNTE EUCH VERSCHIEDENES ERZAEHLEN, WAS NICHT IN EUREN LESEBUECHERN STEHT, GESCHICHTEN, WELCHE IM GESCHICHTSBUCH FEHLEN, SIND IMMER DIE, UM DIE SICH ALLES DREHT
Diese Worte ragen entlang dem schmalen Abschluss einer kreisförmigen Dachkonstruktion rundum gegen den Himmel. Das Werk wurde im Sommer 2018 nach seinen präzisen Angaben und Skizzen realisiert.
Karl-Heinz Ströhles Lebensgefährtin, die Schriftstellerin Sabine Gruber, hatte den Künstler auf den Vers Kästners aufmerksam gemacht – eine brillante Anregung, die Ströhle zu diesem außerordentlichen Werk führte. Es bot ihm nicht zuletzt die Möglichkeit, die speziellen Qualitäten seines präferierten Materials, seiner über Jahre entwickelten Technik und der ihm eigenen Methode in tiefgründigem Einklang mit dem Gehalt der Aussage und der Bestimmung des Ortes zu entfalten.
Das schwingende Material der Federstahlbänder ist von einer autopoetischen Leichtigkeit, die sich gegenüber der strengen Schlichtheit des Betons, der gesetzten Bestimmtheit des Gebäudes und seines geordneten didaktischen Gewichts autark präsentiert und bewegt sich in schwebender Balance in unvorhersehbarem Wandel zwischen träumerischem Wogen und vergnügtem Wippen spielerisch im Wind. Als pulsierende Linie führt das Geschriebene ein vibrierendes Dasein, oszillierend zwischen den Befindlichkeiten von Linie und Körper. Die Buchstaben wiegen und verändern sich in schlichter Eleganz mit der Flüchtigkeit des Luftstroms und wirken je nach Blickwinkel körperhaft präsent oder von filigraner Transparenz, die mit der Weite des Himmels verschmilzt, die Essenz von Erich Kästners Zitat glänzend versinnbildlicht und in eine poetische Transzendenz erhöht.
Margareta Sandhofer,
Kuratorin, Autorin und Kunstvermittlerin in Wien
Seit den 80er Jahren war Karl-Heinz Ströhle im WUK aktiv. Neben seiner eigenen künstlerischen Arbeit war er viele Jahre im WUK-Vorstand sowie Mitglied im Beirat der Kunsthalle Exnergasse. In diesen und anderen Funktionen gestaltete er wesentlich das WUK mit.
Die Text-Skulptur für die Pädagogische Hochschule Niederösterreich in Baden entstand als Kunst & Bauprojekt der Bundesimmobiliengesellschaft. Es war das letzte Projekt von Karl-Heinz Ströhle, an dessen praktischer Umsetzung er bis zu seinem unerwarteten Tod im Sommer 2016 gearbeitet hat. Schon während der Entwicklungs- und Experimentalphase hat Karl-Heinz eng mit der Werkstatt für Produktgestaltung im WUK (Eva Eisenbacher und Cornelius Purkert) kooperiert, die schlussendlich auch mit der Fertigstellung der Arbeit diesen Sommer betraut wurde.