Neue Europäische Tragödie.
Warum habt ihr das Stück „Neue Europäische Tragödie“ genannt?
Die tatsächlichen Tragödien finden nicht hier und jetzt, sondern woanders statt, aber Europa spielt die Hauptrolle in diesen Tragödien. Auf der einen Seite als Kontinent, der seine Geschichte, sein Kapital und seinen Ruhm anhand der Tragödie der Anderen schreibt bzw. erntet, und auf der anderen Seite als bloßer Zuschauer dieser Tragödien. Europa braucht nicht in künstlichen Betroffenheitsjargon zu verfallen, uns die Schieflage der europäischen Freiheit und Menschenrechte vor Augen zu führen. All das, wofür Europa steht und nach außen repräsentiert, zeigt sich als Verhängnis, als europäische Tragödie für die Anderen.
Was bedeutet es, Sicherheit zu haben?
Diese Frage haben wir uns auch oft gestellt, weil der Begriff Sicherheit so komplex und umstritten ist. Nationalistische Tendenzen jonglieren mit dem Thema Sicherheit, in dem sie mehr Sicherheit versprechen und dabei das Gefühl der gelebten Unsicherheit erzeugen. Dieses nationalstaatliche mehr an Sicherheit lässt sich folgendermaßen erklären: In Sicherheit zu leben ist ein Menschenrecht, aber dieses Recht muss von den Anderen, wie Flüchtlingsfigur, wie Homosexualität, wie Moslem, ..., abgekoppelt werden. Sicherheit wird somit zum Paradox, sie erscheint als Fundament der Menschenrechte und zugleich als Krise dieser Rechte. Eine Sicherheitsgewährleistung wird dann nur bestimmten Gruppen angeboten und ist nur an die Menschenrechte des Nationalstaates gebunden. So bleibt es zu fragen: Wie kann man von dieser Art der Sicherheit sicher sein?
Warum fühlt sich Österreich ständig davon bedroht unterzugehen?
Oft reicht eine einzelne politische Thematik, die alles andere ausblendet und über alles andere entscheidet. So ist seit 2015 das Thema Migration als einziges Kriterium für den politischen Kompass Österreichs verantwortlich. Alle anderen Themen scheinen irrelevant zu sein. Um das Gefühl der Bedrohung und des Untergangs aufrechterhalten zu können, werden einfach sämtliche anderen Themenkomplexe mit Migration, Verschwörungstheorien oder konstruierten Vergleichen erklärt. Zurzeit ist Österreich, gemeinsam mit Ungarn, Polen, Italien und Kroatien, Vorreiter, wenn es um das Zeichnen von Untergangsszenarien und den Verlust des abendländischen Komforts geht. Im übertragenen Sinne kann man heute von Verschwörungsideologien sprechen, denn es geht bei einer Verschwörungsideologie nicht darum, was genau man glaubt – sondern um die Rechtfertigung der eigenen Reaktion darauf. Verschwörungsideologien wollen keine Erklärungen für die Geschehnisse und Verwerfungen in dieser Welt, das ist nur austauschbares Mittel zum Zweck. Verschwörungsideologien bestimmen das Handeln ihrer Anhänger_innen, um vermeintliche Gegenmaßnahmen zu legitimieren, die Basis jeder Opfererzählung. Deshalb ist die Verschwörungsideologie das Gegenteil von Rechtsstaat, das Gegenteil von Demokratie, das Gegenteil jeder aufklärungsbasierten Gesellschaftsordnung. Ein Großteil der österreichischen Bevölkerung hat den Helden und Erlöser gewählt, die über die verschworene Feindesmacht von innen, außen, oben, unten siegen können. Sonst droht das Szenario: „Österreich geht unter“.
Wie lassen sich Sicherheit und Hoffnung zusammen denken? Oder warum greift ihr gerade diese Kombination auf?
Das Gespräch führte Ulli Koch.
1 Bei diesem Textausschnitt handelt es sich um ein Originalzitat von Jean Paul Sartre. Wir distanzieren uns ausdrücklich von der Wortwahl.
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"Neue Europäische Tragödie – Teil III"
Mi 5.12. bis Fr 7.12., 19.30 Uhr, Saal