„… ich hätte terminmäßig ohnehin nicht gekonnt.“
Im Herbst letzten Jahres habe ich eine Mail erhalten, die wohl wegen ihrer (cyrillischen) Absender-Adresse direkt im Spam-Ordner gelandet ist. Betreff: “To Martin Blumenau: Invitation to the 2018 FIFA World Cup introduction press tour in Russia”. On behalf eines halbstaatlichen russischen Unternehmens wäre man erfreut mich einzuladen. Dann folgte in Fettdruck der Satz: “this tour is completely free for you”, ehe die Reise ausführlich beschrieben wurde.
Meine Überprüfung der Validität der Adresse verlief im Sand, also habe ich – im Schutz der starken ORF-Firewall – ein kurzzeiliges, ein paar Details nachfragendes Retourmail verfasst; und nie wieder etwas von der als Veranstalter auftretenden „Communication Group“ gehört. Gut, ich hätte terminmäßig ohnehin nicht gekonnt. Trotzdem hat meine Frau in diesem Zusammenhang den (nur leicht ironischen) Satz „Ich hätt dich eh nicht fahren lassen!“ von sich gegeben.
Der entscheidende Unterschied ist die zwar nicht beleg-, aber spürbare Kontrolle dieser Industrie durch die politisch Mächtigen. Eine oligarchische Staats-Struktur sorgt dafür, dass die Profite innerhalb einer eng abgesteckten Familie bleiben – also im Unterschied zu einer die Schlupflöcher der Demokratie nutzenden Schattenwirtschaft. Und eines ist klar: Widerspruch/Widerstand gegen zentralistisch gesteuerte Maßnahmen wird hart geahndet. Das als Hintergrund zum Satz meiner Frau. Meine Frau ist dschungelerfahren. Und sie kennt mich und weiß, dass ich mit dem Kopf durch die Wand gehen kann, wenn ich eine entsprechende Situation erlebe, und dass das im heutigen Russland am Vorabend eines prestigeträchtigen Großereignisses nicht ratsam wäre.
Ich erzähle all das, weil der Folder in dem dieser Text steht, VOR dem Start der WM erscheint. Und das der einzig mögliche Zeitpunkt ist, sich drüber klar zu werden, an welchem Ort denn die bedeutsamste Fußball-Party der Welt stattfindet. Denn NACH dem Kick-Off wird das alles keine Sau mehr interessieren.
Zugegebenermaßen auch mich selber nicht mehr sehr. Wenn dann ab Mitte Juni 14 Tage lang täglich drei Matches anstehen, ist für jemanden, der das Spiel um den Spiels willen liebt – so wie ich und viele viele andere – kein Platz für irgendein Rundherum. Da gilt nur noch „aufm Platz“.
Und solange nichts wirklich Un/Außergewöhnliches passiert, werden Umfeld-Reportagen über eventuell auftauchende Korruptions-, Hooligan- oder Doping-Angelegenheiten maximal an den Verschnauftagen vor dem Viertelfinale aufpoppen; um dann wieder in der Superstar-Berichterstattung des Mainstreams unterzugehen, die die vorfinalen Tage beherrschen wird.
Ob und wie die regionale Folklore sich als schmückendes Hintergrund-Accessoire in Szene setzen wird, hängt vom Geschick der Veranstalter ab, Zabivaka jedenfalls, der mit einer Art Skibrille ausgestattete Fußball-Wolf, das offizielle Turnier-Maskottchen jedenfalls wird es an Popularität nicht mit Mischa, dem legendären Olympiabären von 1980 aufnehmen können.
In der russischen Mannschaft spiegelt sich einiges am aktuellen russischen Nationalismus wider: praktisch alle Spieler kommen aus der heimischen, mit Oligarchen-Geld vollgepumpten Liga, die aktuell klare Nummer 6 in Europa (hinter den großen 5, also Spanien, England, Italien, Deutschland und Frankreich). Allerdings exportiert Russland praktisch keine Spieler ins Fußball-Ausland: die teamreifen Russen in der Fremde lassen sich tatsächlich (und nicht nur symbolisch) an einer Hand abzählen, und wahrscheinlich werden nur ein, zwei davon (Mitryushkin ist verletzt, Gabulov nur Goalie Nummer 4, Karavayev nicht allzu gut gelitten, Cheryshev der traditionelle Streichkandidat) auch in den finalen Kader berufen. Roman Neustädter aka Roman Petrovič Nojštedter, Russlanddeutscher, hatte sogar 2 Spiele bei Jogi Löw und eine entsprechende Perspektive, ehe er sich für die Heimat der Eltern entschied und schon die EM 2016 spielte. Konstantin „Kocka“ Viktorovisch Rausch folgte 2017 und spielt aktuell auch bei Dinamo Moskva, einem der großen Klubs aus der Haupstadt (dazu gehören noch Spartak, CSKA und Lokomotiv, früher auch das abgestürzte Torpedo), die gemeinsam mit Zenit St.Petersburg die Nomenklatura des russischen Fußballs bilden. Für das Kicker-Talent ergibt sich auch deshalb keine Notwendigkeit ins Fußball-Ausland zu wechseln, weil selbst in unteren Ligen regionale und lokale Oligarchen genug Geld für Mittelklassigkeit bieten. Ein Problem, dass die russische Nationalmannschaft mit der englischen teilt.
Trainer Stanislav Cherchesov, den die Älteren unter uns noch als stoischen und humorvollen Langzeit-Torhüter bei Wacker Innsbruck in Erinnerung haben, steht zudem vor dem Problem, dass er seine wegbröselnde alte Garde (die 2008 eine hervorragende Euro in Österreich und der Schweiz gespielt hat) nicht adäquat nachbesetzen kann. Oldies wie Akinfeev und Zhirkov oder Glushakov werden deshalb auch diesmal immer noch dabei sein, Hoffnungsträger wie Dzagoev, Smolov oder Kokorin konnten dem Druck nicht standhalten und Jungstars wie Golovin oder Miranchuk hingegen verfügen noch nicht über genug Profil.
Cherchesov bleibt die Hoffnung, dass seine Spieler aus den Tests gegen Große wie Brasilien und Frankreich, Argentinien und Spanien was mitgenommen haben und in den letzten Vorbereitungsspielen gegen die Türkei und Österreich, am 30.Mai in Innsbruck am Tivoli, Stanis vormaligem Wohnzimmer.
Da kommt dann endlich auch Österreichs Rolle bei dieser WM ins Spiel. Sparringpartner für den Veranstalter und dann noch den amtierenden Weltmeister. Allerweil.
Martin Blumenau ist Chief Coordinator bei Radio FM4, Moderator, Autor und Blogger zu den Themen Jugendkultur, Demokratiepolitik, Medienpolitik, Musik und Fußball.