"...den voyeuristischsten Blick hat die Performerin selbst."

"...den voyeuristischsten Blick hat die Performerin selbst."

Teresa Vittucci im Interview

Im September 2018 zeigt WUK performing arts die österreichische Erstaufführung von Teresa Vituccis viel beachteter Performance „All Eyes On“. In dieser begibt sich Teresa Vitucci an die Grenzen jener öffentlichen Privaträume bzw. privaten Öffentlichkeit, die wir ZUHAUSE und INTERNET nennen, indem sie beide in einen dritten Raum transferiert, den THEATERraum.

In deiner Performance „All Eyes On“ geht es um das Sehen und Gesehen-werden. Wie hat sich dieser Markt um Aufmerksamkeit durch das Aufkommen des Internets verändert?

Sehen und Gesehen werden ist weit mehr als nur ein Markt um Aufmerksamkeit. Gesehen und wahrgenommen werden ist ein existenzieller Mechanismus. Wer von einer Gesellschaft nicht wahrgenommen wird, existiert für die Gesellschaft nicht und hat keinen Anteil an ihrer Gestaltung. Unsichtbar zu sein oder unsichtbar gemacht zu werden bedeutet unmündig gemacht zu werden. Natürlich hat das Aufkommen des Internets die Mechanismen, in denen wir Sehen und Gesehen werden, vielfältig beeinflusst. Auch online gilt: wer nicht gesehen wird, existiert nicht. Wer auf Google oder Facebook, auf Websites oder zumindest im online Telefonbuch nicht zu finden ist, den/die gibt‘s wahrscheinlich gar nicht. Das Internet bietet uns weit mehr Möglichkeiten uns zu zeigen und gesehen zu werden als der rein physische Raum. Andererseits sind wir dadurch, dass die meisten von uns im Internet in irgendeiner Form präsent sind, in einer Gleichzeitigkeit der Repräsentation, die ohne das Internet so nicht möglich war: Wir sind heute nicht nur da im physischen Raum, wo wir gerade diesen Text lesen, sondern in Form von Repräsentationen im virtuellen Raum ständig präsent. Ich glaube, dass das eine Art Freiheit bedeutet, Vielfalt und Identitätsfluidität erlaubt, uns gleichzeitig aber auch sehr überfordert.

Du beschäftigst dich in deinem Stück mit der Frage von Öffentlichkeit und Privatheit. Welche Thesen stellst du dabei auf?

Ich glaube, dass die Frage nach Privatsphäre uns durch die digitalen Veränderungen unserer Zeit, mehr denn je beschäftigt. Dabei spreche ich von Datenschutz und von der Tatsache, dass Geräte wie Smartphones und Laptops, die mit dem Internet verbunden sind, uns in unsere privatesten Räume begleiten, - ins Bett, ins Klo, beim Kochen oder beim Sex.  Wir haben eine intime Beziehung zu diesen Geräten und erleben Beziehung durch diese Geräte. Eigentlich öffnen wir – ob wir uns dessen bewusst sind oder nicht – ein Fenster in unsere privatesten Räume und Gedanken. Wer genau durch dieses Fenster blickt und wann ist dabei nie wirklich so ganz klar.

Warum ist das Theater als dritter Ort dazu geeignet Fragen von Macht, Abhängigkeit und Anerkennung zu diskutieren?

In keinem andern Ort wird Sehen und Gesehen werden so ritualisiert erfahrbar gemacht wie im Theater. Wer gesehen werden will, ist abhängig von der*dem Sehenden. Wer sehen will, ist eines Objekts bedürftig. Wer hat dabei die Macht über wen? Im Theater verdichtet sich diese Frage nach Abhängigkeit – existiert die Performance, wenn es kein Auge gibt, das sie bezeugt? In ALL EYES ON eröffne ich im Theaterraum einen weiteren Raum: den Chatraum. Der Chatraum ist online und für jede Person, die Zugang zum Internet hat, zugänglich. Das Publikum im Chatraum bezahlt nichts dafür etwas zu sehen, ist anonym und stellt sich doch wieder bewusst den Blicken des Theaterpublikums aus. Das Chatpublikum ist in Form von Kommentaren im Theaterraum sichtbar, es ist sich bewusst, dass es gesehen wird.  So wird ein Raum, der zum Beobachten ausgelegt ist, zum Zeigeraum. Das Theater als Heterotopie, macht dieses Zusammenkommen verschiedener Nicht-Orte in ein und demselben Raum möglich.

Wer ist voyeuristischer: das Publikum oder die Menschen im Live-Sex-Chat?

Ich habe viel über diese Frage nachgedacht, auch in Bezug auf Macht. Schlussendlich hat die Person, die mehr sieht, mehr Macht. Andererseits bedeutet die Anonymität des Publikums, ob im Theaterraum oder im Chat, auch Macht. Das Publikum im Theater genießt eine gewisse Anonymität aus der heraus sich ein voyeuristischer Blick auf mich als Performerin, aber auch auf die Chatuser_innen richtet. Die Chatuser_innen bezeugen die Performance geschützt von einer ganz anderen Anonymität  aus. Sie befinden sich in unzähligen, uns nicht zugänglichen Räumen, Büros, Schlafzimmer, Wohnzimmer oder im Park – und wissen, dass ihre Kommentare in die Performance Einfließen und gesehen werden. Manchmal denke ich, den voyeuristischsten Blick hat die Performerin selbst. Sie hat den Überblick, und durch ihre Performance ihre Stimme und ihren Körper als kommunikative Medien, Zugang zu beiden Räumen und auch zu den Menschen die sich darin befinden.

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