"Unsere Gruppe interessiert sich nicht für Wohltätigkeit…"

Eine Gruppe von Darsteller_innen auf der Bühne.
Teatro la Ribalta
© Patrizia Chiatti

"Unsere Gruppe interessiert sich nicht für Wohltätigkeit…"

Bruce Gladwin will einfach nur gutes Theater machen

Im Februar gastiert die inklusive Tanztheaterkompagnie Teatro la Ribalta aus Italien mit zwei Produktionen im WUK. Thomas Pesl traf zudem Bruce Gladwin, den künstlerischen Leiter und Regisseur vom bekannten Back to Back Theatre, zu einem Gespräch.

Menschen mit körperlichen und geistigen Beeinträchtigungen können Tänzer_innen und Schauspieler_innen sein. Diese Erkenntnis wächst immer mehr, und Ensembles, die aus Künstler_innen mit diversen Behinderungen bestehen, werden zunehmend künstlerisch ernst genommen, zu Festivals eingeladen und gefeiert. Das Schweizer Theater Hora etwa erhielt für die Produktion "Disabled Theatre" eine Einladung zum Berliner Theatertreffen 2013, aus Deutschland kennt man Theater RambaZamba und Theater Thikwa. In Österreich arbeitet das Grazer MezzaninTheater inklusiv – so die gängige Bezeichnung für die Einbindung von Menschen mit und ohne Beeinträchtigung in die künstlerische Tätigkeit. Außerdem begeistern hierzulande Ich bin okay, die I Dance Company und einige mehr.

Die weltweiten Vorreiter_innen des Trends kommen aber aus Australien: das Ensemble Back to Back Theatre. Ihre Produktionen "Ganesh vs. The Third Reich" und "small metal objects" waren Highlights der Wiener Festwochen 2013 bzw. 2015. Auch bei den Wiener Festwochen 2017 gibt es neue Einblicke ins Repertoire des sechsköpfigen Ensembles aus Geelong, deren Mitglieder Autist_innen sind oder andere Abweichungen in der neurologischen Ausstattung haben.

Bruce Gladwin, als Sie vor 18 Jahren die Gruppe übernahmen, geschah das mehr aus einem Interesse an der Arbeit mit Menschen mit Behinderung oder einfach aus dem Wunsch, Theater zu machen?

Ich war verblüfft von der Intelligenz, dem Weitblick und der Originalität der Aufführungen des Back to Back Theatre. Es war, als hätte das Publikum die Entstehung einer völlig neuen Kunstbewegung miterlebt. Dazu kam natürlich noch die Diskrepanz hinzu, dass hier Schauspieler_innen mit „intellektuellen Beeinträchtigungen“ ein Werk schufen, das ich als hochintelligent bezeichne. Ich war fasziniert und fühlte mich zu diesen Schauspieler_innen hingezogen, als sie mit mir über Theater und ihr Leben sprachen. Diese Gruppe ist und war immer schon von einem unglaublichen Möglichkeitsbewusstsein angetrieben.

Viele halten den Besuch von Inklusionstheateraufführungen immer noch für soziale „Wohltätigkeit“ und nicht für etwas, das sie selbst genießen könnten. Was lässt sich tun, um diese Publikumshaltung zu verändern?

Man kann versuchen, tolle Kunst zu schaffen. Unsere Gruppe interessiert sich nicht für Wohltätigkeit, und wir erwarten auch keine aufseiten unseres Publikums. Wir sehen uns auf einer Ebene mit anderen zeitgenössischen Theatermacher_innen. Dieses Jahr treten wir zum dritten Mal bei den Wiener Festwochen auf und geben dem Publikum Gelegenheit, unsere Arbeit kennenzulernen, die an sich schon einen Hebel für Veränderungen darstellt.

In Ihren Produktionen treten als Gäste oft Schauspieler_innen ohne Beeinträchtigung auf, was dem nicht beeinträchtigten Publikum die Identifikation mit dem Bühnengeschehen erleichtert. Ist das eine beabsichtigte Senkung der Hemmschwelle?

Pressefoto Back to Back, 2 Personen mit roten Trainingsanzug.
Back to Back, "small metal objects"
© Jeff Busby

Teilweise, es hängt von der Inszenierung ab. Aber tatsächlich kann der Mix aus unterschiedlichen Fähigkeiten auf der Bühne eine Spannung erzeugen, die auf einem scheinbar ungleichen Kräfteverhältnis beruht, das kann das Drama aufladen.

Wie stark unterscheidet sich die alltägliche Arbeit des Back to Back Theatre von jener anderer Theatergruppen?

Die Gruppe investiert sehr stark in das Wohlbefinden ihrer Ensemblemitglieder – ein Modell, nach dem sich meiner Meinung nach alle Theatergruppen richten sollten. Jede_r Schauspieler_in hat andere Stärken und Bedürfnisse. Wir arbeiten daran, ein Werk zu schaffen, das sie künstlerisch wachsen lässt. Da das Ensemble die Stücke gemeinsam schreibt, verbringen wir viel mehr Zeit mit dem Inhalt als mit dem Proben des fertigen Stücks.

Bewerben sich viele autistische Schauspieler_innen um Stellen in ihrem Ensemble?

Wenn eine Stelle frei wird, machen wir Castings. Es ist schon vorgekommen, dass sich knapp 80 Leute beworben haben.

Was schätzen Sie an Schauspieler_innen?

Hoffnung, Intelligenz, Fantasie, Unvorhersehbarkeit, Offenheit, ein Fehlen von Egoismus, Großzügigkeit.

In Ihrer Produktion "Ganesh vs. The Third Reich" wird die Beeinträchtigung der Performer_innen explizit thematisiert; in "small metal objects" nicht. Finden Sie es manchmal notwendig, das Thema Beeinträchtigung direkt anzusprechen und dadurch auf eine Metaebene zu heben?

Im Gegenteil. Wenn ein_e Schauspieler_in mit Beeinträchtigung die Bühne betritt, weiß das Publikum sofort, dass es sich um einen Menschen mit Beeinträchtigung handelt. Es stellt sich automatisch die Frage: Spielt diese_r Schauspieler_in jetzt einen Menschen mit oder einen ohne Beeinträchtigung? Werde ich repräsentiert oder jemand anderes? Wenn wir das Publikum nie aus dieser Spannung entlassen, gereicht uns das zum Vorteil.

Sie haben einmal gesagt, dass Ihre Ensemblemitglieder durch ihre Position als Randgruppe eine einzigartige und subversive Weltsicht haben. Wie helfen Sie ihnen, diese Weltsicht künstlerisch umzusetzen?

Indem wir versuchen, ein offenes Forum zu erzeugen, in dem die unterschiedlichsten politischen und ästhetischen Ansichten gehört werden.

Was sagen Sie Leuten, die eine Gefahr des Voyeurismus orten?

Alle interessanten zeitgenössischen Theateraufführungen fördern eine Art Voyeurismus, einen Austausch zwischen dem Publikum und den Performer_innen, der Freude bereitet. Die eigentliche Frage, die dann von Fall zu Fall zu stellen ist, lautet: Werden die Schauspieler_innen zugunsten dieses voyeuristischen Austauschs ausgenutzt?

Back to Back Theatre lässt sich mit der Entwicklung neuer Produktionen sehr lange Zeit. Hat das mit den besonderen Bedürfnissen der Ensemblemitglieder zu tun, oder ist es eine künstlerische Entscheidung?

Es liegt daran, dass ich so ein langsamer Regisseur bin.

Warum erhalten Ihrer Meinung nach Inklusionstheater- und -tanzgruppen weltweit gerade immer mehr Aufmerksamkeit?

Ich weiß es wirklich nicht. Das Prinzip der Beeinträchtigung oder des Inklusionstheaters ist mir mittlerweile ziemlich fern. Unser oberstes Ziel ist, gutes Theater zu machen.

Martin Thomas Pesl stammt aus Wien und arbeitet von ebenda aus als Autor, Übersetzer, Sprecher und Lektor.

Teatro la Ribalta (IT) im WUK

"Superabile" (ab 10)
Do 23.2., 10 und 17 Uhr, Saal
Fr 24.2., 10 und 16.30 Uhr, Saal

"Personaggi" (ab 14)
Sa 25.2., 19 Uhr, Saal

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