Zwischen Europhorie, Ernüchterung und ein bisschen Angst
Business as usual? Irgendwie ist es dieses Mal ganz anders und man kann noch gar nicht so richtig abschätzen, was im Juni in Frankreich und hier in Österreich abgehen wird. Denn dieses Mal kann man nicht nur Christiano Ronaldo & Co auf die Beine blicken. Im Gegenteil: eine rot-weiß-rote Fan-Armada wird sich auf den Weg nach Frankreich machen – mit dem Auto, dem Flugzeug oder per Bahn – und Marko Arnautovic & Co lautstark unterstützen. Die (zum Teil sehr enttäuschten) Daheimgebliebenen werden wie hier im FM4 EM Quartier im WUK für Stimmung sorgen, wie man sie wohl bisher noch nicht gesehen und gehört hat.
Sportlicher Höhenflug
Österreich hat sich unter Marcel Koller bekanntlich erstmals auf sportlichem Weg für eine Europameisterschaft qualifiziert. Und dies ist nicht irgendwie dahingewurstelt oder mit viel Glück passiert. An eine derart souveräne Vorstellung eines österreichischen Nationalteams in einer Qualifikation können sich wohl nur noch die Golden-Ager erinnern. Genau das ist auch der Grund dafür, warum die Europhorie – auch wenn ich dieses Wort persönlich nicht besonders mag – so groß ist. Größer sogar als bei der Heimeuropameisterschaft, was wohl daran liegt, dass diese Qualifikation mit eigenem sportlichen Schweiß und Fleiß zustande gekommen ist. Man wird sehen, wohin dieser Höhenflug noch führen wird. Eine sportliche Prognose ist seriöserweise nicht möglich, zu viele Faktoren spielen hier herein. Marcel Koller kennt die österreichische Medienlandschaft mittlerweile und weiß, dass er nach außen hin zurückhaltend agieren muss, damit Krone & Co nicht bereits vom Europameister-Titel schreiben. Eines kann man aber bei allen Beschwichtigungen erwarten: Alles andere als ein Aufstieg in die K.O.-Phase wäre von einem Team, das sich in den vergangenen Monaten bereits in den Top 10 der Fifa-Weltrangliste befunden hat, enttäuschend.
Nach der erfolgreichen Qualifikation im Herbst 2015 war die Stimmung jedenfalls gut wie nie. Gegen Liechtenstein feierten 48.000 Fans im Happel-Stadion Marcel Koller und das Team. Zehntausende Fans schmiedeten bereits Pläne, den Urlaub im kommenden Jahr im Juni zu konsumieren. Und zwar genau dann, wenn Österreich in Frankreich spielen wird. Die Auslosung im Dezember feuerte diese Stimmung dann noch einmal an: Portugal, Ungarn und Island. Mit der Ronaldo-Truppe wurde ein mehr als attraktiver Gegner in die Gruppe gelost und Ungarn sowie Island sind bei allem Respekt machbar. Noch dazu, wenn man bedenkt, dass unter Umständen sogar ein dritter Platz zum Aufstieg in das Achtelfinale reicht.
Die von der UEFA ins Leben gerufene Tickettauschbörse brachte nicht die gewünschte Abhilfe, da die meisten der österreichbezogenen Tickets hier nicht „gehandelt“ werden konnten. Es werden wohl dennoch viele rot-weiß-rote Fans das Risiko eingehen und Tickets über diverse Plattformen erwerben. Hoffentlich wird dadurch im Endeffekt der Frustlevel nicht noch potenziert.
Je suis Paris
Ja, der Terror ist überhaupt ein schwieriges Thema. Im November saß ich auf Einladung eines Sportartikelherstellers just einen Tag vor den Anschlägen bei der Präsentation des offiziellen EM-Fußballs und Trikots in Paris. Die Stimmung? Sensationell gut. Der neue Ball? Es gab schon schönere.
Der Launch der Trikots ließ den Puls jedenfalls etwas steigen. Die Vorfreude stieg an. Eigentlich hätte ich auch am nächsten Tag beim freundschaftlichen Länderspiel zwischen Frankreich und Deutschland auf der Tribüne sitzen sollen. Aufgrund von Terminproblemen flog ich jedoch am Freitagvormittag zurück. Am Abend saß ich dann auf der Couch, um das Match zu sehen, als man plötzlich die Explosionen live hören konnte. Mich überkam ein mulmiges Gefühl, das ich nicht mehr loswerden sollte. Meine Gedanken drehen sich seit dem im Kreis: Eigentlich hatte ich riesiges Glück, dass ich dieses Desaster nicht hautnah miterlebt habe. Ich habe eine Familie und drei Kinder, denen diese Situation auch nahe gegangen ist. Gemeinsam haben wir dann wenige Wochen vor der Europameisterschaft beschlossen, dass ich nicht nach Frankreich fahren werde. Irgendwie wollten wir das Schicksal nicht ein zweites Mal herausfordern.
Der Rubel rollt
Und doch geht die Show immer irgendwie weiter. Die Marketing-Maschinerie läuft auf Hochtouren, Marko Arnautovic baut plötzlich im Fernsehen Häuser oder lernt für eine Elektronik-Kette Französisch. David Alaba ist in den Werbespots omnipräsent. Der Rubel rollt. Daran kann auch der Terror – trotz Brüsseler Auffrischung – nichts ändern. Und dass die UEFA rund um den Skandal von Ex-Fifa-Präsident Sepp Blatter seinen eigenen Präsidenten Michel Platini ebenfalls verloren hat, interessiert zu dieser Zeit kaum jemanden mehr. Und es ist vielleicht auch der einzige Trost an die zehntausenden Fußball-Fans, die keine Karten ergattert haben: Platini hat auch keine bekommen.
Michael Fiala ist Chefredakteur und Herausgeber von 90minuten.at, dem kritischen Fußballmagazin im Internet. 90minuten.at ist Medienpartner des FM4 EM-Quartiers 2016.
FM4 EM-Quartier 2016
Fr 10.6. bis So 10.7., WUK Areal
freier Eintritt