Fragmente

Verschwommene Fotografie, ein Mann in Freizeitkleidung geht auf einem Schotterweg auf hölzene Baracken zu.
"Fernblick", Kalifornien 2013 © Raed Rafei

Fragmente

Eine Liebesgeschichte ohne Erzählstrang

Der libanesische Filmemacher Raed Rafei versucht mit seinem Filmprojekt "On Fragments" die durch politische und gesellschaftliche Realitäten unterbrochene Liebesbeziehung zu einem Ganzen zu montieren. Er war im September Artist-in Residence der Kunsthalle Exnergasse.

Bei einem Besuch der Uffizien in Florenz versetzten mich die Porträts des Herzogs und der Herzogin von Urbino von Piero della Francesca in Erstaunen. Die beiden nebeneinander ausgestellten Gemälde zeigen den Herzog und seine Frau im Profil. Es hat den Anschein als wären ihre Blicke auf ewig miteinander verschmolzen. Sie gleichen zwei Individuen, deren Schicksal miteinander verwoben ist, die sich aber dennoch niemals treffen können. Erst später fand ich heraus, dass der Herzog die Porträts von ihm und seiner Frau erst nach ihrem Tode in Auftrag gegeben hatte.

Piero della Francesca, "Der Herzog und die Herzogin von Urbino" © Galleria degli Uffizi, Florenz

Die Gemälde stellen für mich die gesamte Symbolhaftigkeit meiner Beziehung als Libanese mit Sandro, einem Italiener, dar. Geteilte Leidenschaften, gemeinsame kulturelle Bezugspunkte und eine unerklärliche Anziehungskraft verbinden uns fortwährend. Gleichzeitig sind wir jedoch mit reellen und imaginären Grenzen konfrontiert, die es nicht zulassen, dass unsere beiden Welten und unsere beiden Realitäten jemals eins werden.

Während der letzten vier Jahre wurden wir zu einem Nomadenpaar, das sich nur auf Reisen und Urlauben in Europa und den USA trifft. Langsam wurde ich von der Idee besessen, diese gemeinsamen Momente, die irgendwie das Glück mit dem geliebten Anderen versinnbildlichen, einzufangen. Ich machte Tonaufnahmen, schoss eine Unzahl von Fotos und nahm kurze Videos mit meiner Kamera und meinem Mobiltelefon auf. Zurück in meiner Beiruter Realität versuchte ich, diese Momente mit Hilfe des wachsenden Archives und meiner flüchtigen Erinnerung zu rekonstruieren. Mir wurde jedoch bald klar, dass unsere zur täglichen Gewohnheit gewordene Routine und unsere gemeinsamen Zukunftsprojekte nicht ausreichten, um einen Erzählstrang für diese Beziehung zu entwickeln. Ich stamme aus einem Teil der Welt, in dem Homosexualität kriminalisiert wird und dunkle Mächte des Extremismus und der Intoleranz die Bestrebungen des einzelnen bedrohen. Sandro hingegen ist Teil einer europäischen Realität, die unaufhaltsam auf eine scheinbare Utopie für das homosexuelle Individuum und homosexuelle Paare zusteuert.

Es gibt reelle Grenzen zwischen uns, die schon alleine auf der Tatsache beruhen, dass ich Schwierigkeiten habe, mit einem libanesischen Pass in einem Europa zu leben, das seine Grenzen aufgrund des Flüchtlingszustromes aus dem Süden dicht macht. Hinzu kommt, dass Italien weder die Homoehe noch irgendeine andere Form der Lebenspartnerschaft zwischen Homosexuellen anerkennt.

Aber über diese greifbaren, echten, uns trennenden Hindernisse hinaus, hat unsere Situation auch eine tiefgreifende Diskussion darüber entfacht, was es heißt, in unserer modernen Welt ein Paar zu sein, was es bedeutet sein Leben mit jemandem zu teilen, eine Familie zu leben und von einer gemeinsamen Zukunft zu träumen.

Diese Gedanken und Bruchstücke wurden zur Basis für mein neues Projekt, "On Fragments", einem intimen poetischen und politischen Filmessay.

Der Film ist als virtuelle Reise zwischen dem Libanon und Europa aufgebaut; eine Art Collage aus verschiedenen Ton- und Filmaufnahmen. Im Libanon strebe ich nach Frieden und Akzeptanz durch meine gesellschaftliche und natürliche Umgebung. Der drohenden Gefahr bewusst, als homosexuell „erwischt“ oder enttarnt zu werden, zieht es mich schicksalhaft in Richtung Exil und sozialer Ächtung.

Auf meinen Reisen nach Europa erfahre ich die Glückseligkeit von Freiheit und Sicherheit, bin mir aber auch der kollektiven Gleichgültigkeit und der einsamen Anonymität, der ich ausgesetzt sein könnte, bewusst.

In diesem Schwebezustand zwischen zwei Realitäten zunehmend auseinanderdriftender Welten liegt der einzige Trost in der Wärme der banalen gemeinsamen Existenz mit dem Anderen. Und wenn es unmöglich ist, sein tägliches Leben mit dem Anderen zu teilen, dann kann nur das Kino die Fragmente zu einer ununterbrochenen Geschichte zusammenfügen.

Raed Rafei ist libanesischer Journalist, Schriftsteller und Filmemacher, der in Beirut lebt und arbeitet. Sein Interesse gilt der Realität, der Fiktion und dem, was dazwischen liegt.

Im September 2014 war Raed Rafei Artist-in Residence der Kunsthalle Exnergasse (KEX). Er wurde dorthin gemeinsam mit dem 98WEEKS/RESEARCH PROJECT, Beirut, eingeladen. Die KEX vergibt für die Dauer von bis zu drei Monaten Stipendien für eine KünstlerInnen-Residenz im KEX Studio. Die Einladung der Künstler_innen erfolgt in Kollaboration mit internationalen Kunsträumen, Institutionen und Kollektiven aus dem erweiterten Feld künstlerischer Praktiken und Forschung.

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