LOOMING UP
Kurator: Walter Seidl
mit den KünstlerInnen
Boryana Dragoeva - Daniela Kostova - Boris Missirkov - Ivan Moudov / Dessislava Dimova - Rassim® - Kamen Stoyanov - Houben Tcherkelov
25. April 2001, 19.00 Uhr: Eröffnung
26. April 2001, 19.00 Uhr: „Bulgarische Kunst im Kontext Europa“
Diskussionsrunde in englischer Sprache.mit
Ilina Koralova (BG)
Andreas Spiegl (A)
und den anwesenden KünstlerInnen.
Moderation: Walter Seidl
Zur Ausstellung:
LOOMING UP bildet den Titel einer Gruppenausstellung junger zeitgenössischer Kunst aus Bulgarien, die sich auf dem Weg zu einer verstärkten Rezeption in einem internationalen Kunstkontext befindet.
to loom: (fig.) appear great and fill the mind (Oxford English dictionary)
Im Englischen wird das Verb to loom häufig in einem nautischen Kontext verwendet, wenn Schiffe aus dem Nebel auftauchen und plötzlich in ihrer vollen Gestalt - fast bedrohlich - sichtbar werden. In einem metaphorischen Sinn soll sich dieser Prozess des aus dem Nichts auftauchen auf jene KünstlerInnen beziehen, deren Arbeit zwar präsent ist, aber durch einen Nebel verschleiert zu sein schien und mit dem Verschwinden des europäischen Ost-Westgefälles nun verstärkt in Erscheinung tritt.
Die Grundidee von LOOMING UP besteht im Sichtbarmachen einer bisher eher negierten Kunstproduktion, die die Arbeiten der jüngeren Generation aus Bulgarien betrifft, die künstlerisch vor allem in den 90er Jahren aktiv wurde. Während jene KünstlerInnen in den letzten zehn Jahren international in eher geringem Ausmaß repräsentiert waren, soll sich diese Situation in den nächsten zehn Jahren entsprechend ändern. Mit dem Bestreben, in die europäische Union aufgenommen zu werden, versucht das post-kommunistische Bulgarien, auf internationaler Ebene seine Positionen in wirtschaftlicher und kultureller Hinsicht zu beziehen. Letztere Tendenz ist anhand der Biografien der teilnehmenden KünstlerInnen zu erkennen, die entweder im Ausland studier(t)en bzw. sich thematisch an der internationalen Kunstproduktion orientieren.
LOOMING UP rückt nicht nur junge bulgarische Kunst ins Blickfeld, sondern anhand der gezeigten Arbeiten, in denen die Thematisierung des "Selbst" im Vordergrund steht, auch die KünstlerInnen selbst. Während einige KünstlerInnen visuell präsent sind und an der Konstruktion verschiedener Identitäten arbeiten, reflektieren andere persönliche Erfahrungen, die sich auf den Umbruch nach 1989 und die dadurch bedingten Globalisierungstendenzen beziehen. Selbst-Referentialität bildet einen zentralen Aspekt dieser Ausstellung, in der private und öffentliche Repräsentationsformen hinterfragt werden.
Die Diskussionsrunde „Bulgarische Kunst im Kontext Europa“ versucht, die oben erwähnten Aspekte zu behandeln und neben der internationalen Rezeption auch die Rahmenbedingungen für die aktuelle Kunstproduktion in Südosteuropa zu thematisier
Es diskutieren: Ilina Koralova, Kuratorin (BG), Andreas Spiegl, Kunsttheoretiker (A) sowie die anwesenden KünstlerInnen. Moderation: Walter Seidl (A)
Zur Ausstellung erscheint ein Katalog in englischer Sprache mit Texten von Ilina Koralova, Walter Seidl und Andreas Spiegl
KünstlerInnen und ihre Arbeiten:
Boryana Dragoeva überlagert in „Back and Forth" visuelle und akustische Elemente aus unterschiedlichen Abschnitten ihres Lebens. Die Stimme der Künstlerin wird durch die eigene Kinderstimme ersetzt, die ihre Mutter im Alter von zweieinhalb Jahren aufgenommen hat. Die mit Computer bearbeitete und in Echoform wiederkehrende Stimme verleiht Dragoeva eine übernatürliche Präsenz, die die Kraft weiblicher Artikulationsformen reflektiert.
„The Moon and the Sunshine“ dekonstruiert die Dichotomie von Mann und Frau und bezieht sich vor allem auf Fragen der Differenz. Anstelle von assimilierenden gender Rollen betont Dragoeva die individuelle Position von Mann und Frau, die einander gerade aufgrund ihrer Differenz(en) bedingen.
Daniela Kostova greift in „Microlife" durch technische Veränderungen hervorgerufene Manipulationsvorgänge auf. In einem Mikrowellengerät-ähnlichen Gehäuse wird ein Video projiziert, das das Aufspringen einer Popcornpackung in einem Mikrowellenherd zeigt. Auf der Popcornpackung befindet sich ein Bild der Künstlerin, das gleichzeitig mit der sich drehenden Packung aufgeblasen wird und dadurch gewollte sowie ungewollte Veränderungen technischer Visualierungsprozesse hinterfragt.
Boris Missirkov analysiert Phänomene der Amerikanisierung, die die Realität unhinterfragt durchdringen. Eine Fotoserie zeigt verschiedenste Wohnzimmer älterer Leute zu jeweils der gleichen Tageszeit, in denen stets dieselbe soap am Fernsehschirm erstrahlt. Missirkov demonstriert die Uniformität des Sofioter Lebens der älteren Generation und zeigt dadurch, dass sämtliche Bereiche des bulgarischen Alltags von globalen Phänomenen beeinflusst werden, die jedoch nicht adäquat bzw. bewusst wahrgenommen werden.
Ivan Moudov und Dessislava Dimova rekurrieren in ihrer Posterserie „still life" auf Werbesujets und Filmszenen (stills), bei denen die Oberfläche als primärer Bedeutungsträger dient. 5 Poster zeigen die KünstlerInnen als Models in einem persönlich arrangierten Ambiente, das als mediales Bild die Elemente der Privatsphäre in die Öffentlichkeit transferiert. Die dadurch konstruierten Identitäten manifestieren sich mittels Körpersprache und Blick, die in ihrer Expressivität spezifische Handlungsinhalte transportieren.
Rassim® thematisiert in seiner Arbeit „Corrections" Veränderungen des Selbst, das gesellschaftlichen und medienkonstruierten Trends unterworfen ist. Diese Arbeit wurde 1998 vom französischen Kurator Ami Barak finanziert, jedoch noch nie in ihrer Gesamtheit präsentiert. „Corrections" zeigt den Künstler, wie er 18 Monate lang Bodybuilding betreibt und seinen Körper an sozial geschaffene Normen anpasst. Die Installation besteht aus 5 parallel gezeigten Videos, die das intensive Training dokumentieren sowie aus zwei lebensgroßen Fotofiguren, die den Körper des Künstlers vor und nach der "Korrektur" zeigen.
Kamen Stoyanov kontrastiert in seiner Arbeit „The Imaginary & the Historical" jenes Bild von Bulgarien, das einer internationalen Öffentlichkeit präsentiert wird, mit dem persönlich wahrgenommenen. Der erste Teil dieser Arbeit umfasst eine Serie von abfotografierten Farbpostkarten, auf denen sich Vorder- und Rückseite überlagern. Die unleserlichen Schriftzeilen verweisen auf historische Ereignisse, die heute nur mehr in verschwommenem Zustand wahrgenommen werden. Der zweite Teil der Arbeit besteht aus einem Video, das an jenen Orten und Plätzen gedreht wurde, die auf den Postkarten zu sehen sind. Stoyanov versucht dadurch, Bilder, die er aus seiner Jugend kennt, den als Künstler generierten gegenüberzustellen.
„Trajectory” bezieht sich auf die Suche nach der persönlichen Identität, die sich für den Protagonisten des Videos nicht lokalisieren lässt, weder auf dem Weg von der Universität zum Studentenheim noch im Bestreben, durch das Verschieben von Möbelstücken zu einem befriedigenden Ergebnis zu gelangen.
Houben Tcherkelov bezieht sich in seinem Video „Reality Show“ auf das „Stardom“ der internationalen Film- und Musikindustrie, das er in seine Heimatstadt Sofia transferiert. Tcherkelov schlüpft in die Rolle des Stars und begibt sich auf einen nächtlichen Kreuzzug durch die Sofioter Clubszene. Groupies und Drogen bilden jene Begleitelemente, die weltweit das nächtliche Bild einer Grosstadt prägen.
Kurzbiografien:
Boryana Dragoeva
*1972, 1997 Nationale Kunstakademie Sofia
Ausstellungen (Auswahl): 1997 Shipka 6 Gallery Sofia, 1998, Sofia Underground Festival 1999 "Crossing Over", Ljubljana, "Betaville", Sofia (kuratiert von Andreas Spiegl und Ilina Koralova), "Videoarchaeology", Sofia, Paris, "The Right Shoot", KEVA Sofia (E) "Aim/less" Ted Gallery, Varna 2000 "Video Positive 2000", Liverpool, "Hers, Video als weibliches Terrain", Graz (kuratiert von Stella Rollig für den steirischen herbst)<o:p></o:p>
Daniela Kostova
*1974, 1998 Nationale Kunstakademie Sofia Meisterklasse für Malerei
Ausstellungen (Auswahl): 1997 XXL Gallery, Sofia, "Macroland", Akademie der bildenden Künste, Wien 1998 Sofia Underground Festival 1999 XXL Gallery, Sofia, Sky Party, Sofia, "Betaville", Sofia, (kuratiert von Andreas Spiegl und Ilina Koralova), Soros Center for Contemporary Art Exhibition, Sofia
Boris Missirkov
*1971, 1991-96 Nationale Film- und Fotoakademie Sofia, 96/97 Studienaufenthalte in der Schweiz, in Frankreich und in Italien (bei Oliviero Toscani, Benetton)
Ausstellungen (Auswahl): 1993 Biennale bulgarischer Fotografie Sofia, 1996, MAKTA, Sofia, FOCUS Ljubljana 96/97 "Collective Eye", Junge Europäische Fotokunst, Wanderausstellung, Lausanne, Budapest, Ljubljana, Gyor, Sofia, 1999 "Translocation_ New Media Art", Generali Foundation, Wien 99/00 ID 2000 Cervilo Sofia
zahlreiche internationale Foto/Filmpreise und Arbeitsstipendien, Leiter der Galerie KEVA, Sofia
Ivan Moudov
*1975, 2000 Nationale Kunstakademie Sofia,
Ausstellungen (Auswahl): 1997 Simon Says, Sofia 1998 "The 2000 Syndrome", ATA Gallery, Sofia 1999 Shipka 6 Gallery Sofia, Sofia Underground Festival, Video Medeja Festival, Novi Sad, Serbien 2000 "still life" ATA Gallery, Sofia
Rassim®
*1972, 1998 Nationale Kunstakademie Sofia, Meisterklasse für Malerei
Ausstellungen (Auswahl): 1995 "The Drug", ATA Gallery Sofia (E) 1996 Soros Center Exhibition, Sofia 1997 "Menschenbilder" Foto- und Videokunst aus Bulgarien, IFA Berlin 1998 "Body and the East", Museum of Modern Art, Ljubljana, "Bulgariaavantgarde" -"Kräftemessen", Kunstwerkstatt Lothringerstrasse München 1999 "Translocation_ New Media Art", Generali Foundation, Wien, "After the Wall" Modern Museum Stockholm 2000 "It could be Obsession", <rotor> Graz
Kamen Stoyanov
*1977, 1996 Nationale Kunstakademie Sofia, Meisterklasse für Malerei, 1999 Universität für künstlerische Gestaltung Linz
2000 Akademie der bildenden Künste Wien, Meisterklasse Eva Schlegel
Ausstellungen: 1998 "Vergangenheit in der Zukunft", Troyan, Bulgarien 1999 "Betaville", Sofia (kuratiert von Andreas Spiegl und Ilina Koralova), Ausstellung der Meisterklasse für Malerei, Linz
Houben Tcherkelov
*1970, 1998 Kunstakademie Sofia, Meisterklasse für Malerei bei Jörg Immendorf, Amsterdam,
Ausstellugen (Auswahl). 1994 “Forms of Life“, Ata-Ray Gallery, Sofia (mit Kosio Minchev), 1997 “Lullaby“, Nexus Contemporary Art Center, Atlanta, GA, USA, “Menschenbilder“, Foto- und Videokunst aus Bulgarien, IFA Galerie, Berlin, “A Home“, XXL Gallery, Sofia, 1999 Translocation, Generali Foundation, Wien 2000 “Cocoons“, XXL Gallery, Sofia
Walter Seidl
*1973, studierte Amerikanistik, Kulturwissenschaften und Geschichte
Publikation: Zwischen Kultur und Culture: Das Austrian Institute in New York und Österreichs kultureller Repräsentanz in den USA (Böhlau, Erscheinungsdatum: Herbst 2001)