EVELYNE EGERER
Wenn Sie ihre Wohnung radiästhetisch vermessen ließen, dann würden sich nach kurzer Zeit Papierstreifen über Boden und Möbel winden, um das zu markieren, was wie ein unsichtbares Netz die ganze Erde umspannt. Wo immer wir uns befinden, wir bewegen uns permanent auf einem regelmäßigen Gitter aus erdmagnetischen Linien, das von Wasserläufen und Bodenschätzen ver- worfen wird. Und diese sind - dies hat sich seit Jahrhunderten herumgespro- chen - von nicht geringem Einfluß auf unsere physischen und psychischen Konstitutionen.
Radiästhesie, die Lehre von den Strahlenwirkungen, welche von belebter und unbelebter Materie ausgehen, verspricht Hoffnung auf Durchblick und Voraussicht. Sie zeigt, was unter den Dingen liegt, indem sie Strukturen nachzeichnet. Das ist ein einzigartiger Kompromiß, denn hier verschränkt sich Wissenschaft mit meta-physis. Hier wird mit Wünschelrute und Pendel die Erfahrung überschritten, um ein Rätsel zu verfolgen, d.h. zum "immerwährenden" Wesen des Seienden vorzudringen. meta = "Nach, über", physis = "Natur, natürliche Beschaffenheit".
Evelyne Egerer benutzt den Ausstellungsraum der Kunsthalle Exnergasse als archäologische Fundstätte für solche Aufdeckung. Wie in einer Versuchsan- ordnung treten hier frisch aus dem Berg gebrochene Salzbrocken an, um als Platzhalter für jene energetischen Stellen zu dienen, an denen man sich - wüßte man, wo sie sich jeweils befinden - nach den Gesetzen der Radiästhesie mitunter nicht allzu häufig aufhielte. Ihre antennenartigen Aufsätze spinnen in der Luft ein regelmäßiges Netz, welches sich nach den Himmelsrichtungen ausrichtet und nur an einer Stelle von einer Wasserader überlagert wird.
Was sonst unsichtbar ist, wird hier materiell und imaginär manifest. Was ge- wöhnlich Halt verspricht, weil plötzlich Zusammenhänge und Erklärungsmuster auftauchen, wird hier zum fragwürdigen Exempel auf Zeit. Fragwürdig - denn allemal werden die hier verorteten Phänomene erst durch Subjekte meß- und wahrnehmbar, welche Wissenschaft betreiben und nach den Gründen hinter den Dingen suchen.
Hier wird nicht erklärt und nicht Partei ergriffen. Seit je charakterisiert sich die Egerersche Arbeit dadurch, mit kühlem Kopf auf verschiedenen Perspektiven, welche durchaus auch verschiedenen Kulturen angehören können, gleichzeitig scharf zu stellen. Spiegelung des Einen im Anderen.
"Ich arbeite mit dem Raum", sagt Egerer spartanisch, wenn man sie nach ihrer Arbeit fragt. Das heißt: Sie geht auf den Raum zu und wartet, bis sich ihr etwas zeigt, versucht Stellen auszuloten, die jeweils architektonisch, kontextuell und kulturell von Relevanz sein könnten. Dann greift sie ein, mischt sich ein, indem sie etwas hinzufügt, sparsam und respektvoll. Solche Eingriffe verfremden, verdrehen den Raum, versetzen ihn in einen anderen Zustand. Etwas wird anwesend, das immer schon in den Falten des Sichtbaren verborgen zu liegen schien, aber noch nie in dieser Weise zu sehen war. Und dieses Etwas bringt die Subjekte aufs Tapet, - hier in einem Kunstraum als suchende, forschende, glaubende Existenzen.
Sieh her, scheint Evelyne Egerer zu sagen, nichts weiter. So funktionieren wir.
Der Grundton der Erde hängt im Raum und unter dem Klang von Äolsharfen wächst die Ahnung, daß der wissenschaftliche Blick auf die Strukturen und die mata-physische Hoffnung auf den Blick hinter die Dinge aneinander hängen wie eine einzige schizophrene Sichtweise auf die Welt. Unbemerkt kehrten die beiden Perspektiven ineinander wieder. Auch mit schwarzem Filzstift nachgezogene Handlinien zeugen weniger vom Unglauben, als von der Wut, der Hoffnung, der Faszination meta-physis nicht loszuwerden. Change. Future.
Evelyne Egerer hält es in dieser Weise mit Robert Adrian X, der einmal sagte: "Kunst macht Strukturen, Systeme und Beziehungen sichtbar." Und vor allem, so fügte er hinzu: "Kunst kann nichts erklären".
Eva S.-Sturm
Evelyne Egerer ist 1955 geboren, lebt und arbeitet in Wien.
Diese Ausstellung wurde ermöglicht mit freundlicher Unterstützung von SALINEN AUSTRIA GesmbH und DRAHTWERK ING. FISCHER.
VIDEO ZUR AUSSTELLUNG IM INTAKTRAUM (Gang links) zu besichtigen.