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Mo 17.3. bis Sa 26.4.2025
Eintritt frei
Fotogalerie Wien
Propeller IV
Mit PROPELLER I (lat.: propellere „vorwärts treiben“) begann 2019 eine regelmäßig stattfindende Biennale, die jeweils das aktuelle Geschehen auf den österreichischen Kunsthochschulen reflektieren soll. Wie arbeiten junge Kunstschaffende heute in den Bereichen Fotografie und Neue Medien? Die FOTOGALERIE WIEN möchte einerseits einem breiteren Publikum studentische Arbeiten sichtbar machen und andererseits den Studierenden die Möglichkeit geben, den Ausstellungsbetrieb besser kennenzulernen.
Die in dieser Ausstellung, PROPELLER IV, präsentierten aktuellen studentischen Arbeiten zeigen eine überaus große Vielfalt der verwendeten Materialien und Präsentationsformen. Fotografie und Video werden in installative, skulpturale, malerische und publizistische Zusammenhänge gesetzt und erfahren dadurch formale und inhaltliche Erweiterung. Thematisch lässt sich eine deutliche Hinwendung zu einer Auseinandersetzung mit Identität, der Suche nach Zuflucht, Geborgenheit, der Sehnsucht nach Poesie ausmachen.
Künstler*innen: Christoph Bisenberger, Adrian Czubatinski, Jana Ehls, Adriana Finghis, Johannes Hartmann, Mara Printz, Farhang Rafiee, Ana Sofia Rocha De Matos, Gabriel Rózsa, Lorenz Wanker
Im Rahmen ihrer Auseinandersetzung mit Fragen der (Geschlechter-)Identität, Zugehörigkeit und Familie beschäftigt sich Walentina Kaja Ammann in ihrer künstlerischen Dokumentation Nest mit dem hochsensiblen Thema „Haar“. In dem 30-minütigen Video tragen weibliche Mitglieder ihrer Familie eine Perücke, die aus dem Haar der Künstlerin besteht. In Interviews sprechen und reflektieren sie über den Stellenwert von Haar in ihrem Leben. Das Video stellt Fragen nach dem Einfluss von Haar auf die Weiblichkeit und sucht nach der Grenze zwischen Familie und eigener Identität. Kurze Einschnitte zwischen den Interviews zeigen die Transformation der Haare der Künstlerin, um so immer wieder auf die Anfangsfrage nach Rollenbildern zurückzukommen.
Christoph Bisenberger präsentiert zwei Künstler*innenbücher, die aus Fundmaterial von Billboards im öffentlichen Raum entstanden sind. Diese großflächigen Plakatwände am Rande von Städten, an Ein- und Ausfall- sowie Landstraßen werden immer wieder mit neuen Sujets überklebt. Dadurch wird das ursprünglich Beworbene mit der Zeit immer tiefer unter einer dicken Papierschicht begraben. Bisenberger interessiert das Sezieren dieser Papierschichten. Er schneidet ein Fragment aus einer Plakatwand heraus – von der obersten Schicht bis hinunter zur Grundplatte. Mithilfe von Wasser legt er danach die einzelnen Schichten wieder frei. In Buchform gebracht, sind sie ein Spiel abstrakter Formen und Farben, eine Einladung in die Langsamkeit und die Poesie.
In der Serie Hüttenwanderung visualisiert Adrian Czubatinski das Thema „Zuhause/Heimat“ durch performative, in Fotografien festgehaltenen Aktionen, die sich mit der Architektur und dem Sinnbild von Schutzhütten beschäftigen. In der freien Natur sind diese ein Zufluchtsort, der Geborgenheit bietet. Obwohl meist nur Bretterverschläge, werden sie oft als Orte romantischer Fantasien von Freiheit und Naturverbundenheit empfunden. Die menschliche Sehnsucht nach Geborgenheit, die mit dem Zuhause verbunden wird, spiegelt sich in der abstrakten Darstellung eines Hauses wider. Czubatinski geht nun einen Schritt weiter und schickt die Schutzhütte selbst auf Wanderschaft. Er inszeniert sie im öffentlichen Raum als Sinnbild für Entwurzelung. Beruhigend und beunruhigend zu wissen, dass „Zuhause“ überall sein kann, aber man vielleicht niemals irgendwo ankommt (aus einem Text von Liam Floyd).
I never touched a pigeon von Jana Ehls ist eine multimediale Arbeit, die sich mit Abwesenheit und blinden Flecken in der erweiterten Fotografie beschäftigt. Der Titel nimmt Bezug auf Johann van der Keukens Film „Blind Kind“ (1964) und resultiert aus der Erkenntnis, dass sehende Menschen „blind“ sind, die Welt ausschließlich auf taktile Weise wahrzunehmen. Ein blindes Kind erkennt eine Taube durch Berührung, ein sehendes Kind durch deren Anblick. In Anerkennung dieser Wissensdiskrepanz erforscht Ehls die Grenzen der Wahrnehmung und die Möglichkeit, das Sehen neu zu erlernen. Die projizierten Videos beziehen sich auf diesen Prozess: Durch Heranzoomen wird die Sicht eingeschränkt, die Bewegung des Objekts schnell und unvorhersehbar. Die Videoprojektion wird begleitet von einem Künstler*innenbuch, das Spuren von Abwesenheit, blinde Flecken und Teile der Serie index of things that are not mine enthält.
like being stuck as a spectator von Adriana Finghis untersucht den imaginierten Raum außerhalb des fotografischen Sujets, der aus dem fragmentarischen Charakter der Fotografie hervorgeht. Da Bilder immer nur Ausschnitte sein können, wird die umliegende Leere zu einem Ort, der sich mit Bedeutung füllen lässt. Die fotografischen Positionen, entwickelt durch eine Kombination analoger und digitaler Techniken, werden durch ein Künstler*innenbuch ergänzt. In diesem Buch werden Textfragmente aus Unterhaltungen, Erzählungen und Traumdeutungen anonymer Onlineforen verwoben, rekombiniert und neu angeordnet. Das Ergebnis ist ein diffuser Dialog, der als vage Markierung markante Punkte eines Ortes definiert. Im Mittelpunkt steht die Reflexion über ein Gefühl geteilter Menschlichkeit und die Frage, was Bilder offenbaren – und was sie verschweigen.
Johannes Hartmann arbeitet im Spannungsfeld von Modedesign und transmedialer Kunst. Knitted Sensitivities ist eine Serie von Strickmalereien, die sich mit den Eigenschaften gestrickter Materialien auseinandersetzt. Anders als beim traditionellen, streng reglementierten Stricken als Handwerk geht Hartmann intuitiv und spontan vor. Auf das Stricken eines rechteckigen Stücks folgt eine malerische Reaktion auf dessen Oberfläche. Leichte Unregelmäßigkeiten in der Textur werden mit Textildruckpaste akzentuiert. Danach wird das Garn aufgetrennt, auf eine Kone gespult und neu verstrickt. Trotz identischer Maschineneinstellungen lösen sich die gemalten Stellen in abstrakte Formen auf, da sich die Positionierung der gemalten Bereiche des Garns und die Spannung in der Maschine geringfügig verändern. Es folgt wiederum eine malerische Reaktion, wobei dieser Prozess in manchen Arbeiten mehrmals durchlaufen wird.
Mara Printz zeigt in ihrer Arbeit Do not split, das die Fotografie in ihre Grenzbereiche führt, Objekte aus fotografischen Materialien und Geräten, die sich bewusst einem eindeutigen Narrativ verweigern. Sie spielen mit dem Geheimnisvollen, Verdeckten, das es zu entschlüsseln gilt. „Ich stelle mir einen Ermittlungsort vor. Indizien werden aufgereiht, verpackt, konserviert. Beobachtung von Beobachtungen. Vielleicht geht es um Spuren, vielleicht um ein Verbrechen. Vielleicht geht es auch um Geister, vielleicht sogar um die Jagd nach Geistern. Vielleicht geht es auch einfach nur ums Flüstern.“ (MP)
Farhang Rafiee erzählt in dem Fotografie-Installations-Projekt Ghorbats von einem historischen Viertel in seiner Heimatstadt Sabzevar im Iran. Dessen Bewohner*innen, historisch „Ghorbats“, sollen Verbindungen zu den Roma und Sinti haben – Menschen, die vor langer Zeit aus Indien migrierten und sich u.a. auch in dieser Stadt niederließen. Diese Gemeinschaft hat jahrhundertelang systematische rassistische Diskriminierung und soziale Marginalisierung erfahren. Ihr Viertel, bekannt für sein ausgeprägtes kulturelles Erbe und seine historische Identität, steht aufgrund mangelnder staatlicher Unterstützung kurz vor der Zerstörung. Das Projekt basiert auf Erzählungen von Gemeindemitgliedern und Fotografien, die ihre Erfahrungen dokumentieren. Diese spiegeln nicht nur eine spezifische lokale Erfahrung von Rassimus wider, sondern auch universelle Muster von Diskriminierung und Widerstandsfähigkeit.
In dem Projekt Âncora kombiniert Ana Sofia Rocha de Matos ein statisches dreidimensionales mit einem bewegten Bild: eine durchbrochene Keramikskulptur vor einem Monitor, auf dem ein Video läuft. Die Skulptur versteht sich als „abgeflachter Ausdruck“ des fiktionalisierten, aber der Künstlerin vertrauten portugiesischen Küstenorts, der Kleinstadt Vila Praia de Âncora. „Auf der Suche nach der Archäologie der ländlichen Moderne und des Selbst“ besucht sie diesen Ort „seit ihrer Geburt“ und schöpft daraus ihre künstlerische Inspiration. Die Skulptur bezieht sich auf drei Räume, die das Fundament des Projekts bilden: The Calvary, The Infirmary und The Desert/Flood. Fenster gewähren Einblicke in dieses Universum; jedes hat eine Bedeutung und jedem Raum sind Symbole zugeordnet. Das Video, „vielleicht ein Versuch der geografischen Besitznahme“, versteht sich als Archiv ihrer frühen Besuche im Jahr 2023.
Gabriel Rózsa vereint in der Installation Der Schein trügt die Auseinandersetzung mit dem Zufluchtsort „Haus“ mit der Authentizität von Fotografie. Vor einem kleinen Haus aus Sperrholz steht eine Kerze. Das warme, beleuchtete Haus steht sinnbildlich für einen sicheren, wohligen Rückzugsort. Aber das Haus-Objekt fungiert gleichzeitig auch als Lochkamera: Das Licht der Kerze wird durch eine kleine Öffnung ins Innere des Hauses projiziert und bildet sich selbst, seitenverkehrt und auf dem Kopf stehend, auf dessen Rückwand ab. Die Flamme erleuchtet den Raum, macht aber gleichzeitig die trügerische Natur des Feuers sichtbar. Der Wahrheitsanspruch der Fotografie und des fotografierten Subjekts zeichnen sich an der Stelle des Abbildes der Flamme als Brandloch ab.
Lorenz Wankers Diptychon JOSEF aus lasergebranntem Denim auf Holz untersucht das Spannungsverhältnis zwischen Innovation und Tradition. Aufgewachsen in Wien und Kärnten auf dem Bauernhof seiner Großeltern, stellt der Künstler seine ländliche Herkunft der urbanen Moderne gegenüber. Mit dem Kreuzstich, einem traditionellen Stickereimuster mit bäuerlichen und religiösen Motiven, das er mit einer digitalen Produktionstechnik, der Lasergravur, auf Jeansmaterial übertragen hat, lässt er diese beiden Welten aufeinanderprallen. Die Blue Jeans hat eine lange Geschichte, sie ist ein ebenso altes und traditionelles Material wie auch Konsumprodukt und Freizeitkleidung für breitere Bevölkerungsschichten. Sie wurde zum Symbol der Rebellion gegen Tradition, Autorität und Unterdrückung der Frau – alles, wofür der Kreuzstich einst stand.