Wir brauchen gemeinwohlorientierte Algorithmen

Schifteh Hashemi und Wolfie Christl

Wir brauchen gemeinwohlorientierte Algorithmen

Das war der WUK Bildungs- und Beratungstag 2019

Dass Digitale Systeme, die sich Zielen wie Wachstum, Profit oder Effizienz unterordnen, nicht geeignet sind, die Welt gerechter zu machen, war eine der naheliegenden Erkenntnisse beim WUK Bildungs- und Beratungstag "Maschine : Mensch – Wer entscheidet in Zukunft über unsere Jobs?" Andere wurden leidenschaftlich diskutiert.

Beitrag von Susanne Senekowitsch, WUK Bildung und Beratung

Einem hochaktuellen und brisanten Thema widmete sich der diesjährige WUK Bildungs- und Beratungstag am 2. Oktober 2019. Kurz davor, im September 2019, beschloss der Verwaltungsrat des AMS die Einführung des zumeist als AMS-Algorithmus bezeichneten Arbeitsmarktchancen-Assistenzsystems ab 2020. In Zukunft werden Algorithmen die Förderwürdigkeit von Arbeitslosen einstufen, eine Entscheidung, die auch bei der Fachtagung im WUK für viel Diskussion sorgte. Nicht nur vor Ort im Saal, sondern auch digital über die Online-Plattform sli.do diskutierten die mehr als 250 Besucher_innen intensiv mit den eingeladenen Expert_innen  Wolfie Christl, Schifteh Hashemi, Johanna Hummelbrunner, Judit Marte-Huainigg, Rene Pfister und Moderatorin Lisa Mayr über Algorithmen, Digitalisierung und Arbeitsmarkt.

Digitale Chancen oder automatisierte Ungleichheit

Wolfie Christl

In seiner Keynote wies Netzaktivist und Publizist Wolfie Christl darauf hin, in wie vielen Anwendungen Digitalisierung und Algorithmen heutzutage schon eingesetzt werden. Ob zur Beurteilung der Effizienz und Leistung der Mitarbeiter_innen, zur Auswahl von Bewerber_innen, zur Bewertung der Kreditwürdigkeit oder zum Arbeitslosenprofiling: Nur selten werden Algorithmen, eine Stimm- oder Gesichtsanalyse, die Smartphonenutzung oder die gesammelten Userdaten zum Gemeinwohl eingesetzt. Zusätzlich seien diese Anwendungen unseriös, unzuverlässig und unverantwortlich. Meist gehe es dabei um die Produktivität- und Effizienzsteigerung von Konzernen und es werde eine gezielte Diskriminierung zu Profitzwecken betrieben. Wie die Autorin und Mathematikerin Cathy O’Neil es formulierte, sind Algorithmen in Programmcode verpackte Meinungen. Die Privilegierten, meinte sie, werden öfters von Menschen behandelt werden und die Massen von Maschinen. Auch das Arbeitsmarktchancen-Assistenzsystem des AMS bilde nicht nur die Realität ab, sondern es sei die Basis von Entscheidungen und diskriminiere dabei systematisch gegen ohnehin schon benachteiligten Gruppen. Die Einstufung in die Kategorien könne zwar von Berater_innen verändert werden. Wolfie Christl betonte jedoch, dass viele Studien nachweisen, dass vom Computer getroffene Entscheidungen von Menschen nur selten angezweifelt werden.

Soziale Unternehmen als selbstbewusste Akteuerinnen der digitalen Transformation

Schifteh Hashemi von arbeit plus, dem österreichweiten Netzwerk Sozialer Unternehmen, betonte in ihrem Vortrag, dass Digitalisierung zu einer Polarisierung am Arbeitsmarkt führe. Dadurch werden bestehende wirtschaftliche und soziale Ungleichheiten noch verstärkt. Weiters verändern sich die Tätigkeitsprofile und Kompetenzanforderungen am Arbeitsmarkt. Da es um die soziale Teilhabe von Menschen gehe, müssen digitale Prozesse von sozialen Innovationen begleitet werden. Damit haben sich zwölf Soziale Unternehmen von März bis Juni 2019 in der Workshopreihe #diginclusion beschäftigt. Es ging um die Entwicklung von Prozessen, Angeboten und Dienstleistungen, die einen Beitrag zur digitalen Inklusion für Kund_innen leisten und sich dabei an den Bedürfnissen der Nutzer_innen orientieren. Vier Teams entwickelten schließlich Prototypen, zumeist analoge Tools, die Unterstützung in der digitalen Welt bieten. Schifteh Hashemi meinte, dass sich Soziale Unternehmen und die Sozialwirtschaft aktiv und selbstbewusst in die digitale Transformation einbringen müssen.

Kann der AMS-Algorithmus Arbeitsmarktchancen gerechter verteilen?

In der Publikumsdiskussion wurde eine Vielzahl von Fragen diskutiert, von denen viele über die digitale Plattform sli.do gestellt wurden. Natürlich stand aufgrund der Aktualität des Themas der AMS-Algorithmus im Mittelpunkt des Interesses. Judit Marte-Huainigg, vom Arbeitsmarktservice Österreich plädierte in diesem Zusammenhang für eine Differenzierung. Sie meinte, dass die Methode in der veröffentlichten Beschreibung sehr vereinfacht dargestellt wurde. Das AMS arbeite ausschließlich mit gesetzlich definierten Daten und versuche in jeder Hinsicht sehr transparent vorzugehen. Johanna Hummelbrunner, selbst auch Mitglied in einem AMS Regionalbeirat, meinte, man könnte so einen Algorithmus ja auch dazu verwenden, um doppelt und dreifach so viele Mittel für jene herzugeben, die ein bisschen schwächere Chancen haben und das sehe sie hier nicht.

Judit Marte-Huainigg erwiderte, es gehe darum, mit welchen Maßnahmen man was erreichen kann. Es wurde ein neues Maßnahmensystem entwickelt und getestet und da gab es sehr positive Ergebnisse. Was neu sei, ist, dass jedem Kunden, der niedrige Arbeitsmarktchancen hat, so ein Angebot gemacht werden muss. Sie betonte auch, dass zielgruppenspezifische Maßnahmen wie z.B. für Menschen mit Behinderungen ausgenommen seien. Herbert Pichler, Mitarbeiter vom Gewerkschaftsbund und Präsident des österreichischen Behindertenrates, stellte dies aus dem Publikum in Abrede. Es würde nämlich momentan beim Arbeitsmarktservice nur eine kleine Gruppe, nämlich nur jene mit Feststellungsbescheid, nicht in dieses Segment C fallen. Alle anderen fallen automatisch rein, egal welche Behinderungsform jemand habe. Das sei dann der beste Weg in die Sozialhilfe. Er betonte, man könne seinen Kund_innen nur empfehlen, eine Behinderung auf keinen Fall anzugeben.

Das Thema des diesjährigen WUK Bildungs- und Beratungstags wird wohl noch weiter diskutiert werden müssen. Zum Schluss ein Kommentar von Wolfie Christl, der am Ende seines Vortrags seine eigene Eingangsfrage „Digitale Chancen oder automatisierte Ungleichheit?“ folgendermaßen beantwortete:

Anstatt gesellschaftliche Ungleichheit und Diskriminierung politisch anzugehen, verschwinden sie mit Algorithmen hinter Maschinen und scheinbar so objektiver wie unangreifbarer Mathematik. Digitale Chancen für alle? Mit technischen Systemen, die einseitig von kurzsichtigen Zielen wie Wachstum, Profit oder Effizienz geprägt sind, wird das nichts. Wenn, dann brauchen wir gemeinwohlorientierte Algorithmen, die Autonomie, Gerechtigkeit und Mitbestimmung ermöglichen.“

Maschine : Mensch - Wer entscheidet in Zukunft über unsere Jobs?
WUK BILDUNGS- UND BERATUNGSTAG 2. Oktober 2019:

Wolfie Christl, Cracked Labs: Digitale Chancen oder automatisierte Ungleichheit?

Schifteh Hashemi, arbeit plus: Soziale Unternehmen als Zukunftslabore digitaler Inklusion

Wer entscheidet in Zukunft über unsere Jobs?
Publikumsdiskussion mit den Vortragenden und Judit Marte-Huainigg, Arbeitsmarktservice Österreich; Johanna Hummelbrunner, Robert Bosch AG; René Pfister, Austrian Airlines AG; Moderation: Lisa Mayr, Der Standard

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