Wachsen dürfen

Waves Vienna (c) Jana Sabo
Waves Vienna (c) Jana Sabo

Wachsen dürfen

Wie Nachwuchsförderung ohne Exzellenz-Zwang funktioniert

Wie Nachwuchsförderung ohne Exzellenzzwang funktioniert

Die jeweils aktuelle Riege an lokalen und internationalen Superstars verändert sich kontinuierlich. Ständig wird immer neuer Nachwuchs mit genialen künstlerischen Talenten gesucht. Der Erfolgsdruck, den diese Suche ausübt, kann junge Artists stark hemmen. Wie unterstützt man Nachwuchs sinnvoll? Und wie schafft man neue Ideale, anstelle des mühelosen Durchbruchs eines talentierten Genies? Theresa Ziegler sucht nach Antworten.

Die meisten von uns haben wohl schon mal behauptet, jemanden entdeckt zu haben. Die Band, die einem der Algorithmus in die Kopfhörer speist. Oder die Musikerin, bei deren Festival-Konzert wir eigentlich nur wegen der strategischen Position der Bar zugegen waren. Natürlich konsumiert nicht jede_r Kunst auf diese spezifische Art. Aber den einen oder anderen Kurator_innen-Moment hatten sicher schon alle, die diese Zeilen hier lesen. 

Wir mögen das Gefühl, jemanden zu entdecken, weil wir denken, dass es so funktioniert. Du spielst als Bassist namens Hans Hölzel mit deiner Band den einen Song, den du selbst geschrieben hast, ein Produzent hört dich, will dich unter Vertrag nehmen und die zweite Single wird ein historischer Über-Hit bis rüber in die USA. So erzählt man es sich und so passiert es quasi nie. Geschichten über die Entdeckung und den darauffolgenden Durchbruch von Künstler_innen – egal, ob im Bereich Musik, Theater oder Bildende Kunst –  lassen dabei so gut wie immer aus, wie viel Arbeit hinter einer nachhaltigen künstlerischen Karriere steckt. Wie viele Stücke und Projekte gar niemand gut oder schlecht findet, bevor eines davon ein bisschen Aufmerksamkeit generiert. Es entsteht ein "Warum nicht ich?"-Gedanke, der in der Szene Missgunst und Leistungsdruck erzeugt, wo Inspiration und Kreativität leiten sollten.

"Ich denke, es ist allen klar, dass nicht jeden Tag eine neue Patti Smith oder ein Tom Waits vom Himmel fällt. Acts müssen sich entwickeln und auch im 'Mittelstand' lebt es sich ganz okay. Man muss keine Stadthallen füllen, um als Musiker_in leben zu können. Die Möglichkeiten sind sehr vielfältig und wenn man eine Nische für sich erschließt – und diese Nische aber dann nicht nur in einem Land, sondern in einigen anderen auch – dann funktioniert das schon", sagt Thomas Heher, Leiter des Waves Festivals. Als Showcase-Festival behält das Waves den Musiknachwuchs in ganz Europa seit vielen Jahren im Auge und fand 2016 seine Venue of Choice im WUK. Covid-bedingt findet das Waves Festival heuer via Streaming und zugangsbeschränktem Public Viewing im WUK Hof statt. Dabei sind Live-Shows für Musiker_innen immer noch die beste Schule, um einen Vibe-Check mit potentiellem Publikum durchzuführen. Eine Möglichkeit, derer Nachwuchs-Artists nun für längere Zeit beraubt sind. In diesem Pandemie-Jahr stecken alle Künstler_innen im Dilemma zwischen Finanzierbarkeit von Gratis-Content und Relevantbleiben oder -werden. Es gibt aber durchaus auch andere Möglichkeiten, auf sich aufmerksam zu machen. "Das kann klassisches Radio oder TV sein, eine Online-Show, ein Platz in einer großen Playlist oder manchmal reicht auch nur ein Tweet von einem großen Artist mit vielen Followern", betont Thomas Heher.  

Nachwuchs gibt es natürlich nicht nur in der Musik, sondern in jeglicher erdenklichen Kunstform. Von Kultursparte zu Kultursparte unterscheiden sich hier die Zugangsbeschränkungen, die Größe und Form der Steine im Weg von jungen Künstler_innen. Im WUK finden viele verschiedene Kunstformen Platz – und somit auch unterschiedliche Förderansätze. Ein Best-Practice-Beispiel für Nachwuchsförderung in der Performancekunst ist die Initiative Huggy Bears, die sich selbst als "Unterstützungsinstrument" bezeichnet. Hier werden Nachwuchskünstler_innen über den Zeitraum eines Jahres prozessbegleitend bei ihrem Performance-oder Tanz-Projekt an die Hand genommen. Der Zugang zu einem professionellen Umfeld und einem Netzwerk aus Expert_innen ermöglicht hier ein nachhaltiges und ressourcengenerierendes Wachsen. Im Schauspielwerk werden Kinder und Jugendliche in Koproduktion mit der WUK KinderKultur in den ganzheitlichen Theaterprozess eingebunden. In der diesjährigen "Trilogie Macht der Träume" werden drei Stücke gemeinsam erarbeitet, inszeniert und aufgeführt. Dabei bringt man dem Bühnen-Nachwuchs zeitgenössische Regie-, Text-, Bühnen-, Raum- und Kostümkonzepte näher – und öffnet so den Zugang zu künstlerischen Bildungsressourcen schon für die Jüngsten. 

Dabei geht es in der Nachwuchsförderung überall stark um ungleich verteilte Anknüpfungspunkte zu Infrastruktur. Nicht alle Artists starten mit einem nutzbaren Netzwerk und ausreichenden finanziellen und personellen Ressourcen für ihre Arbeiten. Und nicht jedes Land hat das gleiche Niveau an institutionalisierten Strukturen, die es Künstler_innen möglich machen, gehört und gesehen zu werden. Was braucht eine Region, ein Land, damit zum Beispiel junge Musiker_innen dort wachsen können? "Zunächst braucht es eine gesunde Club-Landschaft, mit Auftrittsmöglichkeiten, Konzert-Venues, wo auch jungen Acts eine Bühne geboten wird und nicht nur internationale Acts durchgereicht werden. Dann muss es natürlich auch eine Label-Landschaft, Managements oder Booker_innen geben, die sich Newcomer_innen annehmen, diese führen, entwickeln und mit ihnen arbeiten. Und sie auch als eine Investition für ihre eigenen Labels oder Agenturen sehen", erklärt Heher. Wenn der große Erfolg auf sich warten lässt, liegt es also nicht unbedingt daran, dass die Kunst nicht gut genug ist. Künstlerisch kreativ zu sein und sich auch noch um das Drumherum zu kümmern, kann niemand lange durchhalten. "Es braucht nicht das volle Setup, aber es sollte zumindest eine Person geben, die für dich das Networking auf einem Showcase Festival übernimmt. Als Act sollte man sich 100 Prozent auf seinen Auftritt konzentrieren können, währenddessen diese eine Person Kontakte knüpft und versucht, so viele Professionals – also Label-Leute, Veranstalter, etc. – zur Show zu bekommen", so Heher. Es ist also durchaus möglich, mit einem einzelnen Auftritt, einem geteilten Beitrag, einen großen künstlerischen Karrieresprung hinzulegen. Die Realität sieht allerdings eher so aus, dass Artists und die Personen, die sie unterstützen, viele kleine Sprünge machen, bis sich mal ein großer ausgeht.

Das Waves Festival findet dieses Jahr online via Streaming und als Public-Viewing-Event mit beschränktem Ticket-Verkauf im WUK Hof statt. Alle Infos finden sich unter wavesvienna.com. Huggy Bears wird in Kooperation mit WUK Performing Arts umgesetzt. "Alice im Wunderland" aus der "Trilogie Macht der Träume" feiert als Koproduktion von WUK KinderKultur und dem Schauspielwerk am 1. September im Projektraum Premiere. 

Theresa Ziegler ist Chefredakteurin des Popkulturmagazins The Gap und entdeckt regelmäßig Musiker_innen, denen sie den großen Durchbruch wünscht.

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