The kids are alright
Kindern "große" Musik nahebringen: Der französische Veranstaltungsort La Coopérative de Mai setzt seit mehr als einem Jahrzehnt diese aufregende Idee in die Tat um, sowohl bei eigenen Veranstaltungen als auch über die EuropaKids-Programmschiene des Europavox-Festivals. "Nur weil das Publikum aus Kindern besteht, heißt das nicht, dass wir ihnen fade, dümmliche Shows anbieten müssen! Das ist unser Motto." François Audigier spricht über seine Arbeit mit Leidenschaft und sein Enthusiasmus ist ansteckend. In der Coopérative de Mai (auch "Coopé" genannt), einem bekannten Veranstaltungsort für Musik in Clermont-Ferrand, Frankreich, leitet er das Booking von Veranstaltungen für Kinder und managt das Programm "Pépinière de Mai", das junge lokale Talente unterstützt. Außerdem arbeitet er für das Europavox-Team als künstlerischer Koordinator und Leiter des EuropaKids-Projekts.
Für Kinder konzipiert
Kinder sind ganz besondere Zuhörer_innen, extremer als Erwachsene. Egal ob gelangweilt, aufgeregt oder furchtsam, ihre Reaktionen sind sichtbar, direkt und ungefiltert. Ihre Aufmerksamkeit zu wecken (und sie bis zum Ende zu halten) ist ein zentrales Ziel beim Veranstalten von Konzerten für Kinder. François liebt diese Herausforderung und investiert genauso viel Aufwand und Ernsthaftigkeit in Kinder-Konzerte wie in Konzerte für Erwachsene. "Du willst nicht, dass die Kinder wegdriften", fährt er fort. "Deswegen ist jede Show für eine bestimmte Altersgruppe gestaltet. So dauern unsere Baby-Konzerte nie länger als 25 Minuten, aber für sechsjährige Kinder kann es auch mal eine Stunde sein. Die Shows werden sorgfältig von den Menschen konzipiert, die sie sich ausgedacht haben. Sie wissen ganz genau, wie sie das Programm allmählich bis zum Höhepunkt aufbauen. Unsere EuropaKids-Shows finden im Freien statt, sind kostenlos und in der Regel sonntags gegen 13 Uhr zu sehen. Wegen des Tageslichts zeigen wir während den Konzerten auf Bildschirmen keine Projektionen, anders als bei unseren P’tit Serge Shows in Innenräumen. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist der Geräuschpegel – Konzerte für Kinder dürfen maximal 95 dB laut sein, wohingegen es 105 dB bei Erwachsenen sind. Der Aufbau der Konzerte zielt besonders auf Kinder ab, mit Bodenmatten, kleinen Sesseln, Mitarbeiter_innen, die die Kinder zu Beginn begrüßen und es ihnen so behaglich wie möglich machen."
Metal-Songs in Dino-Kostümen
"Wenn wir in die Vergangenheit blicken", fährt Françoisfort, "so ist die Auswahl an professionellen Künstler_innen, die für Kinder spielen, heutzutage viel größer. Wir haben wirklich ein Übermaß an Wahlmöglichkeiten." In der Anfangszeit des Projekts waren die Shows hauptsächlich in der Tradition des französischen Chansons gestaltet, während heute jedes einzelne Musikgenre extra für Kinder adaptiert wurde, von Hip-Hop zu Rock und sogar experimentellen Klängen. Die persönlichen Highlights von François aus all den Shows für Kinder, die er im letzten Jahrzehnt organisiert hat: Rick le Cube, The Wackids, The Wolf under the Moon (eine Show der Black Bones) und zu guter Letzt eine Metal-Show, in der die Musiker den Kindern beibrachten, wie sie "headbangen". Die meisten dieser Projekte sind aus Frankreich – François hofft, dass bald mehr europäische Länder ihre eigenen Angebote entwickeln und so die Bandbreite von Live-Musik für Kinder erweitern. Er träumt unter anderem davon, ein Konzert mit Hevisaurus zu organisieren, einer sehr erfolgreichen finnischen Band, die Metal-Songs in Dinosaurier-Kostümen auf die Bühne bringt.
Kreative Lösungen
Damit die Konzerte für ein junges Publikum attraktiv sind, haben Gesten eine Bedeutung, genauso wie Sprache, auch wenn François’ Erfahrung nach auch Shows in fremden Sprachen bei den Kindern sehr gut ankommen können: "Wenn Künstler_innen ein ganzes Narrativ im Verlauf ihres Konzerts entwickeln, ist es wirklich wichtig, dass die Kids wissen, worum es geht. Am einfachsten ist es, in der Muttersprache der Kinder zu singen. Es gibt aber auch andere Formen, um verstanden zu werden. Einige Bands finden kreative Lösungen, beispielsweise spielen The Wackids Rocksongs auf Englisch, aber zwischen jedem Song erklären sie sorgfältig, worum es im nächsten geht. Sie können das gut und es gelingt ihnen, dabei eine lockere Atmosphäre zu erzeugen. Andere Künstler_innen entscheiden sich dafür, experimentelle Musik zu spielen, während ein begleitender Kurzfilm auf eine Leinwand projiziert wird – in diesem Fall ist keine verbale Erklärung notwendig, denn diese universellen Shows könnten überall auf dem Planeten stattfinden."
Die meisten Shows, über die François spricht, sind Eigenkreationen. Das Coopé gehört zum SMAC-Netzwerk, das mehr als 80 kulturelle Veranstaltungsorte versammelt, die sich zeitgenössischer Musik verschrieben haben. Sie erhalten Förderungen vom Staat. "Sowohl bei den Coopé-Veranstaltungen als auch bei EuropaKids schaffen wir es, mit unserem Jahresbudget auszukommen. Wir haben nie um zusätzliche Förderungen für diese Kinder-Projekte angesucht. Wir glauben, diese Arbeit ist Teil unseres Auftrags. Die Stadt Clermont-Ferrand hat viele Male ihrem Wunsch Ausdruck verliehen, jungen Menschen dabei zu helfen, einen Zugang zu Kultur zu finden. Ihre Hilfe ist immer willkommen. Es ist sehr schön zu sehen, dass wir nicht die Einzigen sind, die Kinder ernst nehmen."
Musiker_innen und Fans von morgen
Und mit dieser Haltung haben sie völlig Recht: Immerhin werden die jungen Besucher_innen von heute die Konzertgeher_innen, Musiker_innen, Roadies, Sound-Engineers und Techniker_innen von morgen sein. Sie werden die Veranstaltungsorte und Festivals nicht nur im Moshpit, sondern auch auf der Bühne füllen. "Diese Kids sind unser zukünftiges erwachsenes Publikum, wir sollten sie also von Anfang an ernst nehmen", stimmt François zu. "Wir haben das Projekt zwar erst vor zehn Jahren begonnen, es ist also noch zu früh zu sagen, ob wir irgendwelche Leidenschaften für Musik bei Kindern geweckt haben. Vielleicht aber legen wir bei manchen von ihnen den Grundstein für einen Beruf im Musikbereich. Vielleicht wird mir jemand eines Tages sagen, dass das allererste Konzert, das er besucht hat, zu unserem P’tit Serge-Programm gehörte, und dass es die Person ermutigte, ein Instrument zu lernen und selbst Musik zu machen. Das ist völlig realistisch! Es wäre eine solche Ehre."
Aber bis es so weit ist, erleben François und sein Team großartige Reaktionen von den Kindern selbst, aber auch von ihren Eltern und ihren Lehrer_innen, beispielsweise wenn eine ganze Klasse eine Show besucht. "Wir haben die P’tit Serge-Reihe ein Jahr lang vorbereitet. Es dauerte so lange, weil wir alles so gut wie möglich machen wollten. Wir wenden bei Kinder-Konzerten die gleichen Maßstäbe wie für unser erwachsenes Publikum an: Wir geben immer unser Bestes, damit es den Leuten gut geht, dass sie eine gute Zeit und Spaß haben. Von Anfang an war das Feedback erstaunlich. Unsere Baby Concerts beispielsweise sind Einführungen in klassische Musik. Du solltest das mal erleben: Wann immer eine Violine zu spielen beginnt, sind die Babys völlig hypnotisiert! Sie bleiben ganz still und sind vollkommen hingerissen. Ich habe das Dutzende Male gesehen. Einige Eltern, die nie bei klassischen Konzerten gewesen sind, sagen uns, dass wir sie für dieses Genre geöffnet haben. In solchen Augenblicken bist du besonders stolz auf deinen Job!"
Die Neugierde von Erwachsenen wecken, Kindern aufregende Sounds präsentieren, neue Shows finden, die die Vorstellungskraft eines jeden entzünden, ermutigende Kritiken bekommen… Es scheint schwer zu sein, eines solchen Jobs müde zu werden. "Manchmal sind die Shows für Kids einfach Spaßparties, manchmal fühlen wir uns tief bewegt von einem poetischen, feinen Augenblick… Jede Show ist ein neues Abenteuer." Mit ihrem visionären Blick auf Live-Musik für Kinder hat das Team hinter P’tit Serge und EuropaKids ein Programm geschaffen, das als Best Practice auch anderswo dienen kann.
Text: Noémie Lecoq. Noémie Lecoq ist Europavox-Journalistin und lebt in Paris.
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