Queer Base
In den letzten Jahren hat die Queer Base in Wien, ein Zusammenschluss von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Trans-, Inter- und Queer-Personen (LGBTIQ) mit und ohne Fluchterfahrung, strukturell entscheidende Veränderungen für Menschen, die aufgrund ihrer sexuellen Orientierung oder Geschlechtsidentität fliehen mussten, erreicht. Warum das so gut funktioniert hat, ist auch eine Geschichte der alternativen Räume in Wien.
Wann die Geschichte von Queer Base anfängt, ist so genau nicht zu sagen. Geflüchtete Queers suchen seit Jahrzehnten Anschluss, Unterstützung und Netzwerke in der Wiener LGBTIQ-Community. 2011 jedenfalls fand ein erstes Netzwerktreffen verschiedener Organisationen zum Thema Flucht statt. Schnell wurde klar, dass aufgrund eines sich verschärfenden Drucks von Rechts eine Professionalisierung in diesem Bereich immer wichtiger wurde. Asylverfahren und der Unterbringungsbereich waren mit fortlaufenden Restriktionen konfrontiert.
Jedes Asylverfahren beginnt mit einem Antrag bei der Polizei. Für viele ist es eine große Hürde, vor einem Menschen in Uniform über die eigene Sexualität oder Geschlechtsidentität zu sprechen. Eine weitere Schwierigkeit sind oft schlecht ausgebildete Dolmetscher_innen, meist aus den Herkunftsländern der Geflohenen. Eine weitere Hürde, die nicht immer überwindbar scheint.
Im nächsten Schritt erfolgt die Zuweisung in ein Quartier, sehr oft in eines am Land, ohne Zugang zu Community oder Organisationen wie der Queer Base. Gerade aber Art und Ort der Unterbringung haben insbesondere für LGBTIQ-Refugees eine große Bedeutung. Bei der Zuweisung in ein Quartier entscheidet sich womöglich schon ein Großteil der Verfahren.
Viele queere Refugees haben Angst, dass Mitbewohner_innen in den Quartieren ihren eigentlichen Asylgrund erfahren. Sie finden sich oft in Situationen wieder, die sie aus ihren Herkunftsländern kennen. Angst davor entdeckt zu werden, bestimmt den Alltag. Manche erfahren aufgrund ihres nicht den Normen entsprechenden Aussehens oder Verhaltens Ausschluss, auch Übergriffe und Gewalt kommen immer wieder vor. Niemand sollte in so einer Situation möglicherweise drei Jahre ausharren müssen. Einige LGBTIQ-Geflüchtete kamen und kommen deswegen auf eigene Faust nach Wien. Lange Zeit bedeutete das, aus allen Versorgungskontexten rauszufallen. Keine Grundversorgung heißt keine Krankenversicherung, kein Essen, keine Unterkunft. Wer die zugewiesene Unterkunft verlässt, verliert all das.
Der Wohnverein der Türkis Rosa Lila Villa mietete deshalb einige Jahre Privatwohnungen an und finanzierte sie mit Spendengeldern, um geflüchteten LGBTIQs das Grundrecht auf Wohnen in Sicherheit zu ermöglichen. Diese Solidarität steht im Kontext queerer Geschichte: Die Villa existiert seit 1982 als alternativer Wohn- und Communityraum, der eben jene Selbstbestimmtheit in der eigenen Sexualität und Geschlechtsidentität ernst nimmt. Dabei spielt auch sicherer Wohnraum eine große Rolle. Und so wurde auch die Villa zum Knotenpunkt für die Gründung der Queer Base, die bis heute LGBTIQ-Geflüchtete in allen Asyl-Fragen hilft und berät.
Die angemieteten Wohnungen allerdings waren schnell voll und die Notlösung, Übernachtungen in der Bibliothek der Villa, nicht gerade eine angenehme Wohnsituation für Menschen auf der Flucht. Strukturelle Veränderungen mussten her, die jedoch nicht ohne weiteres durchzusetzen waren. Erst nach der Ermordung von Hande Öncü, ehemalige Bewohnerin einer der Wohnungen, Transfrau und Sexarbeiterin aus der Türkei, wurde auch der Wiener Stadtregierung die Brisanz des Themas bewusst. Sie beschloss trotz übervoller Quoten LGBTIQ-Refugees aus den Bundesländern in die Grundversorgung in Wien aufzunehmen, zuerst noch mit Fokus auf private Unterkünfte, dann bald in Kooperation mit den Organisationen Diakonie Lares und Tralalobe, die bis heute ca. 85 Plätze in spezifischen LGBTIQ-Wohngemeinschaften zur Verfügung stellen.
Diese alternativen Lebensräume während des Asylverfahrens lassen auch der eigenen sexuellen Orientierung und Geschlechtsidentität Raum. Sich selbst nicht mehr verstecken zu müssen, oder auch den schwulen Partyflyer oder die Apps am Handy, das war und ist eines der Ziele.
Darüber hinaus ist die Bedeutung des Zugangs zu Community, zu Gleichgesinnten, zu Menschen mit ähnlichen Unterdrückungserfahrungen nicht zu unterschätzen. Das Wissen, in Wien nicht die_der Einzige aus einer fernen Stadt zu sein, die_der in Wien unter dem Regenbogen eine neue Zukunft sucht. Neben der Queer Base gibt es mittlerweile auch Afro Rainbow Austria (ARA), eine Organisation von und für LGBTIQ aus afrikanischen Ländern, die ihre „Base“ auch in einem Freiraum, dem Planet 10, in Wien Favoriten gefunden hat.
Freiräume, wie die Queer Base in der Villa, sind eine wichtige Unterstützung für Queers im Asylverfahren. Sie bieten die Möglichkeit der Selbstbestärkung, der Vernetzung und der guten Beratung in einem besonders rigiden Feld. Deswegen stellt sich die Queer Base heute nicht nur der Frage der sicheren Unterbringung, sondern organisiert Rechtsberatungen, Übersetzer_innen, die selbst (geflüchtete) LGBTIQ sind, Sozial- und Coming Out-Beratungen, vernetzt mit der Community, unterstützt in medizinischen, psychologischen Belangen und vermittelt an kompetente Stellen weiter. Außerdem bietet sie Schulungen und Fortbildungen für Organisationen an, die im Asylbereich tätig sind. Aktuell hilft die Queer Base auch bei der Wohnungssuche für anerkannte Asylsuchende und organisiert Aktivitäten im Bereich psychischer Gesundheit (Self- und Community-Care).
Alternative Räume leben von ihrer Offenheit für Weiterentwicklung, ihrem kritischen Reagieren auf die Welt, die sie umgibt und sie sind immer ein Brutplatz für eine andere Welt, die möglich ist. Deshalb müssen wir sie verteidigen.
Text: Marty Huber, queer-feministische Aktivistin, Mitbegründer_in und Mitarbeiter_in von Queer Base, Lehrende am Institut für künstlerisches Lehramt der Akademie der Bildenden KünsteWien. Autor_in von „Queering Gay Pride. Zwischen Assimilation und Widerstand“
Benefizlesung für Queer Base
Angels in America
Fr 10.5., 19.30 Uhr, Projektraum