Neue Werkstätten für Anerkennung

Neue Werkstätten für Anerkennung

WUK Get Up – Stand Up

Viele Jugendliche leiden unter den Folgen der Corona-Isolationen. Viele träumen vom erlösenden Erfolg auf YouTube oder mit Bitcoin-Spekulationen. Die Arbeitsmarktpolitik erprobt indes neue Wege – und kümmert sich dabei erstaunlich wenig um die aktuelle politische Reformdebatte.

Es ist zum Gemeinplatz geworden, dass Jugendliche besonders stark unter den separierenden Folgen der Corona-Pandemie leiden. Die psychologische Erklärung ist so trivial wie treffend: Junge Menschen brauchen junge Menschen, zum Austauschen bis Anbandeln. Ältere halten es, selbst als Griesgrame, besser länger alleine aus. Oft sind sie ja auch zu zweit oder für ihre Familien verantwortlich.

Dazu kommt: In jungen, immer wieder von den Kommilitonen isolierten, Seelen können die Schlingpflanzen der allgegenwärtigen digitalen Medien besonders böse wuchern. „Heute sind die Zeiten nicht günstig für die Entstehung von Individualität. Die Vernetzung aller mit allen ist die große Stunde des Konformismus.“ (Rüdiger Safranski in seiner Goethe-Biografie 2013).

Wer die konformen Ideale der Selbstverwirklichung nicht erreicht (was die Regel und nicht die Ausnahme ist), oder einfach mangels individueller Merkmale einer konformen Idee von Attraktivität nicht die ersehnte Aufmerksamkeit bekommt, steht vor dem Abgrund tiefer Frustrationen. Insbesondere junge, im Leben noch wenig fest verwurzelte Menschen vergleichen sich und vergleichen sich, oft, bis die Seele tief gekränkt ist.

Träume vom neuen Anti-Arbeitsmarkt im Internet

Wie da wieder herauskommen? Wie einfach abheben und wegfliegen, so dass alle Freunde und Follower es bemerken und man sich selber wieder schätzen kann?

Schulabschluss, Lehre, Studium, Arbeit! Das klingt alles recht schön und gut, allein es verheißt vor allem Beschwerlichkeit und Langatmigkeit. So viel Zeit haben meine brennenden Nöte nicht.

Sofort Ansehen gewinnen, schnell zu viel Geld kommen, das könnte mich schon beflügeln, erheben, befreien.

Immer mehr junge – aber auch ältere - Ikarusse träumen von Höhenflügen des Erfolgs am Anti-Arbeitsmarkt: Bitcoin-Spekulation, eBay-Trading, You Tube-Influencing samt bombigem Werbevertrag, rasch einen Hit am Computer „komponieren“, etc..

Nein, Euer langweiliger Arbeitsmarkt lockt mich nicht. € 2.500 Bruttogehalt mit 30 Jahren? Nein, das reicht mir nicht als Lebensetappenziel. Bald werde ich es geschafft haben.

Viele „schaffen“ es tatsächlich. Weltweit. Und dennoch bleibt die Anzahl solcher Star-Biografien im Promillionsbereich. Aber wer, in Nöten, ließe sich davon schon abschrecken?

Handarbeit fördert die Entstehung von Individualität

Im AMS Gänserndorf haben sich die Verantwortlichen mit Sozialarbeiter_innen und Exert_innen des WUK zusammengesetzt und überlegt, wie man jungen Leuten aus der „Generation Corona“ helfen könnte, in die analoge Welt und zu sich selbst zurückzufinden.

Eine Erfahrung aus der Jugendarbeit schien überzeugend und wert, aufgegriffen zu werden: Während die digitale Kommunikation, wie beschrieben, zum seelenkränkenden Konformismus drängt, fördert die Handarbeit die Entstehung von Individualität. Es mag am Ende ein – psychologisches oder philosophisches - Geheimnis bleiben, warum das so ist. Bei vielen Menschen scheint das, oft längst entwöhnte, Zusammenwirken von Kopf und Hand in der Handarbeit die innere Verbindung von Körper und Geist neu zu bestätigen und neue Kräfte für die Entwicklung der eigenen Individualität freizumachen.

Im Gänserndorfer Projekt kümmern sich die jungen Teilnehmer_innen, wenn die tägliche Arbeit in den Werkstätten getan ist, auch noch um insgesamt sieben Ziegen und Schafe: Der Umgang mit diesen fühlenden Wesen, die ihre Bedürfnisse eigensinnig, aber nicht-sprachlich äußern, fördert obendrauf die Wiedererweckung der sozialen Kompetenzen.

Neue Wege in der Arbeitsmarktpolitik: Leiser Abschied vom „Fördern und Fordern“

Die derzeit politisch debattierte Arbeitsmarktreform setzt ganz auf das konventionelle Prinzip des „Förderns und Forderns“.

Projekte wie das beschriebene lassen jedoch eine leise Gewichtsverlagerung in den Grundprinzipien erahnen, wie etwa auch der Diskurs über eine staatliche Jobgarantiefür Langzeitarbeitslose oder mehr Autonomie für Arbeitslose bei der Wahl der vom AMS geförderten Qualifizierungen.

Der neue Geist der Arbeitsmarktpolitik, wenn man sein Wehen denn schon zu spüren vermag, stellt die Anerkennung in den Vordergrund. In neuen Werkstätten für Anerkennung ist das institutionelle „Fordern“ nicht mehr so wesentlich, auch wenn es noch eine Zeitlang rechtlich in Kraft bleiben wird.

Sogar etwas Epochales spielt mit: Das Element des „Forderns“ greift immer weniger, weil die bereits in den 1970er Jahren eingeleitete Abkehr von den Pflicht- und Akzeptanzwerten in der Gesellschaft – hin zu den Werten der Selbstentfaltung - kulturell allgemein geworden ist. Die neuen arbeitsmarktpolitischen Ansätze rechnen damit.

Das ist pragmatisch richtig. Utopisch richtig könnte es sein, sich eine künftige Arbeitsgesellschaft auszudenken, die mit ganz wenig institutionellem „Fordern“ auskommt und eventuell gar mit einem bedingungslosen Grundeinkommen die kreativen und innovativen Kräfte in allen Bevölkerungsschichten beflügelt.

Zum Autor

Georg Grund-Groiss ist Leiter des AMS Gänserndorf, gelernter Philosoph und Buchautor. In seinem aktuellen, gemeinsam mit dem Journalisten Philipp Hacker-Walton verfassten Buch „Das halbe Grundeinkommen“ (Braumüller 2021) legt er dar, wie ein bedingungsloses Grundeinkommen von € 500 pro Monat als soziale und kulturelle Brückentechnologie zu einer gerechteren Arbeitsgesellschaft beitragen könnte.

WUK Get Up – Stand Up

Seit Dezember 2021 können Jugendliche im vom AMS Niederösterreich finanzierten Pilotprojekt WUK Get Up – Stand Up durch praxisnahe Mitarbeit in den Werkstätten der Sozialen Landwirtschaft Gänserndorf ihre persönlichen und beruflichen Perspektiven entwickeln und ihre individuellen Fähigkeiten stärken.

WUK Get Up – Stand Up präsentiert sich am 22.4.2022 im Rahmen des traditionellen Frühlingserwachens von WUK bio.pflanzen.

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