"Wir sind extrem motiviert"
Sophie Lindinger hat sich als Mastermind der österreichischen Supergroup My Ugly Clementine den lang gehegten Wunsch erfüllt, mit von ihr hochgeschätzten Musiker_innen zusammen zu arbeiten. Das erste Konzert in Wien war 2019 binnen Stunden ausverkauft, noch bevor die erste Single überhaupt zu hören war. Im Jahr darauf erschien der erste Longplayer der Band, der prompt vom Dachverband der europäischen Independent-Labels als bestes Indie-Album Europas ausgezeichnet wurde. Nun kann auch das Konzert zum Album endlich stattfinden. Aus diesem freudigen Anlass treffen wir Sophie Lindinger zum Interview.
Was erwartet uns bei den beiden Shows von My Ugly Clementine am 22. und 23. Juni im WUK?
Sophie Lindinger: Es erwartet uns vor allem sehr viel aufgestaute Energie, die an diesen Abenden freigesetzt wird, weil unser Wien-Konzert seit über zwei Jahren verschoben worden ist und wir jetzt endlich, endlich spielen können. Nicht nur das Publikum, sondern auch wir sind extrem motiviert. Es haben sich auch schon ein, zwei neue Songs dazu geschlichen, die wir damals noch nicht gehabt hätten. Wir hatten das Pech, dass wir unser Album in der ersten Woche des ersten Lockdowns veröffentlicht haben und damit drei Wochen später auf Tour gegangen wären. Das ist so natürlich nicht passiert.
In der Zwischenzeit habt ihr mit dem Album "Vitamin C" den Award für das beste Indie-Album Europas bekommen. Ihr hattet wahnsinnig viel Momentum. Das hätte ja im Normalfall ganz viele Festivalbookings nach sich gezogen. Was hat es euch dann tatsächlich gebracht?
Dadurch, dass alles ausgefallen ist, war die Festival- und auch die Konzertsaison einfach auf Pause. Sehr viele Festivals haben die Line-Ups einfach übernommen und es sind auch wieder einige dazugekommen. Wir hatten auch extremes Glück, dass wir mit der Musik trotzdem sehr viel Reichweite hatten, obwohl wir nicht live auftreten konnten. Eh klar, da ist wahrscheinlich schon ein bisschen was verloren gegangen, aber für das, was es dann war und womit wir arbeiten mussten, ist trotzdem extrem viel passiert.
Mein letztes Konzert vor dem Lockdown war eure Spotify Session. Ihr habt eine Coverversion von Natasha Bedingfields "Unwritten" gespielt und alle Anwesenden haben euphorisch mitgesungen. Gibt es noch andere Songs, die du gern covern würdest?
Wir haben damals lang überlegt. Ich kann mich erinnern, dass wir in der Sonne am Yppenplatz gesessen sind und uns Songs vorgeschlagen haben, die wir cool finden. Bei "Unwritten" waren alle begeistert. Aber Mira und ich singen zum Beispiel auch immer gern gemeinsam "Nur ein Wort" von Wir sind Helden. Das und "Wenn es passiert" sind meine zwei Lieblingssongs von Wir sind Helden, und die werde ich auf jeden Fall irgendwann in meinem Leben noch covern. Wir sind Helden sind extrem progressiv. Obwohl die Texte schon 15 Jahren alt sind, sind sie immer noch extrem gut und einfühlsam und nicht so kitschig.
Judith Holofernes war ja auch schon einmal zu Gast in eurem Podcast "Peptalk". Was ist eigentlich die Idee dahinter?
So oft, wenn wir Interviews geführt haben – vor allem am Anfang – haben wir die immer gleichen Fragen beantwortet. Warum heißt ihr My Ugly Clementine? Wie ist diese Band zustande gekommen? Und so weiter. Dabei wäre es so cool gewesen, mal ein paar andere Fragen zu hören. Einfach, weil wir noch so viel zu erzählen hätten zum Songwriting, zur Produktion, zur Idee des Sounds, zu Dingen, die vielleicht spezifischer sind. Ich würde das total gern von anderen Künstler_innen wissen. Und das war die Idee des Podcasts: Einfach mal Leute einladen und mit ihnen tiefer graben. Dabei kommen Dinge raus, die ich so noch nie gehört habe.
In der Musikszene ging es die letzten Jahre sehr elektronisch zu. My Ugly Clementine war eine der ersten Bands, die wieder die Gitarren in den Vordergrund gerückt haben. Wie kam es, dass du ganz vorne am Zeitgeist dran warst?
Das war wahrscheinlich Zufall. Bewegt hat mich dazu meine Teenagerzeit. Ich bin aufgewachsen mit Popsongs, die bandlastig waren, rockig, aber trotzdem mit Melodien zum laut Mitsingen. Das habe ich schon immer geliebt. Und ich wusste, irgendwann mach ich mal eine Band, wo ich nur das mache. Und das war dann My Ugly Clementine. Anscheinend war das genau am Anfang dieser Welle. Wahrscheinlich haben einfach viele Leute gerade wieder Lust darauf.
Wie entscheidest du eigentlich, welche Songs zu welchem deiner Projekte gehören?
Das ist lustigerweise ganz einfach: Es entscheidet sich von selbst. Ich schreibe einen Song und spüre das. Es kommt auch darauf an, in welcher Phase ich gerade bin. Als ich mein Soloalbum geschrieben habe, hatte ich gerade viel zu sagen, das nicht zu den Themen der Bands passt. Ich habe auch gemerkt, dass ich dadurch ganz anders schreibe. Wenn ich mit Leyya schreibe, bin ich sowieso immer mit Marco gemeinsam im Prozess. Und bei My Ugly Clementine spüre ich das. Jetzt schreiben wir gerade für das zweite Album.
Eine gesellschaftliche Baustelle, die sich durch die Pandemie verstärkt hat und über die du auch schon öfter gesprochen hast, ist Mental Health. Warum ist dir dieses Thema wichtig?
Man wird meistens laut, wenn einen etwas selbst betrifft. Ich habe kurz vor der Pandemie – das ist sehr blöd zusammengefallen – Probleme mit Depressionen gehabt. Die Pandemie hat es natürlich nicht besser gemacht. Ich habe so viel Druck von außen verspürt, aufgrund der Pandemie noch viel mehr zu schaffen, weil wir nicht live spielen konnten. Ich war irgendwann an einem Punkt, wo ich zu allen Menschen, mit denen ich arbeite, Stopp sagen musste: Ich kann nicht aus dem Bett. Ich kann nicht mal duschen gehen. Wie zur Hölle soll ich jetzt das machen und dort hingehen? Als ich das ausgesprochen hatte, haben natürlich eh alle verständnisvoll reagiert. Und ich habe ich mich gefragt, warum ich mir eigentlich so viele Sorgen gemacht habe, es anzusprechen. Das hat mir gezeigt, wie wichtig es ist, das Thema zu enttabuisieren. Immer, wenn ich es jemandem erzählt habe, war die Reaktion: "Fuck ja, ich habe das auch gehabt und nie wem erzählt und ich nehm Medikamente und mache das und das." Warum zur Hölle weiß ich das nicht und warum wissen das andere nicht und warum reden wir nicht drüber, wenn so viele Leute betroffen sind? Deswegen ist es mir so wichtig, immer wieder darüber zu sprechen. Das hat mir so viel geholfen und ich glaube, das hilft auch vielen anderen.
Interview: Astrid Exner