Mein Leben als „Viele“
0,5 Prozent der Bevölkerung leiden unter der Dissoziativen Identitätsstörung, kurz DIS. Das sind in Österreich 40.000 Menschen und doch ist diese Diagnose unter Ärzten wenig bekannt.
Emil sitzt auf dem Behandlungsstuhl in einer Zahnarztpraxis. Er schaut sich ängstlich um, in der Praxis ist es weiß, türkis und sauber. Die Zahnärztin hat ihn etwas gefragt, doch er weiß nicht was. Er ist ja erst seit ein paar Sekunden da. Plötzlich hört er eine vertraute Stimme: „Sie hat Schmerzen am unteren rechten Backenzahn.“ Die Ärztin macht eine wirsche Kopfbewegung zur Seite. Sie sieht Emil an. Das ist ja eine erwachsene Person, warum antwortet mir da die Begleitperson?
Diese Situation habe ich oft. Ich habe DIS. Das ist eine Störung, wo sich ein Mensch in extremen Situationen in verschiedene Teilpersönlichkeiten spaltet. Dies geschieht unter Gewalt, Missbrauch und totaler Machtlosigkeit. Früher hat man zu dieser Störung auch „Multiple Persönlichkeit“ gesagt. Meine Frau Regina kennt sich mit der Krankheit gut aus: „Ich kenne dieses Phänomen schon seit 30 Jahren. Ich musste in meiner Erzieherausbildung das Buch „Ich bin viele“ von Joan Casey lesen. Das hat mich sehr beeindruckt.“
Die deutsche Psychologin Michaela Huber, die seit Jahren mit Überlebenden von ritueller Gewalt arbeitet, ist der Meinung, dass die DIS eher eine Fähigkeit als eine Störung ist.
Jede von meinen Teilpersönlichkeiten hat eine Aufgabe: Emil ist für Arztbesuche zuständig, Nina macht den Haushalt, Nicola hat die Kochlehre gemacht, Toni und Severin machen den Pflichtschulabschluss und Laura geht gerne in die Kirche. Wir hören alle von außen auf den Namen „Nicol“. Viele von uns sind auch Jungs, die haben leider das Problem, dass sie in einem Frauenkörper sind, die würden sich lieber als Jungen operieren lassen. Der Großteil von uns sind Kinder und Jugendliche. Und weil wir viele sind, haben wir uns auch einen Namen gegeben. Wir sind die „Regenbogenbande“.
„Mir war von Anfang an klar, dass ich in unserer Beziehung mehrere Rollen habe. Für die erwachsenen Personen bin ich die Partnerin und für die Innenkinder bin ich eher die Mutter.“, sagt meine Frau. Auf die Frage, wie sie darauf gekommen ist, dass wir viele sind, meint sie: „Wir hatten ausgemacht, dass ich euch besuchen komme und ich war auch einen ganzen Tag bei euch. Zwei Tage später habt ihr angerufen und gefragt, warum ich nicht gekommen bin. Ihr habt euch nicht mehr erinnert. Da wurde mir klar, dass es eventuell mehrere von euch gibt.“
Wie kann DIS behandelt werden?
Bei der Therapie von heute gilt es, den Alltag der Betroffenen zu stabilisieren, um mit dem Alltag leben zu können.
Studien aus den USA, Kanada und den Niederlanden zeigen, dass 0,5% der Bevölkerung an DIS leiden. Das sind etwa 40.000 Menschen in Österreich und dennoch ist diese Krankheit nicht sehr bekannt.
Deshalb habe ich jetzt den Mut über das zu schreiben. Ich habe in meiner Kindheit viel verloren, deshalb möchte ich vieles nachholen. Vor allem meine Bildung, deshalb habe ich meine Kochlehre gemacht und sitze jetzt hier im Pflichtschulabschluss und vielleicht kann ich mal die Matura machen.
Autorin: Laura