Erster Oktober: Ein Vierteljahrhundert…
So lange sitze ich jetzt schon in diesem Büro im WUK. Im Hof links, Stiege 2, erster Stock, dann rechts, rechte Tür. Und dann noch einmal rechts, im hinteren Kammerl. Seit 1. Oktober 1993 bin ich hier. Seit 25 langen Jahren.
Wie viele Menschen da vor meinem Tisch gesessen sind und meinen Rat gesucht haben, meine Hilfe, meinen Schutz, das weiß ich nicht mehr. Viele tausende. Ich habe nie mitgezählt. Auch nicht, wie vielen ich helfen konnte, und wie vielen nicht. Es war ein langer Kampf. Und er ist nicht zu Ende. Noch lange nicht.
Ich hatte vorher viele andere Dinge gemacht in einem langen, bald siebzigjährigen Leben. Bin auch mancherlei Irrwege gegangen dabei. Aber die Hauptsache war für mich immer klar.
Ich bin ein leidenschaftlicher Rechtsberater. Ich liebe meine Kunst. Aber ich weiß: sie reicht nicht aus. Ich weiß: der Kampf für Freiheit und Gleichheit verlangt viel mehr. Nämlich den Willen zum Bruch mit der herrschenden Ordnung und ihrer Macht. Die Bereitschaft, Verfolgung zu ertragen. Aber auch: den Willen, jene zu bekämpfen und zu verfolgen, die Unrecht tun.
All das, wofür ich angetreten bin, gilt für mich heute noch. Der Kampf gegen Faschismus und Rassismus, für gleiche Rechte, für eine demokratische, säkulare, sozialistische Republik.
Unser Verein wurde 1985 von linken iranischen Flüchtlingen gegründet; damals hieß er noch „Unterstützungskomitee“, seit 1995 nennen wir uns „Asyl in Not“. Wir sind angetreten damals, um eine uns Linken in Österreich vorher unbekannte Form des Faschismus zu bekämpfen: die islamische Konterrevolution, die so viele Hoffnungen zerstört hatte, damals im Iran und dann in vielen anderen Ländern, Algerien, Afghanistan... Und heute in der Türkei. Und – morgen, wo…?
Dieser Kampf, der eine der Wurzeln unserer Bewegung bildet, ist heute aktueller denn je: Heute, wo irregeleitete, rechtsgewendete Pseudolinke, die aus der Geschichte nichts gelernt haben, islamische Gruppen in linke Plattformen einzuschleusen versuchen (Anm.: gemeint ist hier die Diskussion um die Infiltration islamischer Gruppen in die vormalige „Plattform für eine menschliche Asylpolitik“). Sie haben nichts gelernt aus den Fehlern der Linken im Iran, die Khomeiny unterstützten, weil er doch auch ein „Antiimperialist“ war.
Es waren Pseudolinke. Sie übten Verrat an den iranischen Frauen, die am 8. März 1979 zu Hunderttausenden gegen das Kopftuch demonstrierten. Die Frauen wurden besiegt und aller Rechte beraubt. Nach ihnen kamen die Pseudolinken dran. Es half ihnen nichts, einander zu denunzieren; wettzueifern, wer der bessere „Antiimperialist“ sei. Sie wurden, eine Gruppe nach der anderen, liquidiert vom islamischen Regime, dem sie selber zur Macht verholfen hatten.
Wir von „Asyl in Not“ haben daraus gelernt und wir wiederholen diese Fehler nicht. Wer heute hier in Österreich islamische Gruppen in linke Plattformen einschleust, den behandeln wir als einen Verräter und einen Feind.
Wir stehen heute vor neuen großen Herausforderungen. Wir haben es in Österreich mit einer reaktionären Regierung zu tun, die die Menschenrechte täglich bricht. Das Wartezimmer von „Asyl in Not“ ist stets überfüllt, unsere Kapazitäten reichen nicht aus. Unzählige politisch Verfolgte suchen bei uns Schutz.
Europaweit erleben wir einen fortschreitenden Rechtsruck. Unzählige sterben im Meer. Die „Festung Europa“ macht dicht… Und als wäre das alles nicht genug, erleben wir auch noch einen Vormarsch der islamisch-faschistischen Reaktion.
So halten wir uns an den alten Leitsatz: Viel‘ Feind‘, viel Ehr‘… Wir geben niemals auf.
Michael Genner
Obmann von Asyl in Not
Erster Oktober 2018