Zukunftsperspektiven von Jugendlichen: „Ich fühl mich so hoffnungslos und verloren.“

Ein Mensch mit Maske, Schutzanzug und einem Schild mit "#Stayhome" auf leerer Straße
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Zukunftsperspektiven von Jugendlichen: „Ich fühl mich so hoffnungslos und verloren.“

Auswirkungen der Pandemie auf die Psyche Jugendlicher und mögliche Wege aus der Krise

Anlässlich des WUK Bildungs- und Beratungstags am 11. Oktober 2022 beleuchtet Psychotherapeutin Andrea Jesser die Hintergründe für den drastischen Anstieg psychischer Erkrankungen.

Jugendliche gehören zu den Bevölkerungsgruppen, die unter den Folgen der Pandemie am meisten leiden – immer mehr Jugendliche geben an, von psychischen Beschwerden betroffen zu sein. Das belegen u.a. aktuelle Studienergebnisse zur psychischen Gesundheit junger Menschen in Österreich.

Anlässlich des WUK Bildungs- und Beratungstags am 11. Oktober, der sich mit der Frage auseinandersetzt, wie Jugendliche in einem konstanten Krisenmodus ihre Zukunft planen können, beleuchtet Psychotherapeutin Andrea Jesser die Hintergründe für den drastischen Anstieg psychischer Erkrankungen und fragt: Wie steht es um die Betreuung und Behandlung? Und welche Perspektiven gibt es für die Zukunft?

„Verlorene Jugend“, „Jugend in der Krise“, „Generation Corona“ und „die großen Corona-Verlierer“ sind Blitzlichter einer Google-Suche zum Thema Jugend und Pandemie. Wähnte man jüngere Bevölkerungsgruppen aufgrund des niedrigeren Infektions- und Mortalitätsrisikos lange Zeit „auf der sicheren Seite“, so zeigt sich im Pandemieverlauf, dass es gerade die Jungen sind, die unter den Folgen der Pandemie leiden. International belegen Forschungsergebnisse einen Anstieg an psychischen Erkrankungen im Jugendalter und bringen diesen in einen Zusammenhang mit pandemiebedingten Eingriffen in das soziale und gesellschaftliche Leben der Jugendlichen.

Mögliche Hintergründe von psychischen Belastungen

Durch Kontaktverbote, Schulschließungen und – bei Lehrlingen – Kurzarbeit kam es in vielen Fällen zu einem massiven Absinken der sozialen Kontakte und, in der Folge, zu sozialer Isolation. Trotz digitaler Kommunikationsmöglichkeiten und der hohen Präsenz Jugendlicher auf sozialen Medien fand ein „Social Distancing“ statt, dem auch eine veränderte Namensgebung in „Physical Distancing“ wenig entgegenstellen konnte.

Im Jugendalter geht es darum, dass junge Menschen sich von den Eltern und der eigenen Familie ablösen und Anschluss und Orientierung bei gleichaltrigen Peers finden. Aus diesem Grund sind Kontakte zu Mitschüler_innen und Freund_innen unersetzlich. Verschiedene Freizeitangebote, die während der Pandemie ebenfalls nur eingeschränkt zur Verfügung standen, sind wichtig für Jugendliche, um sich eigene Lebens- und Erfahrungsräume außerhalb der Familie zu erschließen und Schritte in die Autonomie zu setzen.

Homeoffice, der Entfall des Schulbesuchs, Unterricht in geteilten Klassen und verschiedenen Unterrichtsmodalitäten führten zu einem Verlust an vertrauten Abläufen und Strukturen. Besonders in belasteten Familien fehlten nicht selten die Ressourcen, um jungen Menschen eine Teilhabe am Unterricht zu ermöglichen, sei es, weil es zu wenig Rückzugsmöglichkeiten oder technische Infrastruktur gab oder die Jugendlichen in der Familie, z.B. für die Betreuung jüngerer Geschwister, gebraucht wurden.

Nach mittlerweile mehr als zwei Jahren Pandemie und verschärft durch den Ukraine-Krieg werden nunmehr auch die ökonomischen und politischen Folgen der letzten Jahre deutlich spürbar. Immer öfter ist von multiplen Krisen (s.a. Klimakrise) die Rede, deren langfristige Folgen vor allem die jetzt jungen Generationen tragen werden. Das wirkt sich auf Zukunftsperspektiven und -chancen junger Menschen aus, in denen sich immer häufiger Sorgen, Ängste und Hoffnungslosigkeit abbilden – nicht nur bei jenen, deren Teilhabe an gesellschaftlichen Systemen schon vor der Pandemie gefährdet war.

Studienergebnisse aus Österreich

Die Universität für Weiterbildung Krems erhebt seit Beginn der Pandemie Daten zur psychischen Gesundheit bei jungen Menschen. Die Studienergebnisse bestätigen den internationalen Trend. Im Vergleich mit Daten, die vor der Pandemie erhoben wurden, zeigt sich ein massiver Anstieg der psychischen Beschwerden. Die Zahlen haben sich verfünffacht bis verzehnfacht. Die letzte Befragung im Frühsommer 2022 ergab, dass über 70% der Mädchen und über 40% der Burschen  im Alter von 14 bis 20 Jahren unter einer depressiven Symptomatik leiden. Über 50% der Mädchen und über 30% der Burschen haben Symptome einer Angsterkrankung. Auch Schlafstörungen und ein erhöhtes Stresserleben sind weit verbreitet. In Summe ist jeder zweite junge Mensch von ernstzunehmenden psychischen Beschwerden betroffen – und das meist schon über längere Zeit, denn seit der ersten Erhebung im Februar 2021 haben sich die Zahlen nur geringfügig verändert.

Psychosoziale Versorgung

Angesichts dieser Befunde drängt die Frage, wie es um die psychosoziale Versorgung von Jugendlichen bestellt ist. Was wird getan, um jungen Menschen die dringend notwendige Unterstützung angedeihen zu lassen? Der Blick auf die Versorgungslandschaft ist ernüchternd. Zum einen sind Angebote so stark fragmentiert, dass sich Zugänge für die Zielgruppe schwierig gestalten. Zum anderen hat sich der schon vor der Pandemie bestehende Mangel etwa an fachärztlicher oder psychotherapeutischer Hilfe noch einmal verschärft. Trotz mehr als 1.000 Psychotherapeut_innen mit einer Weiterbildung in Jugendlichen-Psychotherapie finden Hilfesuchende bisweilen keine Unterstützung – oder nur nach langen Wartezeiten. Dies liegt in der Regel an einer fehlenden Finanzierung – zu wenige und teilweise schlecht bezahlte Kassenplätze stehen einer Vielzahl an jugendlichen Patient_innen gegenüber. Positiv Erwähnung finden sollten an dieser Stelle das Projekt fit4SCHOOL, das kostenlosen Zugang zu psychotherapeutischer Beratung direkt im Lebensraum Schule ermöglicht, sowie das Projekt Gesund aus der Krise, durch das 8.000 Therapieplätze für Kinder und Jugendliche geschaffen werden konnten. Von großer Bedeutung sind außerdem niederschwellige Angebote, wie die Plattform open2chat.at, die Jugendlichen die Möglichkeit bietet, sich online, anonym und kostenlos mit geschulten jugendlichen Peer-Begleiter_innen über ihre Probleme auszutauschen oder die Website istokay.at, auf der Jugendliche fundierte Information darüber erhalten, was sie selbst tun können, damit es ihnen wieder besser geht.

Wohin kann es gehen?

Neben Top-Down Ansätzen in der Versorgung und Prävention psychischer Erkrankungen sollten die Stimmen der Jugendlichen mehr Gehör bekommen. Ein wichtiger Schritt in diese Richtung war das „Mental Health Jugendvolksbegehren“ im Mai dieses Jahres. Auch die Studienergebnisse der Universität für Weiterbildung Krems geben Hinweise auf die Wünsche der jungen Menschen. Ihre Antworten bestätigen Bestrebungen zum weiteren Ausbau leicht zugänglicher professioneller Unterstützungsleistungen im Bereich Psychotherapie und Schulpsychologie. Aber auch eine Sensibilisierung der Gesellschaft und im Speziellen von Lehrer_innen und Eltern für psychische Probleme wird gefordert, sowie eine Entstigmatisierung psychischer Erkrankungen durch Aufklärung und Information im Kontext Schule.

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Kurzbiografie

Andrea Jesser ist Psychotherapeutin in freier Praxis und wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität für Weiterbildung Krems. Sie forscht und lehrt im Bereich der Psychotherapieforschung und zum Thema psychische Gesundheit. www.psychotherapie-jesser.at

WUK-Angebote für Jugendliche

Das WUK unterstützt Jugendliche mit psychischen Beeinträchtigungen insbesondere mit dem Jugendcoaching-Angebot von WUK CoachingPlus und der Begleitung bei der der Lehrstellen- oder Arbeitsplatzsuche durch WUK Arbeitsassistenz.

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