Eine Fußballutopie
Ein Fußball für alle?
"Fußball kann dir eine Ahnung davon vermitteln, was Gesellschaft bedeutet."
(Sócrates, Kapitän Brasilien 1982)
Die soziale Dimension des Sports wurde wohl auch von der deutschen Unesco-Kommission bedacht, als sie die "gemeinwohlorientierte Sportvereinskultur" in das bundesweite Verzeichnis "Immaterielles Kulturerbe" aufnahm. Dabei wird die Diskrepanz zwischen Amateur- und Profisport deutlich. Der Profifußballsport, der wohl so weit entfernt ist von Gemeinwohlökonomie wie Österreich vom Europameistertitel, hat sich beispielsweise mit seinen exorbitanten Summen im Handel mit der Ware Fußballer (gendern erübrigt sich hier) schon länger von jeglicher menschlichen Vorstellungskraft verabschiedet. Im Auftrag des Gemeinwohls zu agieren, würde so einigen Vereinen und Verbänden guttun, um diese Verhältnismäßigkeit wiederherzustellen. Doch das geht wohl nur global und gleichzeitig. Manager-/Trainer-/Spielergehälter sollten ins Verhältnis zu den am niedrigsten bezahlten Jobs in Bereichen wie Security, Facility und Infrastruktur gesetzt werden. Alle zuletzt genannten Berufsgruppen sind unerlässlich, um den sicheren Ablauf eines Fußballspiels für die Gesellschaft zu gewährleisten. Niemand verlangt, dass sie Millionen verdienen, aber die schwindelerregenden Diskrepanzen werden dem Credo der Fairness im Fußball schon lange nicht mehr gerecht.
Einen spannenden Ansatz bietet hierzu die Siegerutopie des Berliner Vereins Gesellschaftsspiele e.V., die im Rahmen des 2020 ausgeschriebenen Fanpreises entworfen wurde. Sie schlagen vor, dass unter der strukturellen Neuausrichtung einer Fußballgenossenschaft "Starspieler_innen maximal den zehnfachen Wert dessen verdienen, was der Angestellte mit dem niedrigsten Einkommen innerhalb der Fußballgenossenschaft verdient." Das bedeutet verhältnismäßige und faire Bezahlung sowie Wertschätzung für alle, die im Fußball arbeiten.
Vorsängerin Greta?
Das Konsumverhalten im Stadion gleicht vielerorts einem "Hinter mir die Sintflut"-Prinzip. Die Vereinsverantwortlichen gestalten zwar die Rahmenbedingungen, in welchen der Sport stattfindet. Doch jedwede Verantwortung wird auf die Konsument_innen abgeschoben. Einen großen Anteil daran hat das Reisen zu und von Stadien. Pro Spieltag werden so Tonnen an CO2 ausgeschüttet. Das betrifft die Vereinsligen und auch Großveranstaltungen wie die heurige Europameisterschaft der Männer. Die spezielle Situation der Austragungsorte in verschiedenen Ländern machen ein emissionsarmes Reisen von Spieler_innen, Funktionär_innen sowie Fans unmöglich. Aber auch beim Neubau von Stadien, die in den letzten Jahren vermehrt an die Ränder der Ballungsgebiete verlegt wurden, setzen die Verantwortlichen eher auf ein überdimensioniertes Parkplatzangebot anstatt auf die Nutzung öffentlicher Infrastruktur. Diese ist aber nicht nur umweltschonender, sondern birgt auch den sozialen Aspekt der Niederschwelligkeit für Fußballbegeisterte, die auf diese Ressource angewiesen sind.
Im Kontext der öffentlichen Diskussion um ökologisch nachhaltiges Wirtschaften werden ausschließlich Firmen adressiert. Dabei agieren Fußballvereine sowie Verbände, die im Profifußball mitmischen, schon lange wie Firmen inkl. dazugehörigen wirtschaftlichen Interessen. Sie müssen Verantwortung für die Zukunft der Nachwuchskickenden, welchen man sich sonst bei jeder Gelegenheit verpflichtet fühlt, übernehmen, statt die Verantwortung auf die Gesellschaft abzuwälzen. Es ist wohl die einzige Möglichkeit, die Vergabe von Lizenzen für Vereine und Verbände an nachhaltiges ökologisches Wirtschaften in allen Bereichen zu koppeln, um die Verantwortlichen in die Pflicht zu nehmen.
Geld verleiht Flügel?
Schon vor Corona tauchten im Fußball immer wieder Liquiditätsprobleme auf, deren Ursachen u. a. in utopischer Kaderplanung, der Inkaufnahme von finanziellem Risiko auf der Basis von völlig unrealistischen Zukunftsprognosen und der totalen Abhängigkeit von Mäzenen liegen. Denn wenn diese mächtigen Männer das Interesse (worin es auch immer liegen mag) verlieren, so hinterlassen sie bei den Vereinen verbrannte Erde und zerstören damit den sozialen Raum für Fans, Angestellte und Nachwuchskicker_innen.
Wie die Mäzene, so sind auch die Verantwortlichen der Uefa und Fifa fast ausschließlich männlich. Inklusion und Gleichberechtigung werden in den Verbänden zwar immer wieder betont, sind aber keine gelebte Praxis. Quoten in den Gremien und Strukturen, die in anderen Bereichen der Gesellschaft Normalität sind, würden für eine Integration von Diversität, von vielfältigen Perspektiven und Zugängen zum Fußballsport sorgen und struktureller Diskriminierung, die auch im Sport eine Tatsache ist, die Basis entziehen. Nicht die, die den größten Scheck vorlegen, haben zu bestimmen, nach welchen Regeln Fußball gestaltet wird.
Fußball ist und bleibt Teamsport.
Fußball zurück in den Dienst der Menschen, die in lieben.
Utopie: Stefanie Gunzy. Die queer-feministische Kulturarbeiterin, Künstlerin und Sozialpädagogin ist Fußballfan, seit sie denken kann. Sie ist Teil des Advisory Boards von Kicken ohne Grenzen, entwickelte und produzierte das Fußballtheaterstück "Rund. Eckig. Schwul.", initiierte das Format "Riot Grrrls Market" und war mit ihrem Projekt "Drag Queen Stories" Teil der Wienwoche 2019.