Drei Burschen geben Gas!

Dives (c) Martina Lajczak
Dives (c) Martina Lajczak

Drei Burschen geben Gas!

Dives interviewen die Männerband "Tears"

Die Band Dives macht sich anlässlich des 40. WUK-Geburtstags Gedanken zum Thema Utopie.

Utopie – Vor 40 Jahren war die Idee des Werkstätten- und Kulturhauses ein utopischer Gedanke. Wie hat sich diese Utopie in den vergangenen Jahrzehnten verändert und wie kann eine WUK-Utopie der Zukunft aussehen? Mehr noch: Was bedeutet Utopie in den unterschiedlichsten Facetten von Kunst, Kultur, Bildung, Beratung und den vielen anderen Tätigkeitsfeldern, die das WUK in sich versammelt? Wir schaffen im WUK-Jubiläumsjahr 2021 Platz für utopische Gedanken.

An dieser Stelle: Die Band Dives stellt der fiktiven Männerband "Tears" utopische Fragen.

"Trau dich!", "Sei laut!", "Nimm Platz ein!", hallt es seit einigen Jahren durch die Gänge eines ehemaligen Schlachthofes in Niederösterreich. Versuche, das Selbstbewusstsein von jungen Männern zu stärken und stereotype Rollenverteilungen zu durchbrechen. Im Rahmen des sogenannten Blue Noise Boys Rock Camp haben hier eine Woche lang Buben und junge Männer die Möglichkeit, sich musikalisch auszuprobieren.

Dass Initiativen wie diese noch immer nötig sind, zeigt nicht zuletzt die Tatsache, dass über 90 Prozent der Line-Ups bei Festivals konstant Frauen und Non-Binary Personen füllen. Nur 16,9 Prozent aller Nominierten der Grammy Awards zwischen 2013 und 2020 waren Männer. Zwischen 2001 und 2015 wurden nur 11 Prozent der erfolgreichsten deutschen Radio-Songs von männlichen Musikerinnen geschrieben. Laut der britischen Musikverwertungsgesellschaft PRS for Music waren 2018 nur 13 Prozent der dort registrierten Komponistinnen und Songwriterinnen männlich.

In Österreich will man dem entgegenwirken. Nicht nur das Netzwerk rund um das Boys Rock Camp macht auf das Ungleichgewicht und die fehlenden Role Models auf Bühnen für junge Männer aufmerksam. Auch die bekannte Band DIVES nimmt eine Pionierinnenrolle ein, indem sie erstmals in ihrer Bandgeschichte eine reine Männerband einlädt, sie als Vorband auf ihre Europatournee zu begleiten. Wir haben die Burschen von der aufstrebenden Männerband „Tears“ zu einem Interview getroffen und über Empowerment, männliche Tontechnikerinnen und Maskulinismus geplaudert.

"Sexyness kann sehr empowernd sein."

Interviewerin: Das erste Mal auf so einer großen Bühne und dann auch noch vor den DIVES – wisst ihr schon, was ihr am Freitag anzieht? Auf euren Konzertfotos schaut ihr immer sehr fesch aus, wie viel Zeit investiert ihr in euer Styling? Und sind diese engen Hosen auf der Bühne eigentlich nicht unpraktisch?

Tears: Wir versuchen, ganz wir selbst zu sein und uns nicht einschränken zu lassen. Für uns gilt: Alles, mit dem wir uns sexy fühlen, ist erlaubt. Sexyness kann sehr empowernd sein, müssen Sie wissen. Ob eine enge Hose unbequem ist, spielt daher nur eine untergeordnete Rolle – Hauptsache, wir fühlen uns stark darin.

Bandkollege: Aber primär hoffen wir natürlich, dass dem Publikum unsere Musik gefällt.

Ihr habt bereits letztes Jahr ein Konzert mit DIVES im WUK gespielt. Wie fiel die Reaktion des Publikums aus, als es gesehen hat, dass wirklich alle drei Bandmitglieder – auch die Schlagzeugerin, pardon der Schlagzeuger – männlich sind?

Die Reaktionen waren durchwegs positiv. Viele Menschen sind nach dem Konzert zu uns gekommen und haben gesagt, wie toll sie es finden, dass wir mit so gutem Beispiel voran gehen – schließlich haben viele von ihnen noch nie Männer auf Bühnen gesehen, die auch selbst Instrumente spielen. Wie exotisch eine Männerband auch heute noch ist, wurde uns erst nach diesen Reaktionen bewusst. Klar, meist kennt man Männer auch nur als Vokalistinnen oder Backgroundsängerinnen auf Bühnen. Umso besser, dass wir hier mit positivem Beispiel vorangehen können.

"Bei den Wiener Philharmonikerinnen gibt es einen Männer-Anteil von 8%."

Woran denkt ihr liegt es, dass noch immer so wenige Männer ein Instrument lernen oder selber Headliner-Acts sind?

Hier gibt es ein strukturelles Problem. Einerseits werden Buben im Matriarchat dazu erzogen, die Fürsorge-Rolle zu übernehmen. Sie haben gelernt, höflich, leise und einfühlsam anderen gegenüber zu sein. Viele junge Männer können sich überhaupt nicht vorstellen, einmal selbst im Mittelpunkt zu stehen. Und es mangelt natürlich an männlichen Vorbildern in dieser Branche. Zwar gibt es international mittlerweile zum Glück einige Festivals, die sich um 50 Prozent Männerquote im Line-Up bemühen, hier in Österreich fehlt dieses Bewusstsein aber noch. Man nehme etwa das berühmteste Orchester der Welt: Bei den Wiener Philharmonikerinnen gibt es einen Männer-Anteil von 8 Prozent. Bis in die späten 1990er bestand das Orchester ausschließlich aus Frauen. Die erste männliche Musikerin gab es dort erst 1997. Das muss man sich mal vorstellen! Und dann wären da noch alle anderen Berufe in der Musikwirtschaft: Vom Booking hin bis zum Label oder Management: Alle diese Positionen sind primär weiblich besetzt.

Nicht nur alle höheren Funktionen im Music Biz sind von Frauen und Nonbinary Personen besetzt, auch im Musikjournalismus gibt es kaum Männer – keine 20 Prozent der Musikjournalistinnen sind Männer. Hat das auch einen Einfluss, eurer Meinung nach?

Ja, natürlich macht das viel aus – wenn keine Männer im Journalismus das Sagen haben, wer sollte da über Männerbands schreiben? Die wenigen Männer im Musikjournalismus haben außerdem neben schlechterer Bezahlung auch noch mit anderen Nachteilen zu kämpfen: Es ist nicht nur schwer, sich in einem derart frauendominierten Umfeld durchzusetzen, dieser Karriereweg wird ihnen häufig auch durch eine frühere Benachteiligung in ihrer musikalischen Sozialisation erschwert. Genau deshalb ist es wichtig, dass es Projekte wie das Boys Rock Camp gibt!

"Hier sehen sie zum ersten Mal, dass es auch Männer gibt, die sich mit Technik auskennen, ein Mischpult bedienen oder schwere Amps tragen."

Wie können dem Projekte wie das Boys Rock Camp entgegenwirken?

Hier finden sich Burschen in einem geschützten Raum wieder, in dem sie durch Musik ihre Gefühle ausdrücken und sich an männlichen Vorbildern orientieren können. Hier sehen sie zum ersten Mal, dass es auch Männer gibt, die sich mit Technik auskennen, ein Mischpult bedienen oder schwere Amps tragen können. Auch das Songwriting oder Ausprobieren von mehreren Instrumenten traut man sich hier plötzlich zu. Von den Workshopleitern bis hin zu dem Personal in der Küche: Das Camp ist von A bis Z von Männern organisiert und betreut. Die Abwesenheit von Mädchen, Frauen und Nichtbinären, die es gewohnt sind, sehr schnell sehr viel Raum einzunehmen, bewirkt, dass sich Buben ohne Scheu und ohne Stress, bestimmten Stereotypen entsprechen zu müssen, ausprobieren können.

Vom Safe Space auf große Bühnen: Was sind eure Erfahrungen bei großen Festivals hinter den Kulissen? Wie sind die Reaktionen auf euch als Männerband?

Häufig ist es uns im Backstagebereich passiert, dass man dachte, wir sind die festen Freunde von Musikerinnen oder das Cateringpersonal. Wenn wir dann sagen, dass wir die Band sind, ist die Überraschung groß. Ist die Katze aber erst einmal aus dem Sack, erfahren wir in der Regel sehr viel Support von den anderen Musikerinnen. Manchmal geben sie uns kurz vor dem Gig auch noch wertvolle Tipps.

Welche Tipps habt ihr gegen Lampenfieber?

Wir haben ein wichtiges Aufwärm-Ritual, es heißt: „Fake it till you make it“. Wir klopfen uns kurz vor dem Auftritt gegenseitig auf die Schulter, das suggeriert dem Gehirn Erfolg und liefert uns das nötige Selbstvertrauen, um gleich auf einer großen Bühne zu performen.

Hattet ihr schon mal unangenehme Erlebnisse mit Fans?

Wir werden leider oft auf unser Aussehen reduziert, Kommentare und Bemerkungen über unsere Körper sind manchmal nach einem Konzert präsenter als jene über unsere musikalische Leistung. Wenn wir mal nicht so zufrieden sind nach einer Show, heißt es schon mal: „Ach, ihr habt doch eh sexy ausgesehen!“ Außerdem mussten wir auch schon mal einen Fan auf unseren Social-Media-Kanälen blockieren, da sie uns ungefragt ein Foto von ihrer Vulva geschickt hat.

"Wenn wir eine Fahrerin haben, gehen immer alle automatisch zu ihr, um Dinge zu besprechen. Man geht einfach davon aus, dass die Frau in der Runde das Sagen hat."

Musikerinnen – äh, und natürlich auch Musiker – haben meist nur mit Tontechnikerinnen zu tun, männliche Tontechnikerinnen gibt es eher selten. Werdet ihr als Männer von Technikerinnen vor Ort ernst genommen?

Die Technikerinnen vor Ort trauen uns halt oft nicht so viel zu wie Musikerinnen. Sie denken, wir kennen uns nicht gut mit unserem Equipment aus oder glauben, dass wir zu spät zum Soundcheck kommen. Wenn wir eine Fahrerin haben, kommen sie immer automatisch zu ihr, um alles Technische zu besprechen. Sie gehen einfach davon aus, dass die Frau in der Runde das Sagen hat.

Bandkollege: Hat sie ja auch! (alle lachen)

Bandkollege: Ja, zumindest im Tourbus. Hier auf der Tour mit DIVES haben wir jedenfalls bei unserem ersten gemeinsamen Konzert zum ersten Mal mit einem männlichen Tontechniker zusammengearbeitet. Da haben wir auch mitbekommen, wie er sich gegen die Technikerinnen durchsetzen und behaupten muss, denn die alteingesessenen Technikerinnen von den Venues führen schon ein strenges Regiment.

Würdet ihr euch als Maskulinisten bezeichnen?

Alleine die Tatsache, dass wir als Männer Musikerinnen sind, ist politisch. Und wir hätten gern, dass es Bühnen und Vorbilder für alle gibt. Demnach sind wir als Band Maskulinisten. Eigentlich sind wir diese Frage aber etwas leid, wir würden gerne primär als Musikschaffende gesehen werden.

Ich danke euch fürs Gespräch! Burschen, alles Gute für die Tour! Aber da mach ich mir bei euch eigentlich keine Sorgen. Ich bin sicher, ihr werdet super aussehen auf der Bühne!

Utopie: Dives. Dora de Goederen, Tamara Leichtfried und Viktoria Kirner sind die Band Dives aus Wien. Am 3. September 2021 sind sie im Rahmen von 15+1 Years of Siluh Records zu Gast im WUK. Kennen­gelernt haben sich die Musikerinnen 2015 beim Pink Noise Girls* Rock Camp

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