Zurück in die Zukunft

DJ Krush (c) Cherry Chill Will
DJ Krush (c) Cherry Chill Will

Zurück in die Zukunft

DJ Krush und DJ DSL nach 25 Jahren wieder gemeinsam auf einer Bühne - Rückblick und Vorschau

Ein anekdotisches Stimmungsbild der Wiener DJ-Kultur in den 90er Jahren

Wenn sich am 3. März im WUK DJ Krush zum zweiten Mal eine Bühne mit DJ DSL teilt, sind 25 Jahre seit einem legendären Abend in der Arena vergangen. Zum Anlass der Wiederholung eines legendären Abends haben einige, die 1995 vor Ort waren, in ihren Erinnerungen gekramt. DJ DSL alias Stefan Biedermann stand an den Plattentellern, im Publikum lauschten unter anderem sein DJ-Kollege Urbs (Paul Nawrata), WUK-Musikchef Hannes Cistota, Franz Hergovich vom mica, Der Standard-Kulturredakteur Karl Fluch und der ehemalige rhiz-Betreiber Herbie Molin. Ein anekdotisches Stimmungsbild der Wiener DJ-Kultur in den 90er Jahren.

Schon vor 25 Jahren haben sich DJ Krush und DJ DSL eine Bühne geteilt – damals in der Arena. So haben die Wiener Anwesenden den Abend in Erinnerung.

DJ DSL (Stefan Biedermann): Habe ehrlich gesagt fast keine konkreten Erinnerungen daran, außer, dass es insgesamt ein sehr guter Abend war. Die Stimmung in der großen Halle der Arena war bereits während ich aufgelegt habe sehr gut, was relativ ungewöhnlich ist, da ich ja nur das Vorprogramm bestritten habe.

Franz Hergovich, mica – Music Information Center Austria: Ich kann mich erinnern, dass meine Freund_innen und ich zu der Zeit extrem stolz auf unseren Freund DJ DSL waren, der damals auch im Spex zum besten DJ des Jahres gewählt wurde und der zu den international spannendsten DJs gezählt hat. Stefan war dadurch nicht nur ein Support-DJ, sondern ein gleichwertiger Hauptact. Irgendwie hatte der Abend für uns einen DJ-Battle-Charakter auf höchstem Niveau.

Hannes Cistota, WUK Musik: Die Show war am Ende der 90er Jahre, die 2000er standen vor der Tür, die Postmoderne am Höhepunkt. Trip Hop wurde gerade erfunden, neue Musikstile wurden entdeckt. Dub, Hip Hop, Jungle trifft Melange Beats aus Wien, alles schien möglich. DJ Krush war damals an der Enstehung von Trip Hop beteiligt. Er war das Aushängeschild von MoWax, dem Superlabel von James Lavelle.

DJ Urbs (Paul Nawrata): Das war auf jeden Fall ein sehr legendärer Abend. DJ Krush und MoWax im Allgemeinen waren gerade shit hot und alle konnten sich darauf einigen, es war also gut besucht und das Publikum bunt gemischt. DSL war sowieso unser Nationalheld und so hat sich das - zumindest für uns Hip Hop-Kids - ein bissl zu einer Battle hochgeschaukelt - auch wenn DSL das sicher nicht so gesehen hat.

Herbie Molin, Agentur Liccht: DJ DSL war ein großer Held und auch ein Freund für mich. Und MoWax war neben Ninja Tune mein absolutes Lieblingslabel. Alles, was darauf erschien, wurde sofort gekauft. Darum ging ich mit großen Erwartungen zu dem Gig und wurde nicht enttäuscht. Unglaubliche Skills von beiden. Wobei ich in Erinnerung habe, dass mich DJ DSLs DJ-Set am meisten beeindruckt hat.

Beim inoffiziellen DJ-Battle der Helden gab es einen klaren Gewinner.

Eintrittskarte Mo'Wax Night
DJ Urbs' Eintrittskarte für die Mo'Wax Night 1995

Karl Fluch, Der Standard: Der Abend fand in der Arena vor dem Umbau statt. Wo heute die Tribüne rauf geht, war damals die Bühne. Das war zugleich eine Besonderheit an dem Abend. Die Bühne und der Platz davor waren als Dancefloor gewidmet, die DJs standen auf den Treppen. Die beiden spielten hintereinander, ich hab in Erinnerung, dass der DSL zuerst dran war.

Urbs: Krush war zuerst dran und hat, wenn ich mich recht erinnere, etwa 45 Minuten gespielt, die meisten Tracks von seinem epochalen Debut-Album, und hat dabei alle Scratches live dargeboten. Das fühlte sich ein bisschen so an, als dürfe man mal kurz in einem Raumschiff mitfliegen und einen Blick in die Zukunft werfen.

Cistota: Das DJ-Pult war in der Mitte aufgebaut und mit Gittern versehen. Alle Nerds, Sample-Sucher und Wichtigmacher versuchten einen Blick auf die Platten des japanischen Meisters zu erhaschen, um die Platten nachzukaufen. Krush spielte ein hervorragendes Set, die Menge tanzte.

Urbs: DSL hatte dann anfangs mit dem üblichen post-konzertalen Backlash zu kämpfen - alle gehen raus zur Bar, manche wohl auch heim, und so war es kein Problem, uns direkt neben ihn auf die Stufen zu setzen. Ich habe das Set mit Aziz, später der Gründer von Trife Life, genauestens observiert und Stefan stundenlang auf seine langen Finger (und auf die Labels) geschaut.

Fluch: Der DJ-Kobel war von Baugitter zum Publikum hin abgetrennt. Ich weiß noch, dass der Paul Nawrata alias DJ Urbs dort am Gitter gehängt ist und dem Krush auf die Finger geschaut hat – oder dem DSL - wahrscheinlich beiden. Der Urbs hat dann später bei Uptight und G-Stone veröffentlicht.

Urbs: Das Publikum hat sich dann auch langsam wieder in der Halle eingefunden und so entwickelte sich eine richtig gute Party und für mich eines der legendärsten DJ Sets, dem ich jemals beigewohnt habe. Spätestens als DJ Krush sich dann auf der anderen Seite des DJ-Pults neben DSL setzte und andächtig kopfnickend lauschte, war für uns Kids klar, dass DSL die Battle in unserem Kopf um Hauslängen gewonnen hatte.

DJ DSL (c) peter-ruessmann.com
DJ DSL im Jahr 2011 (c) peter-ruessmann.com

Cistota: Dann kam Stefan mit zwei Billasackerln statt einem Plattenkoffer. Er hat sich gemütlich mit einer Zigarette im Mundwinkel hinter dem Mischpult auf den Plattenteller geschmissen und Krush machte eine Pause. Die Auflegekunst von DSL war damals die beste weltweit. Es war eine Riesenparty. Danach ging die Mär um, DJ Krush lege nicht mehr auf, weil er nach dem Set von Stefan nichts mehr draufsetzen kann - er sei einfach zu gut.

Fluch: Der gängige Eindruck damals war, dass der DSL den Krush ausgespielt hatte. Das ist wahrscheinlich unfair, aber der DSL war halt eine Bombe damals und konnte über Stunden Hypnose über den Tanzboden legen. Krush mochte ich, weil ich damals im Black Market sein selbstbetiteltes Album aus dem 94er-Jahr gekauft hatte.

Urbs: DJ Krush hat am frühen Abend alle Journalisten zur Verzweiflung gebracht, weil er nicht nur superschüchtern, sondern auch keiner anderen Sprache als des Japanischen mächtig war. Ich glaube mich zu erinnern, ihn etwas verloren vor der Arena rumsitzen gesehen zu haben.

DSL: Ein Detail am Rande blieb mir doch in Erinnerung: Ein mittlerweile sehr berühmter DJ-Kollege hat damals, während ich zugange war, versehentlich Bier über meinem Plattenkoffer verschüttet und anschließend schuldbewusst versucht, diverse Platten wieder halbwegs zu säubern. Erstaunlicherweise hat mich das nicht weiter gestört und konnte mich nicht aus der Konzentration bringen.

Heute sind sie DJs, Booker, Musikexportvertreter, Kulturredakteure und Agenturbetreiber. Wer waren die Personen damals?

DSL: Habe als Teenager animiert durch meinen älteren Bruder mit dem Auflegen begonnen und hatte dann das Glück, dass das, was ich spielte, zu dieser Zeit anscheinend ziemlich vielen Leuten gut gefallen hat. Auch die Tatsache, dass ich mit Tribe Vibes eine der ersten Hip Hop-Radiosendungen mitgestaltet habe, hat dann später zu dieser Spex-Auszeichnung geführt. Obwohl, der "beste" kann niemals jemand sein, denn das ist ja nicht messbar und immer subjektiv. In jedem Genre gab und gibt es viele gute Leute, und es freut mich, dass ich damals in der Wahrnehmung der Menschen einer davon war. 

Urbs: Es wurde ja schon hinlänglich dokumentiert, was für eine Sonderstellung DSL innehatte, nicht nur in Österreich. Er hat einfach seinen eigenen Stil erfunden und stundenlange Hip Hop-Reisen gestaltet, sehr viel mehr gemixt als Hip Hop-DJs das üblicherweise tun und mittels langer Instrumental-Passagen einen hypnotischen Flow entwickelt, den man eher von House- oder Techno DJs kennt. Kurz: DSL konnte mit seinen Sets das Universum anhalten. Ich selbst war etwa fünf Jahre davor nach Bekehrung durch Tribe Vibes, Spex und Plattenverkäufer-Gott Fritz Plöckinger zum Hip Hop konvertiert und als DJ gerade am Erlernen des Handwerks.

Hergovich: 1995 habe ich nach vielen Jahren als Plattenverkäufer gerade angefangen, Konzerte und Partys zu veranstalten, zunächst im U4, später dann auch im WUK - etwa den ersten Ninja Tune Showcase oder DJ Krust & Roni Size, also viel Elektronik und Jungle, eine Musik, die mich in den ersten Jahren sehr fasziniert hat. Nach vielen Jahren Post-Punk/New Wave/Rock war das eine musikalisch extrem spannende Zeit.

Cistota: Ich war ein junger, neugieriger Musikbegeisterter, der neben Nirvana neue Musik entdeckt hatte. Soul, Hip Hop, Electronic, plötzlich gab es so viel zu hören. Die Postmoderne in der Musik hielt Einzug und es gab Unmengen zu entdecken.

Hergovich: Sonst war ich wohl um einiges jünger, habe deutlich ungesünder gelebt und war fast jeden Tag (oder jede Nacht) unterwegs, hatte sicher andere Prioritäten im Leben und war für Musik sehr begeisterungsfähig. Um diesen einen Aspekt beneide ich den Hergo von 1995.

Fluch: 1995 hab ich gerade Zivildienst gemacht. Kinderfreunde Brigittenau: "Wasted days and wasted nights", wie man sagt. Die Nights waren definitiv besser, die Leberwerte ein Traum.

Molin: Ich war damals noch Blue Box-Besitzer. 1995 war auch die erste Phonotaktik, in die ich am Rande involviert war. Elektronische Musik wurde, gerade in Wien, sehr wichtig. Auch für mich. Eigentlich komme ich ja vom Rock, aber ich hatte und habe ein offenes Ohr für qualitativ hochwertige Musik aus sehr vielen Genres. Damals war auch Hip Hop für mich interessant.

Hannes Cistota im Jahr 1995
WUK-Musikchef Hannes Cistota im Jahr 1995

Was hat die DJ-Kultur im Wien der 90er Jahre besonders gemacht?

Fluch: Die DJ-Kultur war noch sehr unschuldig. Es gab schon viele Clubs, die DJs hatten, aber die spielten meist für ein Sitzpublikum. Aber das änderte sich gerade schwer. 1995 war zudem das Jahr des Phonotaktik-Festivals und jenes Jahr, das Wien damals on the map gebracht hat. Der Dub Club war in full force, Kruder & Dorfmeister fast noch ein Geheimtipp, die Cheap-Jungs legten in komischen Clubs auf, Peter Rehberg spielte einmal die Woche die Blue Box leer. Die lose Szene hatte etwas Geheimbündlerisches.

Hergovich: Es war eine tolle Zeit in Wien! Durch die günstigeren Produktionsbedingungen für die damals neu entstandene elektronische Musik entstanden viele Labels und Acts, die ganz spannende Sachen gemacht haben, erstmals auch völlig international gedacht und agiert haben und auch international ganz vorne mit dabei waren – etwa Kruder & Dorfmeister, Pulsinger/Tunakan, Fennesz oder eben DJ DSL und Labels wie Mego, G-Stone oder Cheap.

Molin: Das Besondere an der Zeit war, dass Rock und Pop ziemlich tot waren, es gab deutlich weniger Konzerte aus diesen Genres als im Jahrzehnt davor. Der DJ war eine Zeitlang eine mehr oder weniger anonyme Person, die Party wurde extrem wichtig, die begleitenden Drogen auch. Bald war der DJ allerdings auch ein Star. Das Superstartum hat gerade im Hip Hop unvorstellbare Ausmaße angenommen.

Hergovich: Als DJ in Wien, der ich ja auch, war es insofern spannend, dass sich der Musikgeschmack der DJs nicht unbedingt parallel zum Geschmack des Publikums verändert hat. Das war teilweise eher konservativ und konnte Anfang der 90er Jahre noch wenig mit Hip Hop oder Elektronik anfangen. Mit der Zeit haben sich aber immer mehr Orte für diese frischen Sounds gefunden und es machte Spaß, dort aufzulegen. Als Veranstalter von Club-Nächten war es sowieso eine coole Zeit, die mit heute kaum vergleichbar ist. Damals ging noch viel mehr ohne große Agenturen, oft sogar nur mit persönlichen Kontakten. Den Ninja-Showcase im WUK hatte ich etwa im Backstage-Bereich eines Clubs in Köln persönlich mit dem Mitbegründer Jonathan More innerhalb von zehn Minuten ausgemacht. Die hatten einfach Lust, nach Wien zu kommen, weil sie da noch nie gespielt hatten und wir haben eine für heutige Verhältnisse lächerliche Summe als Gage ausgemacht. Alles war sehr entspannt und wir alle Teil einer großen, internationalen Community, der es nicht vordergründig ums Geldverdienen ging. Es gab ja auch noch kaum Menschen mit Internetzugang oder Mobiltelefonen. Ich kann mich noch gut erinnern, wie an einem Abend, an dem Goldie im WUK gespielt hat, im Büro im WUK-Mittelhaus Björk angerufen hat. Ich ging ans Telefon. Sie wollte ihren damaligen Freund sprechen und musste zehn Minuten in der Leitung warten, bis ich Goldie aus dem Backstage-Bereich geholt hatte… Das klingt wohl alles ein bisschen romantisch und verklärend, war aber tatsächlich eine sehr leiwande Zeit für DJ-Kultur in Wien.

Zurück in die Zukunft – am 3. März 2020 spielt DJ DSL eines seiner seltenen DJ-Sets im Vorprogramm von DJ Krush im WUK. Wie sich der Abend von demjenigen vor 25 Jahren unterscheiden wird und was sich die Protagonisten erwarten.

DSL: Nach fast 30 Jahren Auflegen bin ich ein wenig "amtsmüde" geworden, speziell was die Faktoren Nachtarbeit und permanentes Reisen betrifft. Ich beschäftige mich mittlerweile verstärkt mit einem ehemaligen Hobby, das ich nun professionalisiert habe, der Typografie, und mache Buchgestaltung und ähnliches. Und ich widme mich instensivst meiner neuen großen Leidenschaft, dem Type-Design, sprich, ich gestalte Schriften, baue Fonts. 

Cistota: In Wien sollen die beiden gemeinsam spielen, weil sie für den Höhepunkt der Vinylkultur, des analogen Mixens mit Schallplatten stehen, noch vor dem BPM-Zähler am Mixer. Damals wurde mit Geschick und Handwerk der Beat abgestimmt.

Hergovich: Für einen Teil des Publikums könnte der Event zu einer Art Klassentreffen werden, nur lustiger natürlich, weil vermutlich einige Leute kommen werden, die schon damals dabei waren und weniger oft weggehen und einander selten treffen. Schwer für mich einzuschätzen, wie interessiert ein jüngeres Publikum an den beiden DJs ist… natürlich machen die aber noch immer relevante Musik. Das sollte keine rein nostalgische Veranstaltung werden, stimmungsmäßig wird das sicher top.

Molin: Ich erwarte mir, dass beide ihre Skills abrufen können und diese auch noch ausgebaut haben, immerhin hatten sie ja 25 Jahre Zeit zu üben ;-) Der Abend wird auch ein wenig nostalgisch sein, der Altersdurchschnitt wird auf alle Fälle höher sein als vor 25 Jahren. Leiwand wird’s auf jeden Fall.

Cistota: Ich erwarte mir eine Wiederholung eines legendären Abends, Menschen sollen tanzen und eine gute Zeit haben, der DJ in den Hintergrund, der Saal soll swingen.

Fluch: Krush ist ohnehin eine Konstante, macht immer noch tolle Alben. DSL wird sicher wieder aufdrehen und ansonsten hoffen ich, dass beide graue Haare haben, damit ich mich nicht alleine seltsam fühle.

DSL: Ich werde mich wie immer von der Situation vor Ort inspirieren lassen und entscheide dann dementsprechend, was ich spiele. Erwartung hab ich keine spezielle, aber die Hoffnung, dass es wieder ein guter Abend wird, natürlich zwar anders als damals, aber möglicherweise anders gut.

DJ Krush (c) Cherry Chill Will

Oral History: Astrid Exner

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