Der Spagat zwischen Familie und Kunst
Sarah Gaderer und Laura-Lee Röckendorfer gründeten 2011 das theater.nuu, das seinen Fokus auf die Allerkleinsten richtet. Schon im Alter von 6 Monaten können Kinder mit ihnen erste Theatererlebnisse erfahren. Nach zahlreichen Produktionen samt Förderpreis für junges Theater (Jungwild Preis 2013) und über 300 Vorstellungen im In- und Ausland zählt das theater.nuu zu einem erfolgreichen WUK Label. Zum 10-jährigen Jubiläum erzählen Sarah und Laura-Lee im Interview über ihre Arbeit, die Wertschätzung von Kindertheater und wie es ist, mit den größten Fans und Kritiker_innen zusammenzuwohnen.
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Interview: Saskia Schlichting
Wir machen gleich die Bedingungen klar: Fällt das Wort Corona, so wird eine Runde Schnaps fällig. Und damit beginnen wir auch gleich – einen Schnaps auf 10 Jahre theater.nuu, herzlichen Glückwunsch an dieser Stelle.
Sarah: Corona, Corona, Corona, Corona! Bitte Marille – haha.
Laura: Ich hätte gern Zirbe.
Eure Stücke haben Labor-Charakter. Es geht oft ums Entdecken, Erforschen und um eine Reise, z.B. ins Weltall, auf den Schrottplatz oder in die Tiefsee. Wollt ihr bei der Stückfindung selbst Suchende und Forschende sein?
Sarah: Ja, wir überlegen natürlich auch: Was interessiert unser Publikum? Was fasziniert uns selbst? Was bietet eine Ästhetik, die ebenso für junge Menschen faszinierend, ansprechend und inspirierend sein kann, ohne dass das Thema auf ihre Altersgruppe zutrifft? Aber auch: Wo verstecken sich Themen, die relevant für eine solche sind?
Zum Beispiel in LA BUM geht es um Pluto, der zum Zwergplaneten degradiert wurde und darum ausgestoßen wird. Das ist eine Szene, die könnte 1:1 in einer Sandkiste stattfinden. Und bei SCHROTT geht es um ein leistungsfreies Sein, das der Kindheit inneliegt und sehr viel Schönheit in sich birgt, das aber in unserer Gesellschaft leider nicht viel Platz bekommt. Und unsere Liebe liegt darin, diese Themen zu erforschen und sie in eine Bühnensprache zu übersetzen.
Laura: Selten suchen wir nach Ideen für neue Stücke. Themen oder Bilder fliegen uns meist zu. Oft ploppen neue Stückideen während den Proben auf. Wie unser Publikum begeben auch wir uns bereits im Entwicklungsprozess eines Stücks auf eine Reise. Dabei finden wir diesen Prozess des Suchens und Forschens viel spannender als fertige Stücke bzw. Textvorlagen
Was treibt euch an?
Sarah: Theater bietet eine Konfrontation mit der Wirklichkeit und auch eine Flucht davor. Dieses Spannungsfeld ist ein ganz persönlicher und egoistischer erster Motor, der mich zum Theatermachen bewegt hat. Die Arbeit für ein junges Publikum ist dabei besonders schön, weil die Interaktion mit den Kindern Inspirationsquelle und härteste Kritik zugleich ist. Wenn diese ernst genommen werden, sind enorme Entwicklungen in der eigenen Arbeit möglich. Auf eine schöne, leichtfüßige und eben ganz intuitive Art.
10 Jahre Theaterarbeit sind eine lange Zeit. Ihr habt Familie gegründet, Haus renoviert, in Elterninitiativen gearbeitet, zehn Produktionen entwickelt und seid getourt. Was waren neben Corona (Schnaps!) die größten Herausforderungen?
Laura: Die größte Herausforderung war oder ist immer noch der Spagat zwischen Familie und Kunst. In beiden Bereichen ist es extrem wichtig, bei der Sache zu sein. Die Kinder heizen einem ordentlich ein, wenn man am Nachmittag noch Business-Telefonate führen muss oder vielleicht einfach nur mit den Gedanken woanders ist. Nur gibt es in unserem Bereich leider keine klar geregelten Arbeitszeiten. (Auch, wenn wir versuchen uns welche zu schaffen. Der Kopf arbeitet weiter.) Und gleichzeitig leidet der künstlerische Prozess darunter. Solange die Kinder klein sind, ist es oft nicht möglich die Welten zu trennen. Gleichzeitig war mein Ansatz immer: Ich möchte einen Beruf, in dem ich meine Kinder integrieren kann. Das war dann schon mal ein ordentlicher Schlag, als ich erkannte, dass das einfach nicht (immer) möglich ist.
Sarah: Der ständig notwendige „Shift“ im Fokus ist für mich die größte Belastung – kombiniert mit der finanziellen Unsicherheit. Für mich ist in der künstlerischen Arbeit der Prozess und das Im-Moment-Sein extrem wichtig. Einfach mal daliegen und in die Luft schauen zu können. Das ist nicht so einfach mit zwei kleinen Kindern. Dieses effizient sein müssen, ist der Hund an der Geschichte. Corona hat auf kurze Sicht sogar ein wenig Entspannung gebracht. Der erste Lockdown, in dem die Welt stillgestanden ist und finanziell trotzdem eine Grundsicherung aufs Konto kam, war fast paradiesisch. Jetzt wo es sich in die Länge zieht und ständig verschoben. Aufgehoben, umgedacht und organisiert werden muss, ist die Schattenseite natürlich größer als die Vorteile, die die Situation mit sich gebracht hat.
Laura: Ich lebe seit 4 Jahren nicht mehr in Wien. Seitdem pendle ich für Spieltermine und Probenblöcke. (Anm: Zwischen Passau und Wien) Ich wünschte mir oft fürs Arbeiten, nicht immer so weit fahren zu müssen. Am Abend nach einer Probe in meinem eigenen Bett zu schlafen. Aber gleichzeitig genieße ich die intensiven Wien-Tage, in denen ich total ins Projekt eintauchen kann. Den Kindern bringt man dann einen Comic und einen Schokoschirm mit, und das schlechte Gewissen wird ein bisschen kleiner.
Haben eure Kinder die Stücke verändert, ist der Blick schärfer oder ein anderer geworden?
Sarah: Die Kinder haben mein Arbeiten auf jeden Fall verändert. Es ist nicht nur, wie gerade beschrieben, komplizierter geworden, sondern auch sehr viel inspirierender. Sie bringen mich auf Ideen für Stücke, manchmal durch ihr Tun und manchmal auch durch konkrete Forderungen. Mein 6-jähriger Sohn fordert momentan ein Stück über bedrohte Tierarten. Eine coole Idee, wie ich finde. Leider vergeht so viel Zeit bis die Einreichung geschrieben ist und das Projekt gefördert wird, dass es ihn dann vielleicht nicht mehr Interessiert. Es ist schon toll mit den eigenen größten Fans und Kritiker_innen zusammenzuwohnen. Dadurch verändert sich natürlich auch das Arbeiten. Die Frage „würde das meinen Kindern gefallen?“ schwingt beim Erarbeiten der Stücke mit, und ist auch leichter zu beantworten als „was gefällt Kindern eigentlich?“. Außerdem bin ich im Alltag umgeben von Angeboten für Kinder. Nicht nur durch Theater, sondern auch durch Bücher, Filme oder Musik wird der Blick geschult.
Das WUK ist eure Heimat. Wie habt ihr sie gefunden? Und was mögt ihr hier?
BUH“ ist euer nächstes Stück, das im Mai zur Uraufführung kommt. Es geht ums Fürchten.
Angst ist in Corona Zeiten (Schnaps!) aber zu einem überstrapazierten Begriff geworden.
Was erforscht ihr?
Wir wollen uns in „BUH“ so wie in den zwei vorhergehenden Stücken „LA BUM“ und „BLUB“ mit dem Unbekannten beschäftigen, dieses Mal eben mit der Angst und Skepsis davor: die Angst vor etwas Neuem, vor Monstern, uns fremden Wesen, vor Dingen, die nicht greifbar sind. Uns reizt die Übersetzung in eine ästhetische Form. Wir wollen das Lustvolle am Schrecken und Gruseln erforschen. Und über unsere eigenen Tellerränder blicken. Wovor fürchte ich mich? Und wie schaffe ich es vielleicht mit offenem Herzen auf Dinge zuzugehen, die mir Angst machen. Dabei wollen wir keine Antworten liefern, sondern im Dialog mit unserem Publikum auf eine Forschungsreise gehen
Wir beurteilt ihr den Stellenwert und die Wertschätzung von Kindertheater?
Sarah: Wir sehen, dass der Stellenwert in den letzten Jahren gewachsen ist. Gleichzeitig wird das Theater für junges Publikum leider immer noch unterschätzt. Sowohl im allgemeinen Diskurs über Theater als auch von den Menschen, die uns im Privatleben begegnen. Für viele ist’s immer nur der Kasperl (und der ist toll) und es ist nicht vorstellbar, dass es zeitgenössische Formen gibt, dass viele Produktionen für Kinder experimenteller und gewagter sind als so manches Stück für Erwachsene.
Laura: Vor allem im ländlichen Raum ist das Angebot oftmals nicht vorhanden bzw. sehr einseitig. Ich habe versucht in den letzten vier Jahren bei mir in Untergriesbach eine Kulturplattform für junge Menschen aufzubauen. Einmal im Monat gibt’s nun Theater für junges Publikum - das Angebot wird sehr gut angenommen. Und es ist immer wieder schön zu sehen, wie überrascht die Leute sind.
Ist Theater für die Allerkleinsten eigentlich politisch?
Sarah: Theater ist immer politisch, weil wir als Künstlerinnen in einem System arbeiten, das von uns gleichzeitig oft kritisiert, in Frage gestellt oder verändert wird. Auch die kleinsten Menschen ernst zu nehmen und etwas für sie zu erarbeiten und ihnen ästhetische Räume zu eröffnen, ist sehr politisch und wichtig.
Laura: Wir begeben uns in einen Diskurs mit unserem Publikum. Dabei werden Themen aller Art verhandelt, aber in erster Linie findet Interaktion statt, und auch die ist immer politisch.
Kurz gesagt: Warum ist Theater für Kinder wichtig?
Sarah: Weil das Publikum wichtig ist und als aktiver Teil der Gesellschaft ernst genommen werden kann. Und weil der Theaterraum verbindet und Grenzen abbaut und Kinder dafür meistens empfänglicher sind als Erwachsene.
Wir hatten jetzt zusammen einige Schnäpse, die wir natürlich alle nur symbolisch getrunken haben. Vielen Dank für das Interview.